#MeToo
Vor rund einem Jahr trat ein Artikel über sexuelle Belästigung durch Hollywood-Mogul Weinstein die #MeToo-Debatte los.
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Bald beginnt die Frankfurter Buchmesse. Nach dem Skandal beim Literaturnobelpreis fragen sich viele: Welche Rolle spielt Sexismus in der Branche?
Düsseldorf Von Termin zu Termin hetzt Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, derzeit. Schließlich öffnet der weltweit größte Branchentreff nächsten Mittwoch wieder seine Pforten. Welche Wucht die Buchmesse hat, zeigen die Zahlen. Mehr als 7300 Aussteller aus rund 100 Ländern werden über 400.000 Buchtitel, Landkarten, Manuskripte, Grafiken und digitale Medien wie Hörbücher und E-Books präsentieren.
Die Veranstalter rechnen mit rund 286.000 Besuchern. Schon jetzt haben sie etwa 40 Prozent mehr Tickets verkauft als im Vorjahr. Denn es steht eine ganz besondere Messe bevor: Die Verlagsszene kommt dieses Jahr zum 70. Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zusammen.
Ebenfalls ihren 70. Geburtstag feiert im Dezember die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Dieses Jubiläum wird neben dem Ehrengast Georgien ein weiteres Schwerpunktthema der Buchmesse sein.
Frauenrechte sind Menschenrechte. Anlass genug, um mit dem ehemaligen Verlagsmanager Boos, seit 2005 im Amt, darüber zu sprechen, welche Rolle Sexismus in der Verlagsbranche spielt und welche Spuren die vor knapp einem Jahr begonnene #MeToo-Debatte in der Welt der Feingeister, Edelfedern und Verlagsbosse hinterlassen hat.
„Die #MeToo Debatte hat die Buchbranche nicht im gleichen Umfang erreicht wie etwa die Filmbranche“, sagt Boos. Sie sei für ihn vor allem ein Teilaspekt der Geschlechtergerechtigkeit. Doch hier habe, räumt Boos ein, die Branche Nachholbedarf. Obwohl überproportional viele Frauen in der Buchbranche arbeiten, bekleidet nur etwa ein Drittel von ihnen Führungspositionen.
Gerade auch deshalb sorgte zuletzt ein Verlegerwechsel bei Rowohlt für Unverständnis. Der Bestsellerautor Florian Illies („Generation Golf“ und „1913“) soll zum 1. Januar 2019 Leiter des traditionsreichen Hamburger Verlags werden und Barbara Laugwitz ablösen. Unter vielen Schriftstellern sorgte die Entscheidung für Entsetzen.
Unter anderem in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ äußerten namhafte
„Ich wünsche es mir nicht, kann aber nicht ausschließen, dass es auch bei uns so etwas gibt.“
Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse.
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Rowohlt-Autoren heftige Kritik. Paul Auster nannte Laugwitz eine der besten Verlegerinnen, mit denen er je gearbeitet habe. „Ihr Rausschmiss ergibt für mich keinen Sinn.“ Seine Ehefrau Siri Hustvedt, ebenfalls eine erfolgreiche Rowohlt-Autorin, monierte, es gebe ohnehin „sehr wenige Frauen in den oberen Etagen der Verlagswelt“.
Sie müsse nun „die rätselhafte Entlassung einer Frau beklagen, die so brillant gearbeitet hat“. Wütend äußerte sich die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek: „Jetzt ist schon wieder eine Frau rausgekippt worden wie Abfall.“ Ob Diskriminierung hinter dem Rauswurf steht, darüber lässt sich nur spekulieren. Laugwitz hat sich bislang nicht geäußert – der Verlag habe ihr eine Sperre auferlegt, sagen ihre Anwälte.
Boos jedenfalls hat sich das Ziel gesetzt, zumindest die Verteilung von Autorinnen und Autoren auf der Buchmesse anzugleichen. Die Buchmesse präsentiert ein Jahr nach Beginn der #MeToo-Debatte nun die Talkreihe „Streiterinnen!“ auf der ARD-Bühne. Jeweils um 16 Uhr diskutieren Autorinnen, Schauspielerinnen und Filmemacherinnen wie Esther Schweins über Streitbares, etwa Sprache als Ausdruck von Macht oder eine Bezahlung, die für beide Geschlechter gleich ist.
Bei der Eröffnungs-Pressekonferenz am Dienstag wird die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie auftreten, deren Manifest „We Should All Be Feminists“ – was „Wir sollten alle Feministen sein“ heißt – weltweit eine Diskussion über Frauenrechte ausgelöst hat. Das Essay basiert auf einem Ted-Talk aus dem Jahr 2012. Das Video wurde mehr als fünf Millionen Mal gesehen und gehört mit zu den beliebtesten Beiträgen der Gesprächsreihe, die jährlich stattfindet.
