Unternehmen schmücken sich gern mit ihrer Weltoffenheit. Doch divers zu handeln, ist komplizierter als gedacht. Drei neue Bücher geben wichtige Fingerzeige.
Frau mit Regenbogenflagge
Der Regenbogen ist ein Erkennungszeichen der LGBTQ-Community.
Bild: Cavan/Getty Images
Düsseldorf Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Violett: Diese Farbpalette leuchtet jeden Juni aufs Neue von Litfaßsäulen. Der Regenbogen ist ein Erkennungszeichen der LGBTQ-Community, eine aus dem Englischen übernommene Sammelbezeichnung für sexuelle und geschlechtliche Minderheiten. Der Juni als „Pride Month“, als Monat des Stolzes für diese Community, hat seinen Ursprung 1970 in New York City.
Inzwischen werben jeden Sommer Demonstranten in aller Welt für mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz von Minderheiten. Und auch für deutsche Unternehmen und ihre Social-Media-Abteilungen gehört es zum guten Ton, im „Pride Month“ Unterstützung zu bekunden. Mit farbenfrohen Instagrambeiträgen etwa. Oder mit einem symbolischen Regenbogen neben dem Firmenlogo auf dem LinkedIn-Profil.
So viel zur PR-Symbolik in der deutschen Wirtschaft. Nun zur gelebten Realität: Bei nur 26 Prozent der Unternehmen in Deutschland ist Diversität Chefsache, ermittelte der German Diversity Monitor 2021. 70 Prozent der Unternehmen stellen demnach kein Budget für Vielfalt zur Verfügung.
Dabei gehört zur echten Unterstützung von Minderheiten eben weit mehr als nur ein symbolischer Regenbogen: Wer wirklich zur Abschaffung von Diskriminierung beitragen will, muss Menschen, die sich in Alter, Geschlecht, ethnischer Herkunft, Religion und sexueller Orientierung unterscheiden, bewusst einbeziehen und sichtbar machen – ebenso wie Behinderte und sozialökonomisch Schwache.
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Und das tut nicht nur dem Image gut – auch das zeigen Studien: Unternehmen mit hoher Gender-Diversität haben laut einer Erhebung des Unternehmensberaters McKinsey eine um 25 Prozent erhöhte Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich profitabel zu sein. Ist der Vorstand international, also ethnisch divers, besetzt, steigt die Wahrscheinlichkeit sogar auf 36 Prozent.
Warum das so ist und warum echte Diversität für den Erfolg von Unternehmen in Zukunft sogar noch wichtiger werden könnte, ergründet Wolf Lotter, Journalist und Mitgründer des Wirtschaftsmagazins „brand eins“, in seinem neuen Buch „Unterschiede“. Die zentrale These des Autors: Vielfalt in der Belegschaft fördere die Kreativität und die Innovationsfähigkeit in Unternehmen. Zwei Fähigkeiten, die es zwingend brauchen werde, um die alte Industriegesellschaft in eine moderne Wissensgesellschaft zu wandeln.
Wolf Lotter: Unterschiede. Wie aus Vielfalt Gerechtigkeit wird.
Edition Körber-Stiftung
Hamburg 2022
320 Seiten
20 Euro
Jeder Mensch, argumentiert Lotter, müsse deshalb für sich stehend und entsprechend seinen individuellen Leistungen behandelt werden. Zwingende Voraussetzung dafür sei die Anerkennung von Unterschieden – genauer gesagt: die Anerkennung des Positiven in den Unterschieden. Nur so könne Gerechtigkeit für jeden Einzelnen in einer Gesellschaft herrschen. Ich bin anders, jeder andere auch und das ist gut so – so in etwa lässt sich Lotters Kernbotschaft zusammenfassen.
Bis er zu dieser Erkenntnis gelangt, erfährt der Leser in Lotters Buch vieles über die Geschichte der Ungleichheit – von der Bibelzeit bis zum Kapitalismus der Gegenwart. Ungleichheit sei schon immer durch Vereinheitlichung entstanden, stellt Lotter fest. Indem jedes System von den Menschen, die es bevölkerten, Anpassung verlangte, habe es diesen die Freiheit genommen, sich zu entfalten.
