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07.08.2022

10:38

Rezension

Die Biografie der Youtuberin Gnu ist ein bisschen wie Bravo in Buchform

Von: Alexander Möthe

Die Gaming-Youtuberin Gnu erzählt aus ihrem Leben – sprachlich etwas holprig, aber durchaus mit Mehrwert. Vor allem für eine bestimmte Zielgruppe.

Gnu verdient ihr Geld damit, Videos für das Internet zu produzieren. IMAGO/Future Image

Youtuberin Gnu bei der Verleihung des Deutschen Computerspielpreises 2022

Gnu verdient ihr Geld damit, Videos für das Internet zu produzieren.

Düsseldorf Gnu – damit ist nicht die raubtiergeplagte afrikanische Großantilope gemeint. Wobei: doch. Denn der Künstlername von Deutschlands populärster Gaming-Streamerin ist dem Wildtier entlehnt.

Bürgerlich wird Gnus Name mit Jasmin Sibel vermerkt, aber auch da fehlt noch etwas. Kein Wunder: Bei mehr als 1,3 Millionen Abonnentinnen und Abonnenten auf Youtube ist die Privatsphäre ein schützenswertes Gut.

Gnu verdient ihr Geld damit, Videos für das Internet zu produzieren. Im Kern filmt sie dabei sich selbst – beim Spielen von Computerspielen, seit einiger Zeit auch beim Sport oder in Comedy-Formaten. Sie ist ein Star in einer lebendigen Unterhaltungsbranche, die sich in der Popkultur um das Gaming herum etabliert hat. Und sie hat jetzt ein Buch geschrieben, das direkt zum „Spiegel“-Bestseller avancierte.

Als „Let’s Play ihres Lebens“ bezeichnet es die Autorin selbst, die im Bewegtbildbereich Profi ist, sich beim Schreiben aber Unterstützung von der Journalistin Lisa Ludwig holte.

„Let’s Play“ ist die Bezeichnung für Videos, in denen Spielerinnen und Spieler ungefiltert aufnehmen, was sie in einem Computerspiel erleben. Die Umschreibung trifft damit gut auf das Buch zu, das sich für keine literarische Gattung entscheidet – und auch beim thematischen Fokus oftmals zittrig ist.

Mehr oder minder chronologisch zeichnet Gnu in „Du schaffst das (nicht)“ ihren Werdegang nach – von der Schülerin bis zur selbstständigen Unterhaltungskünstlerin. Das ist in vielen Passagen durchaus packend, weil es hochpersönlich ist. Doch den Anspruch eines Karriereleitfadens kann das Buch damit kaum einlösen. Fachlich Interessierte werden erst in einem Kapitel gen Ende glücklich.

In Gnus Buch geht es eben vor allem um: Gnu. Und um Jasmin. Beinahe in Tagebuchform gehalten ist es ein erheblicher Egotrip. Das ist per se nicht schlimm – hat aber eine vergleichsweise spezielle Zielgruppe: Menschen, die sich stark mit den Erlebnissen und Inhalten der Autorin identifizieren können.

Gnu (mit Lisa Ludwig): Du schaffst das (nicht). Über Kontrollverlust, Kampfgeist und unstillbaren Hunger.
Riva Verlag
München 2022
288 Seiten
20 Euro

Ausführlich erzählt Gnu von der Entwicklung – und Überwindung – ihrer Essstörung, die die heute 32-Jährige bis vor wenigen Jahren begleitet hat. Und sie berichtet vom Erwachsenwerden einer jungen Frau, das von Übergriffigkeit, von emotionalem und körperlichem Missbrauch und ästhetischem Druck geprägt ist.

Es sind Dinge, die der Autor dieser Zeilen nicht nachfühlen kann – was es umso wichtiger macht, dass sie aufgeschrieben werden. Sexismen wie die Geschilderten zu reflektieren und vor allem nicht zu wiederholen ist ein Kampf, der noch lange nicht gewonnen ist.

Auch wenn einige Teile des, wie die Autorin es nennt, „Seelenstriptease“ so hochindividuell wirken, dass sie mehr der eigenen Verarbeitung als dem Mehrwert der Leserinnen und Leser zu dienen scheinen: Vor allem jüngeren Frauen könnten die Schilderungen durchaus ein Rüstzeug liefern, um bestimmte Verhaltensschemata bei sich und anderen zu erkennen und einzuordnen: Wie gehe ich mit Erwartungsdruck von Dritten um? Was, wenn ich Scham für mein Äußeres oder gar für meine Persönlichkeit empfinde? Muss ich Rollen und Klischees erfüllen? Wie erkenne ich Menschen, die mir schaden?

Ergänzt werden Gnus Beobachtungen durch Gastbeiträge von Co-Autorin Ludwig sowie von Max „HandOfBlood“ Knabe, Alicia Joe und Lara Loft, allesamt Größen der deutschen Youtube-Szene. Die thematisieren vor allem, wie schwer es selbst erfolgreichen Menschen fällt, ihr Selbstbild nicht von anderen bestimmen zu lassen. Es sind wichtige Einordnungen – vor allem für heranwachsende Leserinnen und Leser. Anders gesagt: Das Buch mag Ihnen bedeutungslos vorkommen, aber nicht Ihren Kindern.

Allerdings: Es ist wahnsinnig schwer, dem roten Faden des Buchs zu folgen. Denn seine größte Schwäche ist seine Sprache. Oft arbeiten die Autorinnen mit Einschüben der Art „dazu kommen wir noch“ oder „darüber hatten wir bereits gesprochen“. Das führt leider auch zu Redundanzen, die bei der Fülle der Ereignisse, die dargestellt werden, überhaupt nicht nötig gewesen wären.

So wandert der Blick stellenweise über die Seiten – auch, weil der Stil nicht nur einfach, sondern phasenweise plump geraten ist. Es gibt kaum Raum für Zwischentöne und Subtilitäten, fast alles wird ausgesprochen. 100 Seiten weniger und eine pointiertere Erzählung hätten der Biografie gutgetan.

Eine Pflichtlektüre ist „Du schaffst das (nicht)“ alles in allem nicht. Doch das Buch dürfte vor allem jüngeren Leserinnen und Lesern als Ratgeber hilfreich sein – ein bisschen wie „Bravo“ in Buchform, ohne es schmähen zu wollen. So manche sehr einfache Wahrheit wollen Heranwachsende schließlich nicht von ihren Eltern hören, sondern von Freunden und Vorbildern. Beides kann Gnu für ihre Fans sein. Und wenn ihre Geschichte anderen Mut macht – dann hat sie auch als Buch eine Berechtigung.

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