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18.01.2023

17:18

Achim Wambach gegen Ulrike Herrmann

Streitgespräch: Klimaneutralität und Wirtschaftswachstum – ist beides gleichzeitig möglich?

Von: Anis Mičijević

PremiumDer Global Risks Report nennt den Klimawandel als größtes Risiko für die kommenden zehn Jahre. Aber lassen sich Klimaneutralität und Wachstum in Einklang bringen?

Die Buchautorin und der Volkswirt diskutieren über die Frage, ob Klimaneutralität und Wirtschaftswachstum miteinander vereinbar sind.Quelle: Imago (2)

Ulrike Herrmann und Achim Wambach

Die Buchautorin und der Volkswirt diskutieren über die Frage, ob Klimaneutralität und Wirtschaftswachstum miteinander vereinbar sind.

Quelle: Imago (2)

Düsseldorf Das Weltwirtschaftsforum warnt in seinem diesjährigen Global Risks Report davor, dass die nächste Dekade von ökologischen und sozialen Krisen gekennzeichnet sein werde. Die befragten Experten sehen ein mögliches Versagen bei der Eindämmung des Klimawandels als größtes Risiko für die Welt in den kommenden zehn Jahren. In diesem Zusammenhang wird immer wieder darüber diskutiert, ob grenzenloses Wirtschaftswachstum mit den endlichen Ressourcen der Erde vereinbar ist.

ZEW-Präsident Achim Wambach und Bestsellerautorin Ulrike Herrmann sind sich einig, dass die grüne Transformation und Klimaneutralität unerlässlich sind. Sie haben jedoch grundsätzlich verschiedene Vorstellungen darüber, wie das gelingen soll.

Wambach setzt auf grüne Technologien und Innovationen, Herrmann hält „grünes Schrumpfen“ für unvermeidlich. Im Handelsblatt-Today-Streitgespräch ringen sie um die besten Argumente.

Lesen Sie hier Auszüge des Streitgesprächs aus der aktuellen Podcast-Folge:

Frau Herrmann, sind Klimaneutralität und wirtschaftliches Wachstum miteinander vereinbar? Kann es grünes Wachstum geben?
Herrmann: Aus meiner Sicht nein. Grünes Wachstum beruht auf der Idee, dass alles weitergeht wie bisher und dass man nur auf technische Lösungen setzt, um die CO2-Emissionen zu reduzieren. Die Idee ist, dass man die gesamte Wirtschaft auf Strom umstellt und den Strombedarf durch Windräder und Solarenergie deckt. Man muss also große Mengen an Strom zwischenspeichern. Dafür gibt es nur Batterien und perspektivisch grünen Wasserstoff. Aber beides ist so teuer, dass klar ist, dass Energie nicht im Überfluss zur Verfügung stehen wird. Der Kapitalismus ist aber ein System, das sehr viel sehr billige Energie braucht. Wie abhängig das ganze System von der Energie ist, das haben wir jetzt alle erlebt, als plötzlich das Gas knapp wurde.

Herr Wambach, was antworten Sie darauf? Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein. Was macht Sie so optimistisch, dass das mit technischem Fortschritt zu erreichen ist?
Wambach: Wir beobachten bereits jetzt grünes Wachstum. Seit 1990 ist in Europa die Wirtschaftsleistung um 60 Prozent gestiegen. Gleichzeitig sind die Emissionen um 20 Prozent zurückgegangen. Wir sehen also bereits eine Entkopplung. Der Weltklimarat IPCC geht davon aus, dass wir die Weltklimaziele auch mit einem massiven Weltwirtschaftswachstum erreichen: Bis 2050 wird sich das globale Bruttoinlandsprodukt verdoppeln.

Die größte offene Frage ist, ob wir ein Weltklimaabkommen hinkriegen. Die großen Emittenten befinden sich nicht in Europa, sondern im asiatischen Raum. Das sind China und Indien – und die werden weiter wachsen müssen, weil sie sonst ihre Bevölkerung nicht werden ernähren können.

Ein Abkommen mit diesen Ländern kriegen wir nur mit guten technologischen Lösungen hin. Bei Solar- und Windkraftanlagen sind die Kosten in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch gesenkt worden. Wenn wir das auch bei grünem Wasserstoff hinbekommen, dann kann man auch optimistisch sein, dass es für Länder wie China und Indien attraktiv sein wird, solche Technologien einzusetzen.