26 Prozent der Frauen wurden an ihrem Arbeitsplatz sexuell belästigt. Die MeToo-Debatte könnte aber für Sensibilisierung gesorgt haben.
Solche Maßnahmen, die Autorinnen sichtbarer machen, sind für Nina George, Journalistin, Bestsellerautorin und Präsidiumsmitglied der Schriftstellervereinigung Pen, jedenfalls überfällig. Seit Jahren zählt sie Frauen bei Preisvergaben, auf Podien, in Programmen, in Lesungskalendern.
Ihr Befund: „Der deutsche Literaturbetrieb hat’s nicht so mit Frauen.“ In Deutschland gibt es 580 Literaturpreise, davon gelten 140 als „wichtig“, zwei Dutzend als die Krönung des Schaffens, schreibt George in einem Beitrag für das „Börsenblatt“. „Ihre Jurys sind, kumuliert, zu 23 Prozent mit Frauen besetzt. Ich zählte die Gewinne der Krönungspreise seit jeweiligem Beginn der Verleihungen. Das Ergebnis: Männer gewinnen fünfmal häufiger. Ausnahme: der Deutsche Buchpreis.“
Ähnliches wiederholt sich im Rezensionsbetrieb, in den Feuilletons, der Spielwiese des Hochintellekts. Die Pilotstudie „Sichtbarkeit von Frauen in Medien und im Literaturbetrieb“ des Buchbranchenprojekts #frauenzählen in Kooperation mit der Universität Rostock wird am 10. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt und kommt zu folgendem Ergebnis: Männer schreiben am liebsten über Männer, und das lang und oft.
In allen Medien (mit Ausnahme von Frauenzeitschriften) erhalten Autoren bei Besprechungen eine „häufigere Aufmerksamkeit“: Zwei Drittel der rezensierten Bücher sind von Männern verfasst worden. Besonders ungleich ist die Situation beim Sachbuch. Lediglich jedes fünfte von einem Mann rezensierte Sachbuch stammt von einer Autorin. Nur in der Kriminalliteratur ist die Ungleichheit noch größer.
George erzählt auch von „einigen wenigen Verlegern“, die Autorinnen angeboten hätten, sie im begehrten Hardcover zu verlegen, wären die ein „bisschen netter zu ihnen“. Namen will sie keine nennen, sie war in den Situationen nicht dabei. Allerdings sieht sie keine „strukturellen Probleme“.
Die üblichen Ärgernisse, die Frauen aus der Arbeitswelt kennen, den Altherrenwitz, das Verniedlichen oder Nichternstnehmen, das gebe es bisweilen auch im Literaturbetrieb. Häufiger habe George das allerdings in Zeitungsredaktionen erlebt. Unter Zuständen wie in der Filmindustrie, Stichworte sind Harvey Weinstein, Kevin Spacey oder Dieter Wedel, leide der Literaturbetrieb nicht.
Ein junger Mann soll von einer Schauspielerin missbraucht worden sein. Der Fall zeigt, dass die MeToo-Debatte dringend ein sachliches Fundament braucht.
Hoffentlich. Denn es gab eine prominente Ausnahme: die sexuellen Übergriffe im Umfeld der altehrwürdigen Akademie, die den Literaturnobelpreis vergibt. Der Fotograf Jean-Claude Arnault, Ehemann eines Akademiemitgliedes, soll 18 Frauen – darunter Kronprinzessin Viktoria – sexuell belästigt und sich auch finanzielle Vorteile verschafft haben.
Die Chefin der Akademie trat im April zurück, die Preisvergabe ruht. Die Intransparenz um die Entscheidungen der Schwedischen Akademie, die auch über andere Preise befindet, ist ein Kartell des Schweigens. Boos sagt, ihn hätten die „Ausmaße der Vorkommnisse überrascht“.
Laut dem Buchmesse-Chef hat der Skandal vor allem dem Literaturnobelpreis geschadet. Doch auch die Buchbranche bleibt davon nicht ganz unberührt. Der Preis sei als Gütesiegel sehr wichtig, auch als verkaufsfördernde Maßnahme. Mit Blick auf sexuelle Gewalt sagt auch Regula Venske, Präsidentin von Pen, der Literaturbetrieb sei nicht mit der Filmbranche zu vergleichen.
Aber natürlich gebe es auch dort Sexismus und von Verleger- oder Kritikerseite die Möglichkeit, Macht zu missbrauchen. „Ich bin seit über dreißig Jahren in der Branche“, sagt Boos. „Ich wünsche es mir nicht, kann aber nicht ausschließen, dass es auch bei uns so etwas gibt.“
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