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21.10.2022

08:52

Shortlist Wirtschaftsbuchpreis

Mit einer „Revolution in den Köpfen“ gegen den Wohlstandsverlust

Von: Erik Acker

Stepstone-Chef Sebastian Dettmers analysiert die Arbeiterlosigkeit und wie der Rückgang der Weltbevölkerung unseren Wohlstand bedroht. Lösungen für das Problem liefert er mit.

Roboter gegen Personalmangel Thomas Kuhlenbeck

Arbeitskräfte werden knapp

Automatisierungen können ein Teil der Lösung sein.

Lange Zeit war Wahlkampf in Deutschland damit verbunden, dass Parteien etwas gegen die Arbeitslosigkeit in Deutschland unternehmen wollten. Nun ist die Debatte eine andere. „Die große Arbeiterlosigkeit“ heißt Sebastian Dettmers Buch, das sich mit der Frage beschäftigt, warum eine schrumpfende Bevölkerung unseren Wohlstand gefährdet und was man dagegen tun kann.

Der Chef der Jobplattform Stepstone sieht schon seit längerer Zeit viel mehr in der Arbeiterlosigkeit eine Bedrohung für unseren Wohlstand als in der Arbeitslosigkeit. Dettmers legt den Fokus auf wirtschaftliches Wachstum als maßgeblichen Faktor für Wohlstand. Vermutlich deshalb beschreibt er ausführlich vier unterschiedliche Wachstumsgeschichten aus den USA, China, Großbritannien und Deutschland. Und darin liegt auch eine Stärke des Buchs.

Da ist zunächst China, das Land, dessen Bevölkerung innerhalb von 120 Jahren von 400 Millionen (1900) auf mehr als 1,4 Milliarden Menschen angewachsen ist. Und mittlerweile stammt jedes vierte Unternehmen der 500 umsatzstärksten der Welt aus der Volksrepublik.

Dann sind da die USA, die (noch) größte Wirtschaftsmacht der Welt, deren Bevölkerung laut Dettmers vom „Glauben an Aufstieg und Fortschritt“ profitiert. Dieser Glaube sei ein wichtiger Aspekt der Gesellschaft und habe mit dafür gesorgt, dass die Pro-Kopf-Produktivität von 60.000 US-Dollar mit Abstand die höchste weltweit ist. 

Großbritanniens Wachstum ist über Jahre auf seine Vorreiterrolle während der Industrialisierung zurückzuführen. Seit Mitte der 1980er-Jahre war London dazu das wichtigste Finanzzentrum Europas.

Währenddessen sorgen die erfolgreichen deutschen Unternehmen aus Autoindustrie, Maschinenbau, Chemie und Technologie dafür, dass der deutsche Anteil am Welthandel sieben Prozent beträgt, obwohl nur ein Prozent der Weltbevölkerung deutsch ist.

Sebastian Dettmers: Die große Arbeiterlosigkeit.
FinanzBuch Verlag
München 2022
256 Seiten
25 Euro

Was alle Länder gemeinsam haben, ist das Problem eines stagnierenden Bevölkerungswachstums, ja sogar einer schrumpfenden Bevölkerung. Und weil der Wohlstand unserer Gesellschaft vor allem auf wirtschaftlichem Wachstum fußt, braucht es neue Lösungen, schreibt Dettmers. Denn bisher war wirtschaftliches Wachstum stark von einer wachsenden Bevölkerung abhängig.

Wenn Dettmers die Geschichte vom wirtschaftlichen Aufschwung der vier Länder erzählt, fühlt man sich nicht mit Daten überhäuft, obwohl es viele Zahlen zu lesen gibt. Aber jede davon erfüllt ihren Zweck. Er beschränkt sich auf die wichtigsten Epochen und geschichtlichen Ereignisse, zeichnet aber trotzdem ein umfassendes Bild der Wohlstandsentwicklung.

Wie Dettmers den Wohlstand retten will

Drei Punkte sind ihm besonders wichtig. Erstens die Migration: In ihr sieht er eine große Chance für Länder in Europa, denn „die meisten Menschen migrieren, um zu arbeiten“. Die Beispiele USA und Kanada sollen als Vorbild dienen, weil sie sich schon gezielt um Fachkräfte bemühen – im Gegensatz zu Deutschland und dem Rest Europas. Den USA bescherte das bisweilen einen Boom in der Gründerszene. So sei nicht nur zuletzt jedes zweite Start-up, das mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet ist, von Menschen aus Einwandererfamilien gegründet worden.

Als Zweites nennt Dettmers Investitionen in Innovationen. Als Drittes verbesserte und fairere Bildungschancen. Das ist weniger neu. Dettmers macht aber auch deutlich, wie wichtig es ist, Arbeitsprozesse mit geringer Wertschöpfung zu automatisieren. Dabei soll seiner Meinung nach ein Mindestlohn von 20 Euro für die nötigen Anreize bei Unternehmen sorgen. Gewerkschaften würden hier sicher anders argumentieren.

Der CEO von Stepstone sieht im Bevölkerungsrückgang auch neue Chancen. Vor allem die Schaffung von Chancengleichheit könne nun gelingen.

Sebastian Dettmers

Der CEO von Stepstone sieht im Bevölkerungsrückgang auch neue Chancen. Vor allem die Schaffung von Chancengleichheit könne nun gelingen.

Dass Dettmers die mangelnde Flexibilität des deutschen Arbeitsmarkts kritisiert, überrascht wenig. Für ihn seien die Anreize zu gering, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihren Job wechseln und dafür selbst kündigen. Und doch kann man – wie Dettmers – die Frage stellen, wo Deutschland stünde, würden wir alle genau den Job ausüben, der zu uns und unseren Kompetenzen passt.

„Eine Revolution in den Köpfen“ sei nötig, um sich der Arbeiterlosigkeit entgegenzustellen. Um veraltete Strukturen aufzubrechen, Digitalisierung voranzutreiben und um vor allem die Produktivität zu steigern.

Was dem Buch fehlt? An einigen Stellen vielleicht die objektive Sicht auf den Fachkräftemangel. Dettmers’ Unternehmen verdient sein Geld mit der Arbeiterlosigkeit und einem volatilen Arbeitsmarkt. Auch dass Wohlstand mit dem Streben nach ständigem Wachstum gesichert werden soll, ist eine recht liberale Sicht auf die Dinge. Und Stepstone dürfte daran interessiert sein, dass die Wirtschaft wächst und Unternehmen Arbeitskräfte suchen.

Doch das Problem der Arbeiterlosigkeit besteht unabhängig davon, Dettmers geht mit seinem Hintergrund offensiv um – und weiß daher, wovon er spricht. Insofern lohnt sich die Lektüre. Nicht nur, weil klar wird, in welche Richtung sich der Arbeitsmarkt entwickelt und welche Herausforderung das mit sich bringt, sondern auch, weil die Ansätze des Stepstone-Chefs fundiert und als Appell Richtung Politik zu verstehen sind.

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