Noch ist unklar, wie sehr die virtuellen Welten unser Leben verändern werden. Unternehmen sollten sich aber frühzeitig damit beschäftigen – um nicht erneut einen Trend zu verpassen.
Frau mit VR-Brille
Beim Metaverse handelt es sich um dreidimensionale und virtuelle Welten, in die durch VR-Brillen eingetaucht werden kann.
Bild: IMAGO/Cover-Images
Rom Geht es nach den Tech-Konzernen, werden wir uns künftig für Meetings und Schulunterricht in virtuellen Räumen treffen – mit Virtual-Reality-Brillen auf der Nase und Hologrammen unserer Avatare vor den Augen. Ob Job oder Schule, Shopping oder Freizeit: ein großer Teil des Lebens soll sich bald im Metaverse abspielen.
Dabei konnte sich vor wenigen Jahren, vor der Pandemie, noch nicht mal jemand vorstellen, Unternehmen aus dem Homeoffice zu führen und stundenlang in Videokonferenzen zu hängen. Mittlerweile ist das gelebte Realität.
Nun der nächste Schritt? Was für Kritiker nach Endzeit-Dystopie klingt, haben viele Unternehmen zum neuen Geschäftsmodell auserkoren. Prominentester Fall ist Facebook, das im Oktober 2021 seine Umbenennung in Meta ankündigte – und Milliardeninvestitionen ins eigene Metaverse.
Doch was versteckt sich eigentlich hinter dem Begriff? Wie weit ist die technologische Entwicklung schon? Und vor allem: Wie wichtig ist das Phänomen für Unternehmen?
Mehrere Bücher versuchen, Antworten auf diese Fragen zu finden. Matthew Ball, Berater und Chef einer Investmentfirma, bezeichnet das Metaverse als die nächste große Computer- und Netzwerkplattform – vergleichbar mit „dem Übergang vom PC und dem Festnetz-Internet der 1990er- Jahre“ zur Ära der Gegenwart mit mobilem Internet und Cloud. Die Gründerin Julia Finkeissen und der Berater Thomas Köhler beschreiben in „Chefsache Metaverse“ eindrücklich, dass wir schon an der „Schwelle des Umbruchs“ stehen, kurz vor dem Durchbruch der neuen Technologie.
Thomas R. Köhler, Julia Finkeissen: Chefsache Metaverse
Campus Verlag
Frankfurt 2023
224 Seiten
40 Euro
Eine allgemeingültige Definition fürs Metaverse gibt es bislang nicht. Einig sind sich die Experten, dass es sich um dreidimensionale und virtuelle Welten handelt, in die wir auch durch VR-Brillen eintauchen werden. Kein Wunder, dass Facebook schon im Jahr 2014 Oculus kaufte, den Marktführer für solche Hardware.
Neben Meta arbeiten gerade eine Vielzahl von Tech-Firmen an Metaverse-Lösungen. Das eine Metaversum wird es daher wohl vorerst nicht geben. Ball prophezeit sogar einen „Kampf um die Vorherrschaft“. Er glaubt, dass die Unternehmen, die die virtuellen Welten dominieren, noch viel mächtiger sein werden als die heutige Digitalwirtschaft.
Das Web 1.0 stand noch fürs reine Seiten-Surfen, die zweite Ableitung war das Social Web, das sich vor allem durch den Smartphone-Massenmarkt entwickelte. Bei beiden Trends ist für Köhler und Finkeissen rückblickend klar, dass „die meisten Unternehmen und Organisationen dabei sein sollten“.
Ohne Webpräsenz und Social-Media-Aktivitäten gehe es heute für die meisten Firmen schlicht nicht mehr. Beim nächsten Trend spreche alles „für einen frühzeitigen Einstieg“, um nicht wieder hinterherzurennen.
Große Konzerne schreiten bereits voran: Spielegiganten wie Lego oder Mattel wollen Bauklötze und Barbies ins Metaverse bringen, Autohersteller investieren in virtuelle Probefahrten und Showrooms, Kreditkartenfirmen wollen den Avataren Finanzdienstleistungen anbieten. Schätzungen darüber, welche Umsätze sich im Metaverse bis Ende des Jahrzehnts verdienen lassen, reichen von konservativen 200 Milliarden bis hin zu mehreren Billionen Dollar.
