Wie der russische Präsident an die Macht gekommen ist und wie er sich halten kann, analysieren Galia Ackerman und Stéphane Courtois in ihrem neuen Buch.
Wladimir Putin
Putin regiert mit eiserner Macht – doch bleibt das Regime auch ohne ihn bestehen?
Bild: Reuters
Riga Russlands Präsident Wladimir Putin, so ist immer wieder zu hören, hat sein eigenes politisches und persönliches Schicksal unmittelbar an den Krieg gegen die Ukraine geknüpft. Aber wer ist der Herrscher im Kreml, der seit dem Jahr 2000 mit einer Pro-forma-Unterbrechung an der Spitze des russischen Staates steht, wirklich?
An einer Antwort auf diese Frage versuchen sich Galia Ackerman und Stéphane Courtois mit dem von ihnen herausgegebenen „Schwarzbuch Putin“. Gemeinsam mit bekannten Autoren wie Karl Schlögel und Claus Leggewie zeichnen sie in 24 Kapiteln ein vielschichtiges Porträt des Kremlchefs, in dem Putins Entwicklung und die damit in Wechselwirkung stehende Entwicklung Russlands aus verschiedensten Perspektiven beleuchtet werden.
Nicht zu kurz kommen in diesem Kontext natürlich die bereits vielfach analysierte Geheimdienst-Vergangenheit und -Sozialisierung Putins, sein Verhältnis zur Ukraine und seine Angst vor Umbrüchen in Nachbarstaaten und vor den sogenannten Farbrevolutionen.
Doch dann wird das Bild vielschichtiger. So widmet sich Cécile Vaissié Putins Rolle im Umfeld von Russlands Oligarchen. Antoine Arjakowski beleuchtet die Rolle von orthodoxer Kirche und Religion als „politische Waffe“. Die Journalistin und Publizistin Katja Gloger untersucht die deutsche Russlandpolitik, eigene Kapitel erörtern auch Putins Entscheidungen für die Kriege in Tschetschenien und Georgien.
Vervollständigt durch Beiträge über Putins Vorgehen gegen Medien und NGOs, über seine Netzwerke im Westen und seinen Ansatz in der hybriden Kriegsführung ergibt sich so ein umfangreiches Porträt – und ein überzeugendes Bild seiner Herrschaft über eine „angekündigte Diktatur“.
Lesenswert sind vor allem die Schlüsse, die die Herausgeber aus dem Gesamtbild der Beiträge der einzelnen Autorinnen und Autoren ziehen und in denen sie den Finger in die Wunde westlicher Russlandpolitik legen.
Warum beispielsweise „nimmt Wladimir Putin nun schon seit gut zehn Jahren eine internationale Spitzenposition ein?“, fragen sie. Und liefern die Antwort gleich mit: „Sicherlich, weil sein Regime abscheuliche Taktiken benutzt, denen die Demokratien manchmal ohnmächtig gegenüberstehen.“ In nur 22 Jahren habe sich das „sogenannte postkommunistische Russland“ unter Putin in eine „destruktive Macht“ verwandelt, deren wichtigster Exportartikel die Angst sei.
Auch durch eher akademische Einordnungen hebt sich das Buch in seiner Tiefe erfrischend von Teilen der Schwemme an Neuerscheinungen ab, die seit Beginn des Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar 2022 die Buchhandlungen füllen. Zugleich gibt es einige Redundanzen und langatmige Passagen.
Der Titel des Buchs ist übrigens kein Zufall, mit ihm knüpft Herausgeber Stéphane Courtois ganz bewusst an sein 1997 erschienenes „Schwarzbuch des Kommunismus“ an. Courtois ist französischer Historiker, war früher überzeugter Maoist. 1997 wurde er mit der Herausgabe des „Schwarzbuchs des Kommunismus“ weltbekannt.
Das Buch, ebenfalls eine Sammlung von Aufsätzen, beschreibt „Verbrechen, Terror, Unterdrückung“ – so der Untertitel – von kommunistischen Staaten, Regierungen und Organisationen. Das Werk erlangte damals viel Aufsehen, führte aber auch zu heftigen Gegenreaktionen.
