Aktien fallen aktuell, haben sich zuvor seit dem Crash aber rasant erholt. Das Handelsblatt hat Strategen gefragt, was Anleger jetzt tun sollten.
Börsensymbole Bulle und Bär
Strategen trauen dem Aufschwung an den Börsen nicht.
Frankfurt Die Turbulenzen an den Börsen sind atemberaubend. Zwischen Mitte Februar und Mitte März hat der Dax bis zu 40 Prozent verloren – und seither wieder knapp 30 Prozent gewonnen. Nun bröckeln die Kurse wieder. In den USA und an vielen anderen Börsen ist es ähnlich. Leo Willert, Chef und Leiter des Handels beim österreichischen Fondshaus Arts Asset Management, wundert das nicht: „Eines haben alle Krisen gemeinsam. Sie gehen mit großer Volatilität einher.“
Dennoch passierten sowohl der Crash als auch der folgende Aufschwung an den Börsen rasend schnell. Das Handelsblatt wollte von Strategen und Investoren wissen: Warum steigen die Börsen wieder, drohen neue Rückschläge, und wie sollten sich Anleger verhalten?
Eine allgemeine, häufig gehörte Begründung für den raschen Kursanstieg lautet: Die Investoren hoffen auf eine schnelle Eindämmung der Corona-Pandemie und ein Wiederhochfahren der Wirtschaft sowie darauf, dass die billionenschweren Hilfspakete von Notenbanken und Regierungen den Unternehmen bald wieder aus der Krise helfen.
Doch befriedigend ist diese Erklärung nicht. „Die volkswirtschaftlichen Daten sind so schlecht wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg, die These von der vergleichsweise schnellen Erholung der Wirtschaft erscheint widersinnig“, räumt Arne Sand, Mitgründer und Geschäftsführer der Vermögensverwaltung Sand und Schott aus Stuttgart, ein. Wichtig ist ihm aber: „Die Börse schaut eben in die Zukunft.“
Dass die Börsen meist wirtschaftliche Entwicklungen vorwegnehmen, sieht auch Olaf Stotz so, Professor für Asset-Management an der Privatuniversität Frankfurt School of Finance & Management. Doch er betont: „Jetzt sind die Märkte den Fundamentaldaten so weit vorausgelaufen wie lange nicht.“
Tatsächlich sind die Folgen des erzwungenen wirtschaftlichen Stillstands enorm. In Deutschland sind die Auftragseingänge im März binnen eines Monats um historische 15,6 Prozent eingebrochen. In den USA schockieren vor allem die von 4,4 auf 14,7 Prozent hochgeschnellte Arbeitslosenquote im April und die drastisch gesunkenen Konsumausgaben.
Der Wirtschaftseinbruch zeigt sich schon jetzt in den Ergebnissen der Unternehmen, aber es dürfte noch schlimmer kommen. Uwe Streich, Aktienstratege bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), drückt es so aus: „Die Berichtssaison zum ersten Quartal ist schon schlimm, aber im zweiten Quartal wird es noch schlimmer.“
Dies gilt laut Streich besonders für die USA, wo der Lockdown der Wirtschaft im ersten Quartal für die am stärksten betroffenen Bundesstaaten maximal zwei Wochen dauerte. Im zweiten Quartal werden die Unternehmen in den meisten Bundesstaaten mindestens vier Wochen Stillstand zu verbuchen haben.
Die Schätzungen für die Gewinne der Unternehmen sind zwar schon deutlich nach unten gegangen, aber das reicht nach Ansicht von Streich nicht. Für die Unternehmen im Dax gehen Analysten im Schnitt davon aus, dass die Gewinne in diesem Jahr um 23 Prozent niedriger ausfallen werden als 2019, in den USA sind es 20 Prozent.
Die Gewinnerwartungen sanken ungewöhnlich schnell und stark. Aber sie sind immer noch deutlich weniger zurückgegangen als in der Finanzkrise. Damals nahmen Analysten ihre Gewinnprognosen für die Dax-Konzerne im Schnitt um mehr als 37 Prozent zurück, für die Unternehmen im S&P 500 waren es fast 40 Prozent.
Die Corona-Pandemie wird die Wirtschaft nach Meinung von Ökonomen indes viel härter treffen als die Finanzkrise – eben weil jetzt alle Bereiche der Wirtschaft betroffen sind. Das heißt: Die Gewinnschätzungen sind immer noch zu optimistisch.
Aus diesem Grund traut Streich dem inzwischen seit über sieben Wochen anhaltenden Börsenaufschwung nicht: „Es sieht schon wieder nach einem Bullenmarkt aus, aber ich kann daran kaum glauben.“ Streich geht deshalb – ebenso wie Stotz – davon aus, dass die Börsen wieder fallen werden.
Auch ein anderer Blick in die Historie zeigt, dass die Skepsis gegenüber dem aktuellen Börsenaufschwung berechtigt ist. Seit der Jahrtausendwende gab es häufig zwischenzeitliche Aufschwünge in schlechten Börsenphasen, doch danach ging es auch wieder kräftig bergab. Strategen sprechen in diesem Fall von Bärenmarktrallys.
Vermögensverwalter Sand fasst die Lage so zusammen: „Nach der Verkaufspanik kommt die Kaufpanik.“ Das bedeutet: Die schnelle Erholung an den Börsen erklärt sich auch durch Faktoren, die nichts mit den wirtschaftlichen Aussichten zu tun haben.