Und zwar bis heute: Auch die gegenwärtige Wirtschaft belohne angepasstes Verhalten mehr als kreative Eigenart. Wer Anweisungen befolge, steige oft schneller auf als jemand, der eigene Lösungen suche. Lotters Plädoyer: Unternehmen müssten Vielfalt statt Vereinheitlichung zu ihrem Leitsatz machen.
Bei all dem wendet er sich aber nie gegen den Kapitalismus oder die Demokratie per se. Wettbewerb und Marktwirtschaft befürwortet er sogar – auch sie förderten Kreativität. Auch eine demokratische Ordnung und rechtliche Regeln seien notwendig, müssten nur immer wieder hinterfragt werden. Wie genau solche Regeln aber aussehen sollten, damit sich jeder verwirklichen kann und kreative Prozesse angestoßen werden können, bleibt im Unklaren. Über eine bloße Kritik am Ist-Zustand kommt Lotters Buch deshalb nicht hinaus.
Eine klare Vorstellung davon, was die Welt nicht wirklich besser macht – die liefert auch das Buch „Zynische Theorien“ von Helen Pluckrose und James Lindsay. Die Stoßrichtung des bereits 2020 auf Englisch erschienenen Werks macht schon dessen Untertitel deutlich: „Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles stellt und warum das niemandem nützt“, lautet der.
Rassistische oder homophobe Äußerungen sowie sexuelle Belästigung führen heute früher und stärker zu einem Aufschrei, weil die Menschen für diese Themen sensibilisiert sind. Das ist gut so, möchte man meinen Ausgrenzung und Diskriminierung sollten immer zu einem Aufschrei führen – immerhin gilt es ja, mit Wolf Lotter gesprochen, das Positive im Ungleichen zu sehen, um Kreatives hervorzubringen.
Doch Pluckrose und Lindsay sehen darin auch eine Gefahr. Dann nämlich, wenn die Zurechtweisungen auf fragwürdigen Begründungen beruhen und Menschen sich – aus Angst, etwas vermeintlich „Falsches“ zu sagen – selbst zensieren.
Um ihre Kritik an der Identitätspolitik der Gegenwart zu begründen, tauchen die beiden Autoren tief ein in akademische Debatten– zurückgehend bis zu den Anfängen des Postmodernismus in den Sechzigern. Dessen Annahmen hätten dazu geführt, dass Sprache als ein „gefährliches Instrument“ betrachtet wurde und Gruppen statt autonomer Individuen in den Mittelpunkt der Debatten rückten.
Helen Pluckrose, James Lindsay: Zynische Theorien. Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles stellt – und warum das niemandem nützt.
C.H. Beck
München 2022
380 Seiten
22 Euro
Übersetzung: Sabine Reinhardus, Helmut Dierlamm
Darauf aufbauend wiederum sei in den Achtzigern ein angewandter Postmodernismus entstanden. Dessen Ergebnis: neue wissenschaftliche Disziplinen wie Queer Studies, die Critical-Race-Theorie, intersektionaler Feminismus oder Disability and Fat Studies.
Was all diesen gemein sei, argumentieren die Autoren: Sie würden persönlichen Erfahrungen mehr Wert beimessen als objektiver Forschung. In der inzwischen eingetretenen dritten Phase des Postmodernismus schließlich, so Lindsay und Pluckrose, bilde die sogenannte „Social-Justice-Theorie eine neue Religion (...), die Vernunft (...) und Widerspruch äußerst feindlich gesinnt“ sei.