Die ersten Gehversuche gab es schon vor 20 Jahren: 2003 startete die US-Firma Linden Lab das Spiel Second Life, durch das Nutzer sich per Avatar bewegen und virtuelle Güter kaufen können. Es entstand ein Riesenhype, Staaten eröffneten Ländervertretungen, Unis wie Harvard Repräsentanzen, Unternehmen bauten Shops.
Doch der Durchbruch gelang nie. Erfolgreiche Spiele-Plattformen wie Minecraft, Fortnite oder Roblox funktionieren schon heute mit Metaverse-Ansätzen, definieren sich aber vor allem übers Gaming – auch weil es technische Hürden gibt.
Ein Metaverse muss eine Echtzeit-Erfahrung sein, es darf keine Sprach- oder Steuerungsverzögerungen geben, wenn ich mich mit meinem Avatar-Freund aus Asien unterhalte. Zudem müssen die neuen 3D-Welten es schaffen, Hunderttausenden von Spielern gleichzeitig Zugang zu bieten.
Das braucht enorme Rechenleistung und Serverkapazitäten. In heute üblichen Onlinespielen tummeln sich höchstens 200 Nutzer gleichzeitig in einer Welt. Einen ersten Eindruck, wie ein weltweit geteiltes Massenerlebnis aussehen könnte, bot vergangenen Sommer die Firma Yuga Labs: Beim ersten Demotrip durch ihr Metaverse „The Otherside“ sprangen 4500 Nutzer gleichzeitig durch den virtuellen Sumpf.
Auf der Plattform Decentraland kann man schon heute virtuell pokern, auf Sandbox lassen sich virtuelle Grundstücke kaufen. Während Ball sich mitunter in technischen Details verliert und die lange Historie der zugrunde liegenden Technologien ausführt, sind Köhler und Finkeissen näher dran an der Praxis.
Matthew Ball: Das Metaverse
Verlag Franz Vahlen
München 2022
328 Seiten
24,80 Euro
Vor allem die zweite Buchhälfte dient als Anleitung für Managerinnen und Unternehmer. Die Potenziale in einzelnen Branchen werden aufgezeigt, Schritt für Schritt wird eine Metaverse-Umsetzung im Betrieb durchgespielt. Vor allem für Firmen, die eine jüngere, technikaffinere Zielgruppe bedienen und sich an Endkunden richten sowie auf Lifestyle setzen, seien die virtuellen Welten interessant.
„Ich sehe die virtuellen Welten vor allem als Weiterentwicklung von E-Commerce und Kundenbindung“, sagt Florian Zawodsky, Steuerberater bei EY. Ein Teenager, der seinem Avatar einen digitalen Adidas-Sneaker gekauft hat, wird später auch im realen Leben eher zu der Marke tendieren.
Für Modelabels kann sich das Metaverse zudem direkt lohnen: Laut einer Studie von Morgan Stanley wird das Erlöspotenzial für virtuelle Mode in den nächsten sieben Jahren bis zu 50 Milliarden Dollar betragen. Marken wie Puma, Gucci oder Lacoste verkaufen ihre Produkte schon heute als NFTs, also als digitale Wertmarken, die fälschungssicher auf der Blockchain gespeichert sind.
„Unternehmen sollten sich intensiv mit NFTs und den Möglichkeiten des Metaverse beschäftigen“, rät der NFT-Experte und Buchautor Mike Hager. Das gelte für alle Firmen, die in dem noch jungen Space als Marken wahrgenommen werden wollen.
Für die Frage, welches Metaverse sich am Ende durchsetzen wird, sei es noch zu früh. „Erfolgreich wird der Anbieter sein, der uns über ein Spiel hereinzieht“, glaubt Hager. Niemand werde einen virtuellen Raum betreten, in dem es nichts zu tun gibt. Langeweile gibt es schon im analogen Leben genug – dafür braucht es dann erst recht keine VR-Brille.
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