Der Bestsellerautor setzt auf Pensionsfonds und die „Generation Greta“. Sie sollen seinen Traum wahr machen: eine bessere, saubere Welt.
Jeremy Rifkin
Er gilt als Popstar unter den US-Ökonomen und hat in seiner Jugend gegen den Vietnamkrieg demonstriert.
Bild: Marc-Steffen Unger für Handelsblatt
Berlin Die Gretchenfrage dieser Tage ist die Greta-Frage. Will man von Jeremy Rifkin wissen, was er Miss Thunberg aus Schweden in einem Gespräch sagen würde, bricht es aus dem großen Energie-Apostel heraus: „Great! Weiter so, das ist wirklich eine willkommene Überraschung!“
„Great“, das sind die Kids da draußen auf den Straßen, die von „Fridays for Future“ oder „Extinction Rebellion“. Sie sind so etwas wie Rifkins Bataillone. Er braucht sie in seinem Kampf für eine bessere Welt. Rifkin sieht den ersten weltweiten Aufstand all jener voraus, die unter dem Klimawandel leiden werden. Er sieht Aber- und Abermillionen, ein „großes Erwachen“, den „Beginn von Panik“, eine Revolution.
Das gefällt Rifkin, der so etwas wie ein Popstar unter den US-Ökonomen ist. Der 74-Jährige war in seiner Jugend selbst Straßenaktivist. Damals in den 1960er-Jahren demonstrierte er gegen den Vietnamkrieg, ein paar Jahre später gegen Big Oil.
„Hier wird eine neue Bewegung angestiftet“, erklärt Rifkin. Das Prinzip „power to the people“ komme zurück. Auch eine der Parolen aus jener Zeit, als Angela Davis, Rudi Dutschke, Daniel Cohn-Bendit jung waren.
An diesem Oktoberabend ist der Bestsellerautor zur Europapremiere seines neuen Buchs nach Berlin gekommen: „Der globale Green New Deal“. Es ist seine Betriebsanleitung für die Welt, dafür, wie alle zusammen es schaffen können, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Auch wenn nur elf Jahre bleiben. Eine kämpferische Schrift, in der Rifkin darauf verweist, wie seine Beratungsfirma im Auftrag von Regierungen lokale Projekte voranbringt, in Nordfrankreich, Luxemburg und Den Haag.
Es sind Modelle dezentraler Energiewirtschaft mit Sonnen- und Windkraft, die Rifkin preist. Jetzt ende die Zeit, in der wir davon leben, was die Erde uns hinterlassen hat, Kohle und Öl. Das fossile System kollabiere 2028, prognostiziert der Popökonom.
Nun verändern Menschen die Dinge, sie produzieren mit Solarpanels selbst Energie und speisen sie in Netze ein. Netze, die in Rifkins Zukunft von privaten Serviceorganisationen gemanagt werden, in Partnerschaft mit kommunaler Infrastruktur. Alles „peer communities“, vereinigt auf einer Internetplattform, die Netze für Mobilität, Energie und Kommunikation bündele. Keine „geeks“ aus dem Silicon Valley steuerten den Fortschritt, sondern Hinz und Kunz von nebenan.
Er habe sein ganzes Leben lang „gewisse Aspekte des Marktkapitalismus“ kritisiert, schreibt Rifkin in seinem neuen Buch, „diesmal jedoch erweist der Markt sich als Schutzengel, der über die Menschen wacht“. Das sehen zwei US-Autorinnen, die jüngst über „Green New Deal“ publizierten, jedoch ganz anders. So setzt Naomi Klein nicht auf Märkte, sondern auf ein neues Bewusstsein des Verzichts. Ann Pettifor wiederum will den freien Flow des Kapitals begrenzen, Globalisierung sei an allem schuld.
Rifkin ist da optimistischer, mehr „hands-on“. Das Programm für die Zukunft wird in 23 Punkten abgehandelt. Der Campagnero hat mehr als 20 Bücher geschrieben, manches wiederholt sich. Für den Professor der Wharton School der University of Pennsylvania ist Dozieren wie Flanieren.
Er ist einer, der bei dieser Berliner Soiree im rekonstruierten Preußen-Klassizismus des „Palais Populaire“ das Staunen der 150 Zuhörer erregt mit einem Kompositum aus Fakten, Thesen, Prophezeiung. Die meisten sind Fans, die nach 60 Minuten Vortrag noch Luft für eine Debatte haben.
Jeremy Rifkin: Der globale Green New Deal
Campus Verlag
319 Seiten
26,95 Euro
Es wird klar, dass der New-Energy-Aktivist neben Greta Thunbergs Pennälern vor allem öffentliche Pensionsfonds, sei es aus Norwegen oder Holland, als Helfer hat. Diese Fonds wollen nicht mehr in schmutzige Energien investieren. Zum politischen Momentum gesellt sich ein finanzkapitalistisches.
Elf Billionen Dollar haben die Fonds zwecks Dekarbonisierung schon desinvestiert. Deshalb ist Rifkin nicht bange vor einem US-Präsidenten Donald Trump oder dessen Freunden aus der alten Energieindustrie: „Ich verbringe nicht viel Zeit damit, an den Präsidenten zu denken.“
Der „Palais Populaire“-Abend wie auch das Buch sind Liebesbezeugungen an die Deutschen. Sie hätten den Anfang gemacht mit der Energiewende. Der Anteil der Erneuerbaren am Strom liege bei fast 40 Prozent, lobt der Mann, der die Grünen früh beraten hat. Jetzt aber habe Deutschland im Eifer nachgelassen („nicht aggressiv genug“), es müsse weiter diese Revolution anführen, am besten mit Europa und mit China, die ja eine gemeinsame Landmasse haben.
Auf dass die Botschaft in die USA dringe, wo sich etwa Texas, Kalifornien, Hawaii, Washington oder New York ökobewusst verhielten: „Es ist höchste Zeit, die Scheuklappen abzunehmen.“ Im Februar haben die amerikanischen Politiker Alexandria Ocasio-Cortez und Ed Markey den „Green New Deal“ beschworen.
Es begann in Deutschland, es ist eure Verantwortung. Jeremy Rifkin (Wirtschaftsprofessor)
Große Hoffnung setzt Rifkin auf EU-Vorfrau Ursula von der Leyen, die den „Green New Deal“ ebenfalls adressiert hat. „Es begann in Deutschland, es ist eure Verantwortung“, sagt er. Und dann hat der Marketender der dritten industriellen Revolution doch noch einen Tipp für die Generation Greta: Es reiche nicht zu protestieren, man müsse sich lokal engagieren.
„Rollt die Ärmel auf!“, das sagt er oft an diesem Abend. „Glokalisierung“ statt Globalisierung, predigt Rifkin, der zuweilen wie der Großtheoretiker einer globalen Graswurzelbewegung wirkt, dem man sofort glaubt, dass aus dem Flügelschlag eines Schmetterlings ein Tornado entsteht.
Die Schlussfrage, ob er Visionär oder Missionar sei, gefällt ihm weniger: „Wir sind Menschen, nicht Visionäre oder Missionare“, antwortet er. „Wir müssen diesem Sturm widerstehen.“
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