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19.03.2023

11:51

Rezension

Bitcoin & Co. – Was vom Hype bleibt

Von: Mareike Müller, Claudia Panster

Kryptowährungen haben nach ihrem Hype deutlich an Wert verloren. Doch was machen die Währungen aus und wie tickt die Krypto-Branche? Zwei Bücher geben einen Einblick.

Der Autor Vitalik Buterin sieht in Bitcoin eine neue Art „ökonomischer Demokratie“. Unsplash

Bitcoin

Der Autor Vitalik Buterin sieht in Bitcoin eine neue Art „ökonomischer Demokratie“.

Riga, Düsseldorf Kryptowährungen haben in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom erlebt. Entsprechend gab es eine ganze Reihe von Büchern zum Thema. Viele eher mäßiger Qualität, Schnellschüsse, mit denen die Autoren vom Hype profitieren wollten, indem sie den neuen Trend erklären.

Ausgerechnet jetzt, wo die Hochzeit der digitalen Währungen vorbei zu sein scheint, kommen zwei Bücher namhafter Autoren heraus. Der eine ein streitbarer Journalist mit Hang zu steilen Thesen, der andere hochbegabter Gründer ohne festen Wohnsitz: „Zeit“-Autor Ijoma Mangold und Ethereum-Gründer Vitalik Buterin.

Sie schreiben über die beiden größten Konkurrenten der noch jungen Branche: hier Bitcoin, dort Ether. Hier eine Marktkapitalisierung von mehr als 470 Milliarden US-Dollar, dort eine von gut 200 Milliarden. Das ist zwar weniger als halb so viel, dennoch liegt Ether damit auf Platz zwei.

Was die Autoren eint: Beide sehen in den Währungen mehr als nur Geld. Dabei fing auch für Vitalik Buterin alles mit Bitcoin an. 2011, mit 16 Jahren, fragte er in einem Onlineforum, ob ihn wohl jemand mit Bitcoin bezahlen würde, wenn er darüber schreiben würde. Kurz darauf gründete er das „Bitcoin Magazine“ mit, wurde dessen Reporter.

Und auch sein Buch „Mehr als Geld“ beginnt mit dem Bitcoin. Diese neue Art des Geldes inspirierte ihn schließlich weiterzudenken. Sein Anspruch: eine generalisierte Lösung im Vergleich zu den spezialisierten Alternativen. Ether soll die Kryptowährung für alle sein.

Nathan Schneider (Hrsg.), Vitalik Buterin: Mehr als Geld
Campus Verlag
Frankfurt 2023
328 Seiten
28 Euro
Übersetzung: Thorsten Schmidt

2014, mit erst 19 Jahren, gründete er dann Ethereum – die Basis für Ether. Heute ist Buterins Idee Milliarden wert, und Ethereum Smart Contracts bilden die Grundlage für NFT-Kunstwerke, virtuelle Immobilien und dezentrale Organisationen.

Buterin sieht in Kryptowährungen die Möglichkeit einer neuen Art „ökonomischer Demokratie“. Seine Vision formulierte er in einem Text von 2014 so: „Daher könnte jetzt der perfekte Zeitpunkt für ein kraftvolles, technologiegestütztes Comeback der sozialen Währungen sein, und sie könnten sogar weit über ihre Rolle im 19. und 20. Jahrhundert hinauswachsen und zu einer starken Mainstream-Kraft in der Weltwirtschaft werden.“

Sein Buch ist eine Sammlung von Schriften, verfasst von Buterin, die der US-Journalist Nathan Schneider nun herausgibt und einführend einordnet. Er lobt Buterins Innovationsgeist, sieht dessen Positionen aber auch von Widersprüchen geprägt: „Einerseits zeigt er völlig neue Wege für die Selbstorganisation von Menschen auf, andererseits enthält er sich jeglicher Meinungsäußerung bezüglich der Nutzung dieser Macht durch Menschen“, schreibt Schneider.

Damit sind die Stärken und Schwächen des Buchs gut beschrieben. Buterin erklärt chronologisch und detailliert seine Vision einer sozialen Währung, einer dezentral organisierten, in der die Macht auf möglichst viele verteilt ist. Gleichzeitig gibt er aber zu, dass Ethereum ebenso wie vergleichbare Systeme auf der Annahme basieren, die Menschen seien egoistisch.

Der Realitätscheck fehlt daher ebenso wie eine Positionierung Buterins. Seine Ausführungen bleiben meist im Deskriptiven.

Eine Art Unternehmensgeschichte

Die Aufsätze, die zwischen Januar 2014 und Januar 2022 entstanden sind, hat Schneider gemeinsam mit Buterin ausgewählt. Im Grunde sind sie eine Art Unternehmensgeschichte – von der Idee über die Gründung bis hin zur Weiterentwicklung.

Das Buch ist an sich leicht zu konsumieren, weil es in viele kürzere Aufsätze unterteilt ist. Das braucht es allerdings auch bei einem nicht ganz eingängigen Thema, langen Sätzen und einer oft technischen Sprache.

Buterin hat eine Vision, das wird klar. Er ist niemand, der sich im Erfolg suhlt – nicht nur, weil er seit zehn Jahren keinen festen Wohnsitz hat und mit einer einzigen Tasche mit all seinem Hab und Gut durch die Lande zieht. Er will sein Projekt auch weiterentwickeln.

