Seit einem halben Jahr protestieren die Iraner gegen die Machthaber, obwohl das System brutal zurückschlägt. Vier Bücher zeigen nun, was diese Revolte bedeutet und warum es die Chance auf Erfolg gibt.
Iranische Frau zündet ein Feuerwerk
Seit September 2022 gibt es Proteste im Iran – Auslöser war der durch Polizeigewalt herbeigeführte Tod von Jina Mahsa Amini.
Bild: via REUTERS
Düsseldorf „Zan, Zendegi, Azadi!“ – „Frau, Leben, Freiheit!“ Diese kurdischen Worte riefen die Menschen bei der Beerdigung von Jina Mahsa Amin in der iranischen Stadt Saqqez im September 2022. Frauen rissen sich die Kopftücher ab und schwangen sie durch die Luft, Hunderte Menschen kamen zu der Trauerfeier. Es war der Beginn einer Revolte, die bis heute anhält.
Amini wurde in der Hauptstadt Teheran von der Sittenpolizei wegen eines falsch sitzenden Kopftuches aufgegriffen. Wenig später starb die junge Kurdin an den im Gewahrsam erlittenen Verletzungen. Mit ihrem Tod hat ein neues Kapitel iranischer Geschichte begonnen.
Die Iranerinnen und Iraner wehren sich gegen die jahrzehntelange Unterdrückung von Frauen, gegen ein diktatorisches Regime, das sich auf den Islam beruft, aber willkürlich seine eigenen Regeln aufstellt und sich nur seinem eigenen Machterhalt verpflichtet fühlt.
Die Iraner demonstrieren, Frauen gehen ohne Kopftuch auf die Straße, Arbeiter und Ladenbesitzer streiken. Das iranische Regime schlägt hart zurück: Die Revolutionsgarden, die Parallelarmee des iranischen Machthabers Ali Chamenei, schießt auf die Demonstranten, sie werden verhaftet, gefoltert und in Eilverfahren zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International kam es allein im Januar und Februar dieses Jahres zu 94 Hinrichtungen. Dass der Weg der Menschen im Iran dennoch der richtige ist, zeigen gleich vier Bücher, die gerade erschienen sind.
Was es bedeutet, unter einer solchen Herrschaft zu leben, zeigt das Schicksal von Reyhaneh Jabbari. Ihre Mutter Shole Pakravan erzählt auf mehr als 260 Seiten, wie Jabbari ein modernes, aber den religiösen Regeln entsprechendes Leben in Teheran lebte. Bis ein Mann sie mit einem Jobangebot in seine Wohnung lockte und versuchte, sie zu vergewaltigen. In Notwehr erstach Jabbari ihn. Doch statt eines Freispruchs erwartete sie eine Mordanklage.
Das, was folgte, zeigt, mit welcher Willkür das Regime gegen seine Bürger vorgeht. Mit Folter wurde versucht, ein falsches Geständnis zu erzwingen, Jabbaris Anwalt wurde gegen iranisches Recht in seiner Arbeit behindert, der neutrale Richter wurde gegen einen religiösen Hardliner ausgetauscht.
Ein Gerichtsverfahren nach rechtsstaatlichen Prinzipien ist für Frauen im Iran kaum möglich. So ist die Zeugenaussage einer Frau nur halb so viel wert wie die eines Mannes, Frauen müssen sich bei sexuellen Übergriffen oft den Vorwurf anhören, sie wollten Männer verführen.
Sieben Jahre lang kämpfte die Familie gegen die Vollstreckung des Urteils. Eindringlich beschreibt Pakravan, wie sie sich an die Anweisungen der Behörden halten, wie die Lügen und Täuschungen aber nach und nach das Vertrauen in das iranische Rechtssystem zerstören.
Der Leser spürt die Hoffnung und Verzweiflung der Mutter, die ihr Kind retten will. Besonders eindrucksvoll ist, dass auch Jabbari selbst zu Wort kommt. Der Leser bekommt einen Einblick in ihren Gefängnisalltag und ihre Gedanken und Gefühle. In protokollierten Telefonaten berichtet sie von überfüllten Zellen, schlechten hygienischen Bedingungen, untrinkbarem Wasser und gewalttätigen Wärtern.