Pluckrose und Lindsay bestreiten nicht, dass es Diskriminierung gibt. Sie sind auch der Meinung, dass marginalisierten Gruppen zugehört werden muss. Aber sie wenden sich klar gegen eine „Sprach- und Gedankenpolizei“, die sie in vielen gegenwärtigen Debatten ausgemacht zu haben glauben – und haben auch eine produktivere Alternative parat: den Liberalismus. Liberale Systeme wie der Kapitalismus oder die Demokratie hätten die Welt in den vergangenen 500 Jahren zum Positiven verändert – nur, auch das räumen Pluckrose und Lindsay ein, nicht immer ausreichend schnell.
Wie schleppend so manche Veränderung zum Positiven vonstattengeht, zeigt exemplarisch Matthias Herzbergs Buch „Andersherum in die Chefetage“. Auf rund 300 Seiten berichtet der Führungskräftecoach, der selbst mit einem Mann verheiratet ist, über mehr als nur aus der Zeit gefallen wirkende Erfahrungen aus erster und zweiter Hand. Homophobie sei in vielen deutschen Unternehmen noch immer Alltag, attestiert der Autor, Führungskräfte schauten bei Diskriminierungsfällen allzu oft weg, viele Schwule fühlten sich aus Angst vor einem Karriereknick gezwungen, ein Doppelleben zu führen.
Matthias Herzberg: Andersrum in die Chefetage. Queer Karriere machen in der Männerwirtschaft.
Bastei Lübbe
Köln 2022
304 Seiten
16,99 Euro
Wen wundert es da, dass homosexuelle Vorbilder in der Führungsriege der deutschen Wirtschaft fehlen? Und dass Topmanager wie der ehemalige Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger sich erst nach ihrer Karriere outen? In der nach wie vor männlich dominierten deutschen Wirtschaft passe Homosexualität noch immer oft nicht ins Bild, lautet Herzbergs ernüchtertes Fazit: „In Deutschland können offen schwule Männer inzwischen Bundesminister oder Vizekanzler werden, solange sie nicht zu oft oder zu laut darüber reden. Aber Manager, geschweige Topmanager?“
Doch sein Buch ist weniger Analyse als Anleitung zur Selbsthilfe: Wer schwul sei, müsse mutig sein und für sich einstehen, lautet seine zentrale Botschaft. Schwule Männer sollten konsequent diskriminierendes Verhalten ansprechen – gegenüber Kollegen, gegenüber Vorgesetzten und notfalls auch gegenüber ihrem Anwalt.
Zwar fügt Herzberg an, dass der Wandel in der Wirtschaft nur gelingen kann, wenn auch Vorstände und Vorgesetzte sich dafür einsetzen. Aber auch der von Diskriminierung betroffene Arbeitnehmer selbst bleibt demnach gefordert. Das Plädoyer des Autors für mehr Vorbilder, die anderen Mut machen und den Weg ebnen, ist da nur folgerichtig.
Problematisch nur: Diese Handlungsempfehlungen haben klare Grenzen. Männer, die noch mit ihrer Homosexualität hadern, trifft diskriminierendes Verhalten genauso – diese haben aber wohl kaum das Selbstvertrauen, um sich anwaltlich zur Wehr zu setzen. Ein weiteres Manko des Buchs: Herzbergers Ausführungen fokussieren sich stark auf homosexuelle Männer und lassen andere Personen der LGBTQ-Community außen vor. Dabei würde es durchaus interessieren, welche Erfahrungen beispielsweise homosexuelle Frauen erleben, die es ja schon aufgrund ihres Geschlechts schwer in der deutschen „Männerwirtschaft“ haben.
So unterschiedlich die Ansätze der drei einzelnen Bücher sind, haben sie letztlich doch eines gemeinsam: Sie zeigen, dass wir uns füreinander und für mehr Akzeptanz einsetzen müssen. Nicht nur die Politik, nicht nur die Führungsetage der Wirtschaft, sondern jeder Einzelne. In den Worten Wolf Lotters: „Wir sehen nicht nur den Unterschied. Wir machen ihn auch. Wir sind der Unterschied.“ In den Worten Matthias Herzbergs: „Minderheit an Mehrheit: Wir brauchen euch.“
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