Das zeigte zuletzt das von ihm erdachte energiesparende Verfahren für das Erstellen von Kryptowährungen, das sich „Proof of Stake“ nennt und sich vom energieintensiven „Proof of Work“, das beim Bitcoin zum Einsatz kommt, unterscheidet. So lautet im Übrigen auch der Titel der englischen Ausgabe, die bereits im Herbst – zeitgleich mit dem Verfahren „Proof of Stake“ – erschienen ist.

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Wie in die Ausführungen dann aber etwa ein Kapitel mit einer Vorstellung von Onlinespielen reinpasst, die man mit Freunden in der Weihnachtszeit spielen könne – Schach, Tic Tac Toe oder Poker –, das mutet eher skurril an.

Ein kleiner Wermutstropfen ist, dass die neuesten Entwicklungen auf dem Kryptomarkt gar nicht thematisiert sind – der letzte Aufsatz ist mehr als ein Jahr alt. Dass die einst drittgrößte Kryptobörse FTX das Geld der Kunden verzockt hat und pleitegegangen ist, die Kurseinbrüche im Zuge des Ukrainekriegs, der steigenden Inflation und der rasanten Zinsanhebungen der Fed – dies alles bleibt außen vor.

Spannend sind vor allem die Aufsätze, in denen Buterin konkret wird. Etwa in dem über Kryptostädte, in dem er reale Projekte beschreibt, wo Blockchain eingesetzt wird – und zu Verbesserungen führt. Insgesamt jedoch schaffen die Schriften es nicht, zu erklären, wie durch ein System, das nur von einem Bruchteil der Menschen genutzt wird, eine Art neuer Gesellschaftsordnung entstehen soll.

Dafür bleibt Buterin über weite Strecken zu sehr in der Theorie hängen. Was das Buch aber bietet, ist ein lesenswerter Einblick in die Gedanken eines ohne Frage visionären Denkers.

Anspielung auf „Matrix“-Filme

Ganz anders bei Ijoma Mangold. Was Buterin an Positionierung vermissen lässt, gibt es in Mangolds „Die orange Pille“ zu viel. Der Autor macht sich mit seinem Buch zum obersten Propheten der Kryptobranche, deren Botschaften er ungefiltert weiterträgt.

Erschreckend unkritisch macht Mangold kein Geheimnis daraus, dass er die Leserschaft nicht ausgewogen informieren, sondern bekehren will: „Dieses Buch will Sie, geschätzte Leserin, geschätzter Leser, orangepillen, indem es davon erzählt, wie ich selbst georangepilled wurde.“

Damit spielt Mangold auf den Film „Matrix“ an, in dem das Schlucken der blauen Pille das Weiterleben im Status quo bedeutet, das Schlucken der roten Pille hingegen die ultimative Wahrheit verspricht. „Weil die Farbe des Bitcoin Orange ist, hat die orange Pille geschluckt, wer überzeugt ist, dass Bitcoin uns aus der Clownswelt der Schulden und Finanzderivate und Negativzinsen und Vermögenspreisinflationen and all that jazz herausführen wird.“

Mangolds Buch ist unterhaltsam und leicht zu lesen, wichtig sind auch die Ausführungen über die Ideengeschichte des Bitcoins und zur Frage, wie sich die verschiedenen Bitcoin-Fangemeinschaften mit unterschiedlichen soziopolitischen Herkünften für ein gemeinsames Ziel starkmachen. Vor allem aber ist das aus der Ichperspektive geschriebene Buch eine aufschlussreiche Lektüre für alle, die verstehen wollen, wie Menschen der Kryptowelt verfallen.

Ijoma Mangold: Die orange Pille
dtv Verlagsgesellschaft
Berlin 2023
256 Seiten
24 Euro

Doch gerade in praktischer Hinsicht lässt es wichtige Fragen ungeklärt. Mangold plädiert dafür, auf Kryptobörsen und jegliche Intermediäre zu verzichten, die die Branche hervorgebracht hat. Stattdessen sollten Nutzerinnen und Nutzer seiner Meinung nach alle technischen Schritte, die mit Erwerb und Verwahrung der Coins zusammenhängen, selbst durchführen. Dass sich auf so unpraktische Art kein weltweites alternatives Finanzsystem aufrechterhalten lässt, lässt der Autor außer Acht.

Zudem erstaunt die Kurzsichtigkeit, mit der der Autor postuliert, das Netzwerk hinter dem Bitcoin sei „vollkommen inklusiv“. Diskriminierung sei „schon aus technischen Gründen unmöglich“, Wohnort, Staatsangehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht oder „sonstige Unterscheidungsmerkmale“ könnten keine Rolle spielen. Dass allein der Zugang zum Internet und die Alphabetisierungsrate von all diesen Faktoren mitabhängig sind, bleibt unerwähnt.

Mangold legt überzeugend dar, dass es sich bei Bitcoin und Co. um mehr als nur Geld handelt, und lädt die Leserschaft dazu ein, alte Glaubenssätze zum Thema Geld zu hinterfragen. Zudem kann „Die orange Pille“ als unterhaltsames Szenenporträt gelesen werden. Als kritische Auseinandersetzung mit dem Bitcoin taugt es allerdings kaum.

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