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05.11.2022

16:00

Streitschrift

Warum es kein Ende des Kapitalismus gibt

Von: Frank Wiebe

Kapitalismus hat den Wohlstand gebracht, gleichzeitig ruiniert er die Umwelt. Die Hoffnung auf einen Systemwechsel fasziniert, ist aber vergeblich und führt in die Irre.

Der Kapitalismus ist stark auf Wachstum fixiert. Dabei bringt er gleichzeitig auch die Umwelt zunehmend in Gefahr.

Ein Mann auf einer glühenden Erde

Der Kapitalismus ist stark auf Wachstum fixiert. Dabei bringt er gleichzeitig auch die Umwelt zunehmend in Gefahr.

„Das Ende des Kapitalismus“, so der Titel des neuen Buchs von Ulrike Herrmann, haben schon viele vorausgesagt. Ein gewisser Karl Marx zum Beispiel, der diese Prognose aus seiner Mehrwert-Theorie ableitete, mit der er im „Kapital“ den kapitalistischen Prozess erklärt und dabei die Rolle des Kapitals völlig ausgeklammert hat. Wir kennen das Ergebnis: Die Arbeiter haben sich letztlich für den Kapitalismus entschieden, wenn sie gefragt wurden.

Ideen, ihn abzuschaffen, gab es ebenfalls schon häufig, zum Beispiel 2019 in „Konsequenzen des Kapitalismus“ von Noam Chomsky und Mary Waterstone. Dort findet sich der Vorschlag, die Betriebe von den Arbeitern verwalten zu lassen. Eine Idee, deren Schwächen im alten Jugoslawien bereits ausgiebig empirisch nachgewiesen wurden; auf Dauer hat der nicht funktionierende Kapitalmarkt zu einem nicht funktionierenden Arbeitsmarkt geführt.

Kapitalismusfeindliche Parolen klingen manchmal auch bei Demonstrationen von „Fridays for Future“ an; das kann man jungen Leuten nicht verübeln, die in diesem System aufgewachsen sind und die Erfahrung machen, dass das Klima einfach immer weiter beschädigt wird. Aber wer sich länger mit dem Thema beschäftigt, sollte klarer sehen.

Kapitalismus heißt einfach: Kapital kann dort eingesetzt werden, wo es gebraucht wird. Es heißt auch: Reichtum wird weniger in Luxus verschwendet und dafür mehr produktiv eingesetzt. Beides zusammen hat sich bewährt, vor allem in Zusammenhang mit dem Sozialstaat europäischer Prägung.

Bei näherer Analyse aber gibt es daher weder Grund, das Ende des Kapitalismus herbeizusehnen, noch die Aussicht, dass er sich von allein erledigt. Trotzdem fasziniert der Gedanke offenbar immer noch, warum sonst würde er immer wieder aufgegriffen? Ein Autor wie der Historiker Werner Plumpe, der 2019 unter der Überschrift „Das kalte Herz“ eine umfangreiche und recht apologetische Geschichte des Kapitalismus veröffentlicht hat, tut sich schwerer: Kritik am System klingt immer noch intellektueller als Kritik an einer systemkritischen, aber letztlich fehlgeleiteten Ideologie.

Kapitalismus zu sehr auf Wachstum fixiert

Hermann hat eine vorgezogene Grabrede auf den Kapitalismus geschrieben und das mit dem Anspruch verbunden, zur Lösung der Klimakrise beizutragen. Ein Gedanke, der wahrscheinlich unwiderlegbar ist, solange der Kapitalismus immer weiter existiert und der Klimawandel ebenfalls weitergeht, was allerdings nicht heißt, dass das eine die Konsequenz des anderen ist.

Dabei geht die Autorin zunächst sehr geschickt vor. Sie räumt ein, dass der Kapitalismus für viel Wohlstand gesorgt hat. Sie distanziert sich auch von allzu naiven Degrowth-Ideen, nach denen man einfach das Wachstum abwürgen muss, damit automatisch das Klima weniger geschädigt wird. Dabei vertritt sie aber auch die Meinung, der Kapitalismus sei zu sehr auf Wachstum fixiert und könne daher nicht in ökologisch vertretbare Bahnen gelenkt werden – womit sie Degrowth dann doch wieder recht gibt.

Am Ende kommt sie mit einer Idee, die grotesker kaum sein könnte: Das heutige Wirtschaftssystem sollte nach dem Muster der britischen Kriegswirtschaft umgemodelt werden. Grotesk aus mehreren Gründen: Einmal haben die Briten den Kapitalismus gar nicht abgeschafft, sondern nur vorübergehend stark in ihn eingegriffen, sodass die „Lösung“ des Klimaproblems nicht zur These des Buchs passt.

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Zweitens herrscht heute eben kein Krieg, der in der Regel zeitlich begrenzt und stark auf die Nation bezogen stattfindet, während der Klimawandel eine langwierige internationale Krise ist. Herrmann räumt das ein, zieht aber nicht die Konsequenz daraus.

Drittens glaubt sie, Planwirtschaft habe in der Vergangenheit nicht funktioniert, weil Betriebe verstaatlicht wurden, und übersieht dabei, dass Märkte genau die Steuerungsfunktion übernehmen, die sie ihnen entreißen und der Regierung übertragen will.

