Klima, Krieg und Cancel Culture - Juli Zeh und Simon Urban entwerfen in ihrem Roman "Zwischen Welten" ein Panorama der gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit.
Eintrag Gendersprache
Für viele ist Gendern ein wichtiges politisches Thema – für andere nur Debatte der Elite. Ähnlich geht es mit anderen Problemen, wenn Stadt und Land aufeinandertreffen.
Bild: imago images/U. J. Alexander
Düsseldorf Stefan lebt in Hamburg, ist Kulturchef bei der Wochenzeitung „Der Bote“, ziemlich verkopft, Single, 46 Jahre. Theresa, 43 Jahre, ist Landwirtin, verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Schütte, 80 Kilometer westlich von Berlin, 451 Einwohner, 28 Prozent AfD-Wähler. „Dünn besiedelt, sozial schwach, ziemlich vergessen von der Welt, flache Landschaft, unfruchtbare Sandböden, trockene Kiefernwälder. Einkaufszentren und Windparks. So ziemlich das Gegenteil von Hamburg und der Außenalster.“
Willkommen im Konflikt. In einem Konflikt, den Stefan („Stevie“) und Theresa („Tessa“) austragen. Miteinander, für sich – und für die ganze Gesellschaft. Sie sind die Protagonisten im neuen Roman „Zwischen Welten“ von Juli Zeh, den sie diesmal gemeinsam mit Simon Urban geschrieben hat.
Zu Studentenzeiten lebten Stefan und Tessa zusammen in einer WG in Münster. Über eine platonische Freundschaft war es zwischen den beiden Literaturstudenten nie hinausgegangen. Sie saßen gemeinsam auf dem WG-Sofa, sprachen über Gott, die Welt und Martin Walser.
Doch plötzlich war Theresa verschwunden. Nun, 20 Jahre später, treffen sie sich zufällig wieder. Und beginnen eine E-Mail- und WhatsApp-Freundschaft.
Es ist ein Konflikt zwischen Stadt und Land, der sich zwischen ihnen entspinnt. Ein Bildnis der Kluft, die sich zwischen diesen beiden Lebensformen auftut. Theresa und Stefan mögen sich, vielleicht auch etwas mehr. Aber ist das wirkliche Sympathie? Oder hängen sie mehr ihren alten Idealen nach?
Denn wenn man ehrlich ist, haben die beiden sich ziemlich entfremdet. Stefan besucht Ausstellungen, bildet Debatten ab, kämpft gegen Rassismus, gendert. Theresa melkt Kühe, kämpft um die Existenz des Hofes, ihre Ehe, um den Boden unter ihren Füßen.
Juli Zehn, Simon Urban: Zwischen Welten
München 2023
Luchterhand Literaturverlag
448 Seiten
24 Euro
Entsprechend abgehoben erscheint ihr Stefan. Gendern? Eine Debatte der Elite, sagt sie. Auf dem Land, da würden die wirklichen Probleme spürbar. Fachkräftemangel, Ernteausfälle, zu viel Pacht und noch mehr Bürokratie. Er wiederum wirft ihr einen mangelnden Horizont vor. Ihre Kühe? Für Stefan nur Verschlimmerer des Klimawandels.
Beide wähnen sich in einer Blase, die sie munter gegenseitig anpiksen. Und immer wieder die Frage: Was darf man heute, wo durch das Netz ständig Begriffe wie Hass, Hetze und Cancel Culture wabern, überhaupt noch sagen? Stefan und Theresa schreiben und erzählen sich alles.
Ob es ihnen gefällt oder nicht. Sie streiten, schimpfen, ja, schlagen sich. Ihre Beziehung hält das aus. Oder etwa nicht? Der Grat zwischen Aktion und Aktivismus ist schmal.
Zeh und Urban, die beiden Autoren, kennen sich seit mehr als 15 Jahren. Sie war damals Gastprofessorin am Literaturinstitut in Leipzig, er Student. Seitdem hielten sie Kontakt.
„Vor ungefähr zwei Jahren haben wir begonnen, immer häufiger über die gesellschaftliche Stimmung in Deutschland zu diskutieren, über den schroffer werdenden Diskurs, die wachsende Feindseligkeit zwischen den politischen Lagern“, berichtet Urban.
„Dabei kam irgendwann die Idee auf, einen gemeinsamen Roman zu diesem Thema zu schreiben.“ Sie lebt in Brandenburg, er in Hamburg. Die Welten von Theresa und Stefan sind ihnen also nicht unbekannt.
Zum dritten Mal lässt Zeh einen Roman nun schon (auch) im Brandenburgischen spielen. Dort, wo sie 2007 selbst hinzog. Schütte, der Ort, in dem Theresas Hof steht, liegt in unmittelbarer Nähe zu Unterleuten (Romantitel von 2016) und Bracken (der Ort aus „Über Menschen“ von 2021). Zeh-Fans erkennen (sich) schnell wieder in „Zwischen Welten“ – die Örtlichkeiten, aber noch mehr wohl die Debatten.
Kaum ein Romanautor respektive eine Romanautorin versteht es so gut wie Juli Zeh, aktuelle politische und gesellschaftliche Themen in ihre Bücher einfließen zu lassen. Corona, Klima, Preissteigerungen, Ukrainekrieg – Stefan und Theresa streiten über die Themen, die die Gesellschaft gerade plagen. Es ist, als wäre der Roman quasi in Echtzeit entstanden.
„Über Menschen“ war der meistverkaufte Roman in Deutschland im Jahr 2021. „Zwischen Welten“ steht wohl eine ähnliche Entwicklung bevor. Ein moderner Gesellschaftsroman.
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