Wirtschaftskriege ziehen sich durch alle Epochen der Geschichte. Zwei Bücher ordnen ein und schärfen den Blick auf den Ukraine-Krieg.
Wladimir Putin und Olaf Scholz
Eine Distanz, die heute kaum tiefer sein könnte: Zwar steckt Deutschland nicht in einem militärischen Krieg mit Russland, die Autoren sprechen aber von einem Wirtschaftskrieg.
Bild: imago images/ITAR-TASS
Düsseldorf Deutschland steckt mitten in einem Krieg. Ein Satz, mit dem man vorsichtig umgehen muss. Natürlich ist kein Krieg mit Schusswaffen und Soldaten gemeint, schließlich vermeiden es die westlichen Partner im Ukrainekrieg tunlichst, dem Status Kriegspartei nahezukommen. Und dennoch stimmt er.
Nicht nur Deutschland steckt in einem Krieg, genauer gesagt in einem Wirtschaftskrieg, sondern auch alle anderen EU-Staaten, die USA, Großbritannien, Norwegen, Kanada. Kurzum: alle Staaten, die sich den zahlreichen Sanktionen gegen Russland, die Wirtschaft des Landes und insbesondere die Machtelite angeschlossen haben.
Zu diesem Schluss kommen auch der Wirtschaftsethiker Nils Ole Oermann und Hans-Jürgen Wolff, Jurist und Ex-Chef des Bundespräsidialamts. Ihr Buch „Wirtschaftskriege“, das gerade in einer aktualisierten Version erschienen ist, bildet die Historie der wirtschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen Staaten präzise ab. Vor allem aber mahnen sie zu mehr Genauigkeit: Nicht jede Streitigkeit um Im- und Exporte ist mit „Wirtschaftskrieg“ gut beschrieben.
Für die gegenseitigen Sanktionen Russlands und der Ukraine-Unterstützer passt der Begriff allerdings genau. Die Autoren stellen sogar fest: Einen Wirtschaftskrieg ohne gegenseitigen Waffengebrauch in diesem Ausmaß hat es bisher noch nicht gegeben. Selbst der Kalte Krieg fällt dahinter zurück, war der Welthandel in dieser Zeit doch weit weniger verflochten als heute. Nie zuvor entwickelten Staaten so detaillierte Sanktionspakete wie zurzeit.
Sanktionen, halten Oermann und Wolff fest, sind in der Rückschau nicht unumstritten. Politikwissenschaftlern und Ökonominnen fällt es schwer, Wirksamkeit und Genauigkeit klar zu bewerten, zu unterschiedlich sind Kontext und Verläufe einzelner Wirtschaftskriege.
Aber die Autoren halten fest, woran sich Sanktionen messen lassen sollten: Wirken sie? Auf wen und wie stark? Und: Stimmen Ziel und tatsächliche Folgen von Sanktionen überein?
Viele historische Beispiele belegen die Wirksamkeit von Sanktionen. Das Ende der Apartheid in Südafrika etwa, das zeitweise verlangsamte iranische Atomprogramm oder das Gaddafi-Regime in Libyen, das auf Massenvernichtungswaffen verzichtete. Eine allgemeine Regel lässt sich daraus trotzdem nicht ableiten. „Es gibt kein Patentrezept“, schließen die Verfasser.
Nils Ole Oermann, Hans-Jürgen Wolff: Wirtschaftskriege
Verlag Herder
Freiburg im Breisgau 2023
400 Seiten
26 Euro
Die Folgen der Sanktionspolitik gegen Russland nimmt auch Maurice Höfgen in den Blick, der in den vergangenen Monaten eine Art VWL-Influencer geworden ist. In seinem Buch „Der neue Wirtschaftskrieg“ stellt der linke Jungökonom, der früher für den Wirtschaftspolitiker Fabio De Masi im Bundestag arbeitete, fest: Treffsicher waren längst nicht alle Strafmaßnahmen gegen das Regime Putin.
Vielleicht ist es noch etwas zu früh, um die Sanktionen abschließend zu beurteilen, doch Höfgen zieht schon einmal eine erste Zwischenbilanz. Dabei scheint das Buch wie eine Sammlung seiner Tweets in Langform, mit boulevardesker Sprache, Liebe zum detaillierten Erklären und Freude am klaren Urteil.
Maurice Höfgen: Der neue Wirtschaftskrieg
Brumaire Verlag
Berlin 2022
276 Seiten
15 Euro
Die Versuche, das Milliardenvermögen der russischen Oligarchen zu kontrollieren, kritisiert er hart. Dabei wären die Superreichen gewichtige Putin-Flüsterer, wenn sie ihr oftmals auf mindestens zwielichtigen Wegen erworbenes Vermögen denn wirklich in Gefahr sähen. Doch die Schlupflöcher für sie sind eher eine Einladung und lassen jede Menge Spielraum, Besitz zu verschleiern, zu übertragen oder gleich außer Landes zu schaffen.
Dabei sind Sanktionen gegen Oligarchen eigentlich ein Mittel im Wirtschaftskrieg, das ohne große Kollateralschäden auskommt. Es trifft, wen es treffen soll – oder eben nicht, wie zu oft im Wirtschaftskrieg gegen Russland.
Auch mit dem Mythos, am Wechselkurs des Rubels sei die Wirksamkeit der westlichen Sanktionen abzulesen, will Höfgen aufräumen. Zwar fiel der Rubel nach Kriegsbeginn rapide, doch inzwischen notiert die russische Währung etwa auf dem Durchschnittswert der Vorkriegsjahre.
Denn nur mit massiven Kapitalverkehrskontrollen und dem Kniff, sich Energielieferungen in Rubel bezahlen zu lassen, stabilisierte Moskau den Rubel. Über den Zustand der russischen Volkswirtschaft ist damit noch nichts gesagt.
Viel deutet darauf hin, dass Exportverbote Russland hart treffen. Seit Monaten arbeiten Hightech-Branchen und Luftfahrt im improvisierten Betrieb, weil Parallelimporte aus Drittstaaten längst nicht alles ersetzen können. Auch Oermann und Wolff argumentieren, dass die Handelsverbote Russlands Wirtschaft vor allem langfristig treffen und in der Entwicklung um Jahrzehnte zurückwerfen.
>> Lesen Sie auch: Der Zusammenbruch von Russlands Wirtschaft droht
Einig sind sich die Autoren darin, dass die Sanktionen auch die westlichen Staaten viel Geld kosten. Höfgen prangert vor allem den Umgang mit der Energiepreiskrise an. Aus seiner Sicht hätten Gaspreisdeckel und Steuererleichterungen schneller und umfassender helfen müssen.
Insbesondere arme Haushalte, die ohnehin schon einen großen Teil ihrer Mittel für Energie ausgeben, litten unter den Preissprüngen. Oermann und Wolff sind sich trotzdem sicher: Der Wirtschaftskrieg gegen Russland ist „die beste verfügbare Option“.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×