Herrmann: Aber der Punkt ist: Wir müssen klimaneutral werden. Es reicht nicht, wenn wir die CO2-Emissionen senken. Man hat es bisher nicht geschafft, sich von den fossilen Energieträgern zu lösen. Im Augenblick deckt die Solarenergie zwei Prozent des deutschen Endenergieverbrauchs ab und der Wind 4,7 Prozent. Der Rest ist fast alles fossile Energie, und wir müssen praktisch noch die gesamte Wirtschaft umstellen.

Herr Wambach und ich sind uns ja einig, dass man auf grünen Wasserstoff als Speichertechnologie setzen muss. Aber den gibt es noch gar nicht zu konkurrenzfähigen Preisen. Wir müssen 2045 klimaneutral sein, also in 22 bis 23 Jahren. Und da kann man ganz sicher sein, dass in dieser kurzen Zeit der grüne Wasserstoff nicht billig werden wird.

Herr Wambach, was sagen Sie denn zu dem Vorwurf, diese ganzen Überlegungen seien nicht ausreichend in die Studien eingeflossen?
Wambach: Na ja, in den Studien sind natürlich Annahmen drin mit Blick auf das Wirtschaftswachstum. Erfindungen und neue Entwicklungen muss man annehmen, weil man ja gar nicht weiß, was kommt. Wer hätte das Smartphone vor 30 oder 40 Jahren vorhergesagt? Wenn man sagt, wir kriegen es nicht hin, und fahren deswegen jetzt die Wirtschaft herunter, dann ist das wie Selbstmord aus Angst vor dem Tod.

In der aktuellen Krise sieht man doch ganz gut, dass Preise immens wirken. Wie stark hat die Industrie ihren Gasverbrauch in den letzten Monaten reduziert, obwohl sie noch gar keine großen Investitionen hat tätigen können? Die Haushalte sparen extrem Gas ein.

Herrmann: Natürlich sinkt der deutsche Gasverbrauch im Augenblick, aber die Bundesregierung gibt gerade 200 Milliarden Euro aus, um die Haushalte und die Unternehmen zu entlasten, die mit diesen Gaspreisen eigentlich überfordert sind. Und da sieht man ja schon, dass das auf Dauer in dieser Form nichts wird. Die Industrie verschiebt viele Prozesse nach dem Motto „Irgendwann wird das Gas wieder billiger“.

Kurze Nachfrage: Sie denken also, dass wir nach dem Krieg wieder Gas aus Russland beziehen?
Herrmann: Ja, ich glaube, das denkt jeder. Russland ist ein Land, das nichts anderes hat, außer seine Rohstoffe. Das ist ein Land, das praktisch deindustrialisiert ist. Und wenn man nichts hat außer Gas und Öl, wird man das irgendwann wieder exportieren. Wahrscheinlich nicht, solange Putin an der Macht ist.

Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich ewig hält. Irgendwann wird das Gas aus Russland zurückkommen, und bis dahin wird man eben versuchen, Gas woanders zu kaufen. Faktisch landet russisches Gas immer noch über die LNG-Terminals in Deutschland, aber das ist ein anderes Thema.

Der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber hat erst vor Kurzem vorgeschlagen, eine Art CO2-Budget für jeden einzuführen und einen privaten Emissionshandel zu ermöglichen. Herr Wambach, was halten Sie von dem Vorschlag, jedem ein CO2-Kontingent von rund drei Tonnen pro Jahr zuzugestehen?
Wambach: Ich glaube, dass es ein Fehler ist, dem Individuum die Verantwortung für die Emissionen zu übertragen. Die Verantwortung sollte bei der Politik liegen. Theoretisch ist ein Emissionszertifikatehandel auf Individualebene denkbar, aber praktisch fahren wir sehr gut mit dem Modell, das wir schon haben.

Frau Herrmann, klingt das nicht gerecht mit dem individuellen CO2-Budget?
Herrmann: Das, was Herr Schellnhuber vorschlägt, ist eine Form von Rationierung und ähnelt meinem Vorschlag vom grünen Schrumpfen, von dem ich überzeugt bin. Dieses kriegt man nur hin, wenn der Staat sagt, was noch produziert werden darf, und gleichzeitig die knappen Güter rationiert werden. In diesem Fall würde man die CO2-Emissionen rationieren. Für dieses grüne Schrumpfen gibt es aber bisher gar kein Konzept, weil der Kapitalismus Wachstum braucht, um stabil zu sein.

In Ihrem Buch „Das Ende des Kapitalismus“ schlagen Sie ein Modell vor, das sich an der britischen Kriegswirtschaft ab 1939 orientiert: Der Staat schreibt den Unternehmen vor, welche Güter in welcher Stückzahl produziert werden sollen, und verteilt diese dann an die Bevölkerung.
Herrmann: Ja, genau. Man braucht einen Weg, wo alle Betroffenen sicher sind, dass auch sie Einkommen haben und sich der Staat um sie kümmert. Sonst kriegt man den Wandel nicht hin.