Stéphane Courtois, Galia Ackerman: Schwarzbuch Putin
Piper Verlag
München 2023
512 Seiten
26,00 Euro
Zum einen aufgrund der These, Kommunismus und Terror hätten denselben Ursprung, zum anderen wegen der Aussage, Kommunisten hätten mehr Menschen getötet als die Nationalsozialisten. Im Buch selbst beharrten die Autoren allerdings konsequent auf der Einzigartigkeit des Holocaust und betonten stets die Unterschiedlichkeit von Nationalsozialismus und Kommunismus.
Galia Ackerman ist eine französisch-russische Historikerin, Journalistin und Übersetzerin, die sich auf die Ukraine und andere Staaten der ehemaligen Sowjetunion spezialisiert hat. Sie war unter anderem als Übersetzerin für die 2006 ermordete russische Journalistin Anna Politkowskaja tätig.
Die internationalen Perspektiven werfen ein frisches Licht auf Fragen, die in der deutschen Öffentlichkeit bereits vielfach diskutiert wurden, und rücken zudem neue Fragen und Blickwinkel in den Mittelpunkt der Analyse. Natürlich stammen viele der Autorinnen und Autoren aus Frankreich, aber auch die Perspektiven anderer Länder und Akteure kommen nicht zu kurz, etwa die Großbritanniens oder Georgiens.
Gelungen ist dabei vor allem, die Einzigartigkeit des Systems Putins darzustellen. Bewusst grenzen sich viele der Autoren von herkömmlichen Zuschreibungen wie „Faschismus“ oder „Autokratie“ ab und nehmen sich Zeit und Raum, die Eigenheiten zu sezieren, die den russischen Staat und Russland heute ausmachen – von dem Einfluss der sowjetischen Vergangenheit bis zu sozialen, politischen und geografischen Besonderheiten.
Immer präsent ist dabei die geschichtliche Entwicklung Russlands vor allem seit Ende des Zweiten Weltkriegs, sei es mit Blick auf die Kirche, die Medienlandschaft oder das Parteiensystem.
Wer in Sachen Russland belesen ist und sich völlig neue Erkenntnisse vom „Schwarzbuch Putin“ erwartet, könnte gegebenenfalls enttäuscht werden. Auch fällt das Buch etwas hinter den eigenen Anspruch der Herausgeber zurück, „einen einzigartigen Ansatz mit der These, [Putins] Methoden und seine Taktik seien von den Werten des KGB geprägt“, zu vertreten.
Denn diese These ist weder neu noch einzigartig. Dementsprechend ist auch durchaus davon auszugehen, dass die Durchschlagskraft des Werks nicht an die des „Schwarzbuchs des Kommunismus“ heranreichen wird.
Der Aufbau des 500 Seiten dicken Buchs in Kapiteln, die allesamt für sich stehen, macht es allerdings leicht, sich immer wieder einzelne Teile und damit Aspekte zu Gemüte zu führen. Auf diese Art könnte das Buch auch als Nachschlagewerk dienen, denn die Querverweise auf andere Autorinnen und Autoren, Dokumente oder Veröffentlichungen laden zum eigenen Weiterlesen fernab des Buchs ein.
Die wohl spannendste Frage, die durchaus noch mehr Raum und Perspektiven verdient hätte, sparen sich die Herausgeber letztendlich für den Schluss auf: Würde sich Putins Regime halten, sollte er seinen Posten eines Tages verlieren? Die Antworten darauf sind unbedingt lesenswert – aber sicher noch nicht endgültig.
Ljudmila Ulitzkaja, kurz nach Putins Überfall auf die Ukraine von Moskau nach Berlin gezogen, veröffentlicht eine Mischung aus biografischen Erinnerungen und politischen Reflexionen.
Joe Chialo: Der Kampf geht weiter
Murmann Verlag
Hamburg 2022
200 Seiten
24 Euro
Seit mehr als 25 Jahren berichtet Michael Thumann als Journalist aus Russland. In „Revanche“ beschreibt er Russlands Absturz in eine zunehmend totalitäre Diktatur und den Weg in Putins imperialistischen Krieg.
Michael Thumann: Revanche
C.H. Beck Verlag
München 2023
288 Seiten
25 Euro
Während Russland 2014 die Krim annektiert, kehrt die Autorin in die Heimat ihrer Familie, die Ukraine, zurück. Dort begibt sie sich auf eine Spurensuche in die Vergangenheit ihrer Familie.
Victoria Belim: Rote Sirenen
Aufbau Verlag
Berlin 2023
350 Seiten
22 Euro
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