Und viertens: Welche Partei, die mit dem Anspruch antritt, künftig Unternehmen und Bürgern vorzuschreiben, was sie zu verbrauchen haben, würde es über die Fünfprozenthürde schaffen?

Warum werden ausgerechnet die Briten als Vorbild genannt, schließlich haben die Nazis ganz ähnliche Kriegswirtschaft betrieben? Weil Großbritannien so den Beweis liefern soll, dass Kommandowirtschaft auch in einer Demokratie und nicht nur in einer (Öko-)Diktatur möglich ist. Aber hätten die Briten ohne den Druck des Kriegs der Regierung so viel Spielraum gelassen? Wohl kaum.

Ulrike Herrmann: Das Ende des Kapitalismus
Kiepenheuer & Witsch
Köln 2022
352 Seiten
24,00 Euro

Und in Deutschland kann man sich ja ohne schwierigste Verhandlung nicht einmal darauf einigen, ob Öko-Benzin sinnvoll ist oder ob ein Atomkraftwerk drei Monate länger laufen darf. Wie soll da eine Wirtschaft funktionieren, bei der der Staat die Unternehmen zwar nicht besitzt, aber ihnen „nur“ vorschreibt, was sie zu produzieren haben?

Wer sich mit ökologisch bewegten Linken unterhält, kann feststellen, dass es zwei Lager gibt. Einmal solche, die tatsächlich glauben, man muss das gesamte System ändern, um die Welt zu retten. Die scheinen ein hoffnungsvolles Lesepublikum abzugeben.

Dann gibt es aber auch viele, die den Kapitalismus nicht mögen, aber einräumen, dass man mit der Bekämpfung des Klimawandels nicht warten kann, bis das System verschwunden oder durch etwas Besseres ersetzt ist. Mit dieser zweiten Kategorie können auch überzeugte Marktwirtschaftler in der Umweltpolitik recht pragmatisch zusammenarbeiten. Mit der ersten Kategorie nicht.

Hermann und ebenso die Degrowth-Anhänger haben ja recht, dass noch viel mehr passieren muss, um den Klimawandel zu bekämpfen. Ihre Skepsis, dass sich die Wirtschaft auf „Grün“ umstellen lässt, ohne dass es jemandem wehtut, ist durchaus realistisch. Die Behauptung, dass man über Preise, wie Marktwirtschaftler es fordern, den Ressourcenverbrauch nicht einschränken kann, ist schon weniger überzeugend.

Herrmann schreibt, dass sich die meisten Autofahrer auch hohe Spritpreise leisten können. Aber vielleicht sind sie dann einfach nicht hoch genug, und vielleicht gibt es zu wenige gute Alternativen zum Auto. Richtig ist, dass es neben den Preissignalen auch direkte Einschränkungen geben kann und muss.

Ein Beispiel ist dafür die Kommunalpolitik, die großen Einfluss darauf hat, wo und wie viele Autos auf den Straßen fahren können – aber auch auf die Qualität des öffentlichen Nahverkehrs. Reiht sich ein in ein Schema, das es eigentlich bekämpfen möchte.

Ein Ende des Kapitalismus wird es aus zwei Gründen nicht geben

Einmal, weil es keine brauchbare Alternative gibt, und eine Kriegswirtschaft mit staatlicher Ressourcenverteilung ist eben nur für den Krieg brauchbar. Der zweite Grund ist aber fast noch wichtiger. Wir sehen jetzt schon, wie schwierig es ist, eine konsequente Klimapolitik durchzusetzen, weil es fast immer auch Verlierer dabei gibt.

Um wie viel schwieriger wäre es, gleich das System abzuschaffen, das, wie Herrmann zugibt, ja eine Menge Wohlstand schafft? Auch die Idee, dass der Kapitalismus von allein stirbt, wenn die Klimakrise noch härter zuschlägt, führt nicht sehr weit. Vor allem – was für eine Konsequenz sollte daraus heute folgen?

In Wahrheit ist es sehr bürgerlich-bequem, über das Ende des Kapitalismus zu philosophieren, statt sich für eine bessere Klimapolitik einzusetzen. Wenn das System unweigerlich in die Hölle führt, braucht man sich keine Gedanken zu machen, was hier und im heutigen politischen und gesellschaftlichen Rahmen zu tun wäre.

Damit reiht sich das Buch ein in ein Schema, das es eigentlich bekämpfen möchte: Ersatzhandlungen für Politik zu finden und sich damit zu begnügen. Wir fliegen dann mit Ökokerosin durch die Gegend, fahren Ökoautos, essen Ökobananen und investieren in Ökofonds, beziehen Ökostrom und lesen Ökobücher.

Aber der Verbrauch an Primärenergie steigt weiter, wird immer noch nicht nachhaltig gedeckt, und letztlich ändert sich nichts, weil wir alles Einschneidende verschieben, bis wir eine wählbare Alternative zum Kapitalismus gefunden haben.

Tatsächlich sind die politischen Optionen, innerhalb der bestehenden Ordnung den Klimawandel zu bekämpfen, zwar längst bekannt, aber noch lange nicht ausgeschöpft. Was helfen könnte, wäre daher eine konsequente Politik, etwa in den Bereichen Verkehr, Energiegewinnung, Immobiliensanierung. Was fehlt, ist der Wille dazu. So einfach ist das – und so schwer.

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