Shole Pakravan mit Steffi Niederzoll: Wie man ein Schmetterling wird
Berlin Verlag
Berlin 2023
272 Seiten
24 Euro
Aus einer zunächst wütenden, jungen Frau wird eine starke Persönlichkeit, die sich für Mitgefangene und Frauenrechte einsetzt. „Solange ich am Leben bin, auch wenn mein Handeln so lächerlich aussehen mag wie ein Brunnen, der versucht, den Himmel zu erreichen, werde ich nicht aufhören, gegen diese Ungerechtigkeit zu kämpfen“, sagte sie. Am Ende wurde Reyhaneh Jabbari nach langem Kampf hingerichtet. Sie war 26 Jahre alt.
Nach dem Verlust der Tochter merkte ihre Mutter, dass sie mit diesem Schicksal nicht allein ist. Unzählige Mütter haben ihre Töchter und Söhne durch unrechtmäßige Urteile verloren, viele schweigen aus Scham darüber. Pakravan beginnt sich für inhaftierte Frauen zu engagieren, auch nachdem sie 2017 nach Deutschland fliehen musste.
Frauen im Iran und Iranerinnen aus dem Ausland machen auf die Taten des Regimes aufmerksam und verleihen der Revolte so ihre Macht. Sie kämpfen für einen freien, demokratischen und gleichberechtigten Iran. Die Journalistin Natalie Amiri und die Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal stellen in ihrem Buch „Wir haben keine Angst! Die mutigen Frauen Irans“ 15 von ihnen vor.
Eine von ihnen ist die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi. Sie war die erste Richterin im Iran und arbeitet seit ihrem Berufsverbot als Menschenrechtsanwältin. Das iranische Regime überwachte, schikanierte und inhaftierte sie, bis sie 2009 nach London floh. Ebadi legte mit der „Eine-Million-Unterschriften-Kampagne“ einen der vielen kleinen Grundsteine für die aktuelle Revolte.
2007 forderten sie und mehrere Organisationen die Gleichstellung von Mann und Frau. Zwar scheiterten sie, das Ergebnis aber ist heute zu sehen: Frauen stünden in der ersten Reihe, weil sie wüssten, welche Rechte man ihnen genommen habe, schreibt Ebadi: „Jetzt fordern sie diese Rechte ein.“
Die iranisch-amerikanische Frauenrechtlerin Masih Alinejad schreibt über ihre Kindheit und Jugend: „Eine Frau lebt im Iran in einer Hölle. Sie existiert gar nicht.“ Frauen dürfen nicht Fahrrad fahren, keinen Reisepass beantragen, keine Scheidung einreichen.
All diese Ungerechtigkeiten machten Alinejad schon früh zur Aktivistin – und damit auch zur Zielscheibe für das islamische Regime. 2021 vereitelten US-Behörden ihre Entführung aus den USA durch den iranischen Geheimdienst. Alinejad setzt sich dennoch mit Onlinekampagnen weiter für die Menschen im Iran ein. „Die IranerInnen haben genug davon, vorgeschrieben zu bekommen, was sie tun und wie sie denken sollen“, schreibt sie.
Natalie Amiri, Düzen Tekkal: Die mutigen Frauen Irans
Elisabeth Sandmann Verlag
München 2023
144 Seiten
25 Euro
Was bei Alinejads und den anderen Porträts auffällt: Für diese Frauen ist die aktuelle Protestbewegung eine Revolution. Allein die Tatsache, dass die Machthaber den Aufstand trotz der Revolutionsgarden, Massenverhaftungen, Folter und Hinrichtungen bisher nicht beenden konnten, ist ein Erfolg. All diese Frauen glauben an den Sturz des Regimes, auch wenn es dauern sollte.
Zugleich appellieren sie aber auch an die EU und andere westliche Länder, sich entschlossener gegen die Machthaber zu stellen und nicht mehr wegzuschauen. Auch deshalb ist es so wichtig, dass Amiri und Tekkal iranischen Frauen eine Stimme geben. Damit der Kampf der Iranerinnen und Iraner nicht in Vergessenheit gerät.
Wie wichtig die Unterstützung aus dem Ausland für die Menschen im Iran ist, macht Leily deutlich. „Der Druck von außen auf den Iran könne die Situation für uns zumindest ein wenig verbessern“, schreibt sie. Die 26-Jährige, deren Name zu ihrem Schutz anonymisiert wurde, demonstriert zum ersten Mal gegen das Regime.
Aber sie will nicht aufhören – auch wenn sie sich der Gefahren bewusst ist. „Wir wissen, dass wir, wenn alles so weitergeht, keine Zukunft haben“, schreibt Leily. Im Gegensatz zu früheren Generationen habe ihre Generation nichts mehr zu verlieren.