Aber ist das dann nicht auch eine Gesellschaft, wo Massenarbeitslosigkeit herrscht und Firmen massenweise pleitegehen?
Herrmann: Man muss von hinten anfangen: Die Ökoenergie wird knapp bleiben, und dann muss man sich halt überlegen, wofür sie wahrscheinlich reichen wird und wofür nicht. Die gute Nachricht: Sie wird für Smartphones oder Chemotherapien reichen. Die schlechte Nachricht: Fliegen geht nicht mehr, weil es zu viel Energie kostet. Ähnliches gilt für das E-Auto. Es ist eine Verschwendung, zwei Tonnen Material zu bewegen, damit im Durchschnitt 1,3 Insassen transportiert werden können.

Die Chemieindustrie wird Probleme kriegen, weil sie auch enorme Mengen an Energie braucht. Und dann stellt sich sofort die Frage, was man eigentlich mit den Beschäftigten macht. Die Automobilindustrie beschäftigt derzeit 1,75 Millionen Menschen direkt oder indirekt in Deutschland. Die kann man nicht allein lassen, sondern muss sich um sie kümmern.

Und wenn man sich dann fragt, wo es schon einmal den Fall gab, dass eine kapitalistische Wirtschaft geschrumpft wurde, ohne dass das totale Chaos ausbricht, dann landet man eben in der britischen Kriegswirtschaft von 1939. Ich sage nicht, dass man alles genauso machen muss wie bei den Briten, aber dass man sich da mal inspirieren lässt.

Wie soll sich der Staat denn um die Arbeiter aus der Autoindustrie kümmern, wenn er bankrott ist, weil die Steuereinnahmen ausbleiben? Herr Wambach, Sie sind Volkswirt und Sie können ungefähr abschätzen, was passieren würde, wenn in einer Wirtschaftsordnung kein Wachstum mehr existieren würde – keine Gewinnaussichten, keine Investitionen. Können Sie das mal weiterspinnen?
Wambach: Ja, das wären sehr grausige Szenen. Rationiert werden muss bei den Emissionen. Das passiert durch den Zertifikatehandel. Aber innerhalb dieser Zuteilung soll die Wirtschaft machen können, was sie will. Das Gleiche gilt für die Haushalte. Ein Schrumpfen der Wirtschaft hätte hingegen extreme Konsequenzen. Meist geht das mit sozialen Unruhen, starken Verwerfungen und Verteilungsproblemen einher.

International könnten wir ohnehin keinen für eine solche Art der Klimapolitik begeistern. Aber auch als Basismodell für den deutschen Raum wäre das aus vielen Gründen problematisch. Allein die Frage, was passieren würde, wenn es nur Deutschland machen würde. Würden dann die Leute nicht auswandern? Müssten wir dann nicht auch die Grenzen dichtmachen? Das hatten wir schon einmal, da musste eine Mauer ums Land gezogen werden.

Sie spielen auf die DDR an…
Wambach: …das ist doch derselbe Gedanke. Auch da war der Trabi rationiert, der wurde zugeteilt. Es hat ihn derjenige bekommen, der die besten Kontakte hatte. Das ist eine rationierte Welt. Und es ist gut, es sehr offen anzusprechen, weil man nicht dieser Illusion hinterherlaufen sollte. Man kann das Klimaproblem nicht lösen, indem man einfach die Industrie herunterfährt. Eine solche Lösung wird nicht funktionieren und auch nicht als Blaupause für eine globale Lösung des Problems zur Verfügung stehen.

Herrmann: Alles, was Herr Wambach sagt, kann ich verstehen. Ganz nach dem Motto: Der Kapitalismus, so, wie wir ihn bisher hatten, war schön und reibungslos. Wir brauchen ihn. Das einzige Problem ist: Man kann mit der Natur nicht verhandeln. Das heißt, wenn wir nicht freiwillig aus dem Kapitalismus aussteigen, dann wird sich die Klimakrise so verschärfen, dass der Kapitalismus auch zusammenbricht. Und dann werden wir auch eine Art Kriegswirtschaft haben, weil man dieses Naturchaos nur noch unter Kontrolle kriegt, indem der Staat sehr stark lenkt und zuteilt. Die Idee, wir hätten die Wahl, einfach so weiterzumachen wie bisher, aber mit grüner Technologie, die existiert aus meiner Sicht nicht.

Frau Herrmann, Herr Wambach, vielen Dank für das Interview.

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