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25.03.2023

15:50

Rezension

Mathias Bölinger zeigt, wie der chinesische Staat Uiguren unterdrückt

Von: Dana Heide

Im chinesischen Xinjiang wird eine muslimische Minderheit durch die Regierung unterdrückt. Wie es dazu kam, beschreibt Mathias Bölinger in seinem neuen Buch.

Die Uiguren werden systematisch unterdrückt und massenhaft in Zwangslager eingewiesen. imago/Kyodo News

Militär in Xinjiang

Die Uiguren werden systematisch unterdrückt und massenhaft in Zwangslager eingewiesen.

Berlin Schon der Titel des Buches ist düster: Der High-Tech-Gulag – Chinas Verbrechen gegen die Uiguren. Dazu ein Bild von zwei Frauen, die im Visier von Überwachungssoftware sind. Der chinesischen Staatsführung wird vorgeworfen, dass Sicherheitsbehörden und die Provinzregierung in ihrem Auftrag in der Region massive Menschenrechtsverletzungen begehen – Peking bestreitet dies. Mathias Bölinger beschreibt in seinem Buch detailliert, wie dabei vorgegangen wird und wie es zu der immer massiveren Unterdrückung der muslimischen Minderheit kam.

Der Sinologe war jahrelang Korrespondent diverser Medien in China, spricht fließend Chinesisch und ist einer der wenigen deutschsprachigen Journalisten, die seit Jahren regelmäßig in die westchinesische Provinz Xinjiang gereist ist. Zeitgleich mit Bölinger war auch die Autorin dieses Textes als Korrespondentin in Peking und lernte ihn dort persönlich kennen.

Anders als der Aufmerksamkeit heischende Titel suggeriert, geht das Buch deutlich weiter, als lediglich die dramatischste Form der Unterdrückung der Uiguren in China – die massenhafte Einweisung in Zwangslager, wo die Insassen brutaler Gewalt und stumpfer Indoktrinierung ausgesetzt sind – zu beschreiben. Der Autor hat vielmehr darüber hinaus ein umfassendes Überblickswerk über den Umgang des chinesischen Staates mit ethnischen Minderheiten in China und wo dieser seinen Ursprung hat, geschrieben. Dabei bleibt Bölinger, der heute Korrespondent der Deutschen Welle in Kiew ist, stets angenehm unaufgeregt und sachlich. 

Das Buch profitiert vom umfassenden geschichtlichen Wissen des Autors und seiner tiefen Kenntnis des chinesischen Ein-Parteien-Systems. Der erste Teil des Buches geht ausführlich auf die bewegte Geschichte Xinjiangs ein. So war die heutige chinesische Provinz in den 1930er-Jahren ein „Marionettenstaat“ der Sowjetunion. Ethnien wurden akribisch bestimmt und die Zugehörigkeit der Menschen dazu genutzt, sie je nach Belieben zu fördern oder von Entscheidungspositionen fernzuhalten.

Heute unvorstellbar, gab es in den 80er-Jahren noch zahlreiche Koran-Schulen in Xinjiang. Im Zuge der Studentenproteste Ende der 80er-Jahre wandten sich auch in Xinjiang junge Menschen immer mehr vom chinesischen Staat ab – hin zu ihrer Religion und Kultur. Am 5. April 1990 kommt es zum Showdown zwischen militanten Religiösen und dem Staat – es war der erste von vielen, wie Bölinger schreibt, und der Anfang der massiven Repression in der Region.

Mathias Bölinger: Der Hightech-Gulag
C.H. Beck Verlag
München 2023
256 Seiten
18 Euro

Der Autor beschreibt, wie sich die Situation immer weiter hochgeschaukelt hat. Nach mehrfachen Anschlägen in Xinjiang wurden die ohnehin schon repressiven Maßnahmen gegen Menschen muslimischen Glaubens immer weiter verschärft, was zu einer weiteren Radikalisierung führte. Der chinesische Staat reagierte mit noch härteren Einschränkungen.

Während der erste Teil des Buches durch die historische Rückblende zuweilen etwas zu anspruchsvoll zu lesen ist, beschäftigt sich der zweite Teil mehr mit den persönlichen Schicksalen und ist näher an der derzeitigen Situation in Xinjiang. Bölinger hat dafür mit Betroffenen im Exil gesprochen und die zahlreichen Leaks aus dem chinesischen Behördenapparat aus den vergangenen Jahren ausgewertet.

Er beschreibt, wie systematisch der Sicherheitsapparat Menschen in der Region aus den geringsten Anlässen mittels moderner Technologien als potenzielle Unruhestifter identifiziert und in Lager steckt, wo sie dann gewalttätigen Übergriffen und menschenunwürdiger Behandlung ausgesetzt sind.

Bölingers Buch ist auch ein Plädoyer dafür, dass es sich lohnt, hinzuschauen und die chinesische Staatsführung immer wieder für ihre schweren Menschenrechtsverletzungen in der Region zur Verantwortung zu ziehen. „Viele Einzelschicksale zeigen, dass es gerade die Sorge vor den internationalen Reaktionen war, die dazu führte, dass Insassen freikamen und ausreisen konnten.“

Auch Diplomaten und Beobachter, so Bölinger, beschrieben schon länger, dass internationale Aufmerksamkeit für bestimmte Fälle oft zu spürbaren Verbesserungen für die Betroffenen führt. Meist seien diese nicht sofort sichtbar, dennoch zeige sich oft: „Langfristig entfalten Druck und die Aufmerksamkeit des Auslands Wirkung.“

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