„Diese jungen Menschen wissen ganz genau, was Freiheit ist. Und sie wissen, wer ihnen den Weg versperrt“, schreibt die Journalistin Gilda Sahebi in ihrem Buch „Unser Schwert ist Liebe. Die feministische Revolte im Iran“. Der Staat sei bei ihnen mit seiner Indoktrination gescheitert.
Kaum eine fasst die Ereignisse im Iran so gut zusammen wie Sahebi. Das ist bemerkenswert, da es schwer ist, an Informationen über die Vorgänge dort zu kommen. Es gibt keine offiziellen Angaben, das Regime drosselt das Internet. Sahebi beschreibt detailliert, welche Etappen die Revolte von den ersten täglichen Demonstrationen über den Generalstreik zu immer noch anhaltenden Protesten genommen hat.
Gilda Sahebi: Unser Schwert ist Liebe
S. Fischer Verlag
Frankfurt 2023
256 Seiten
24 Euro
Der Autorin gelingt es, die Ereignisse mit Nähe zu erzählen. Ihr ist es wichtig, die Namen der Opfer sichtbar zu machen, besonders derer, die in Haft sind. „Aufmerksamkeit ist das Einzige, das Leben retten kann“, schreibt Sahebi, besonders aus dem Ausland.
Aufmerksamkeit brauchen zum Beispiel auch Elahe Mohammadi und Niloufar Hamedi. Diese Frauen haben Aminis Tod weltweit bekannt gemacht. Mohammadi berichtete von der Beerdigung in Saqqez, Hamedi aus dem Krankenhaus in Teheran, in dem Amini starb. Beide sitzen dafür in Haft, Mohammedi droht die Todesstrafe.
Beklemmend ist die Todesliste, die das Buch abschließt. Auch wenn die Angaben nur schwer zu überprüfen sind und kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht, sind die fast 500 Namen zu viel.
Um diese Revolte einzuordnen und zu verstehen, ob sie eine Chance auf einen Erfolg hat, braucht es Kontext. Diesen bietet die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur. In „Iran ohne Islam. Der Aufstand gegen den Gottesstaat“ bettet sie die aktuellen Ereignisse in die mehr als 40-jährige Geschichte der islamischen Republik ein – und zeigt, dass der Iran sich Stück für Stück auf den heutigen Punkt in der Geschichte zubewegt hat.
Bereits in den 1990er-Jahren gab es erste Reformversuche. Sie gingen damals noch von der intellektuellen Elite Irans aus. Unter Staatspräsident Mohammad Khatami, einem Reformer, entwickelte sich ab 1997 eine politisch interessierte Öffentlichkeit. Reformen konnte er jedoch kaum umsetzen, da der mit Klerikern besetzte Wächterrat die meisten ablehnte.
In den folgenden Jahren wechselten sich streng religiöse mit gemäßigten Präsidenten ab. Auf Khatami etwa folgte Mahmud Ahmadineschad, der mit seiner Rhetorik gegen den Westen für eine Verschärfung der Sanktionen sorgte. Die angeblich gefälschte Wiederwahl Ahmadineschads löste 2009 die „Grüne Revolution“ aus.
Katajun Amirpur: Iran ohne Islam
C.H. Beck Verlag
München 2023
240 Seiten
25 Euro
Die Iraner gingen frustriert auf die Straßen, das Regime schlug blutig zurück. Doch seitdem, konstatiert Amirpur, sei das Regime in einer Legitimationskrise. Durch das Internet verbreiteten sich erstmals Folterberichte der Opfer.
Der liberalere Hassan Rohani schaffte zwar ab 2013 eine Lockerung der Sanktionen, aber die iranische Wirtschaft war bereits zu schwach. Der Aufschwung war zu kurz, um bei den Iranern wirklich anzukommen. Die Folge: 2017/18 gingen sie wieder auf die Straße.
Jetzt demonstrieren die Menschen erneut. Zwar mahnt Amirpur zu Recht, dass die Revolutionsgarden bis zuletzt das Regime verteidigen werden: „Diese Handlanger haben viel zu verlieren und zu fürchten – vor allem die Rache einer Bevölkerung, die sie jahrzehntelang terrorisiert haben.“
Doch noch nie herrschte eine solche Einigkeit und ein solcher Zusammenhalt im Iran. Frauen kämpfen für ihre Rechte, Männer solidarisieren sich, Ethnien und alle Klassen der Gesellschaft kommen zusammen.
Die Iraner geben sich damit selbst die Chance auf einen Machtumsturz. Und das Ausland, auch Deutschland, kann nicht weiter wegschauen – und nicht mehr schweigen.
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