Für die „Kaufpanik“ gibt es mehrere Gründe. Zum einen müssen Investoren wie Hedgefonds, die auf weiter fallende Kurse setzen, „leer verkaufte Wertpapiere schnell wieder eindecken, wenn die Märkte nach oben drehen“, sagt Sand. Bei Leerverkäufen veräußern Investoren Aktien, die sie gar nicht besitzen, zu einem bestimmten Kurs, in der Hoffnung, sich später günstiger mit den Aktien einzudecken zu können. Wenn die Börsen steigen, laufen die Hedgefonds quasi den Kursen hinterher.
Außerdem verstärken laut Sand „automatisierte Handelssysteme, die bestimmten Trends an den Märkten folgen, die Kursbewegungen nach oben ebenso wie nach unten“. Dazu gehören laut Stotz von der Frankfurt School auch Portfolios, die nach „Value at Risk (VaR)“ gemanagt werden.
Diese Kennzahl gibt an, welcher Verlust in einem Portfolio über einen bestimmten Zeitraum maximal zu erwarten ist. Bei steigenden Märkten sinken die Maximalverluste in diesen Modellen – und entsprechend werden Risikoanlagen wie Aktien nachgekauft. Nach „VaR“ gemanagt werden laut Stotz viele Portfolios von Versicherern, zahlreichen Robo-Advisors und generell alle Anlagen, die eine bestimmte Mindestrendite versprechen: „In Deutschland ist das ein Milliardenmarkt, weltweit geht es um Billionen.“
Dazu verstärkt nach Ansicht von Stotz die Regulierung der Banken die Kursbewegungen an den Märkten. Bei den Banken erhöhen sich die Risikobudgets, wenn die Aktienmärkte steigen. Das bedeutet: Die Banken können bei steigenden Märkten wieder mehr Risiken auf ihre Bilanz nehmen, also mehr Aktien kaufen. Das gilt umgekehrt in fallenden Märkten. Risikobudgets spielen auch bei vielen Fonds wie auch Altersvorsorgeeinrichtungen eine Rolle.
Für Investoren ist in dieser unruhigen Börsenlage noch entscheidender als sonst, wie lange sie ihr Geld anlegen wollen.
Kurzfristig orientierten Anlegern rät Streich von der LBBW dazu, Gewinne mitzunehmen. In der taktischen Allokation gewichtet die LBBW Aktien derzeit leicht unter. Aber auch Streich betont, dass Aktien auf lange Sicht gerade im Niedrigzinsumfeld besser als Anleihen abschneiden sollten.
Hochschullehrer Stotz sieht das ähnlich und meint, dass Anleger, die den jüngsten Aufschwung verpasst haben, jetzt nicht den kurzfristig entgangenen Gewinnen hinterhertrauern müssen. „Taktisch orientierte Anleger sollten mit Zukäufen warten, bis es an den Aktienmärkten wieder bergab geht.“ Dabei geht es nicht darum, einen möglichen Tiefpunkt abzupassen, sondern bei günstigeren Kursen nach und nach wieder einzusteigen.
Anleger, die langfristig denken und Geld für die Altersvorsorge sparen, sollten dagegen auf Gewinnmitnahmen verzichten, meint Stotz. „Für langfristig orientierte Anleger eignet sich am besten ein Sparplan, weil es hier für einen festen monatlichen Anlagebetrag bei hohen Kursen automatisch weniger und bei niedrigen Kursen mehr Aktien gibt.“
Vermögensverwalter Sand ist generell optimistischer für die Märkte und sagt: „Langfristig tendieren die Börsen dazu zu steigen, von daher ist es gut, investiert zu sein.“ Er geht davon aus, dass die Wirtschaft dank der massiven Hilfspakete in 18 bis 24 Monaten wieder auf dem Stand vor der Krise liegen wird. Nur wenn es nochmals schlechte Nachrichten wie eine zweite Viruswelle oder einen zweiten Lockdown gibt, rechnet Sandt mit wieder deutlich fallenden Aktienmärkten.
Wichtig für Anleger ist es laut Sand generell, erstens zu prüfen, welche Verluste man im Portfolio psychisch maximal aushalten kann, und zweitens, ob man sich diese maximalen Verluste von der Vermögensaufteilung her auch leisten kann. Nach diesem Ergebnis bestimme sich der Aktienanteil im Portfolio – und der sollte idealerweise konstant gehalten werden.
Willert von Arts Asset Management verfolgt einen anderen Ansatz: „Wir versuchen nicht, Trends vorwegzunehmen, sondern investieren erst, wenn sich ein positiver Trend gebildet hat.“ Dies begrenze die Schwankungen im Portfolio. Arts Asset Management steuert seine Fonds nach einem klaren Handelssystem, das Willert vor 15 Jahren selbst entwickelt hat.
Mitte März hatte dieses Markttrends folgende System die Aktienquote in den Arts-Portfolios auf null gesetzt. Seit Anfang April wird die Aktienquote schrittweise wieder hochgefahren. Mitte März lag sie im größten Fonds, dem „C-Quadrat ARTS Total Return Global AMI“, bei 37 Prozent, seit dieser Woche sind es rund 60 Prozent.
Die größten Investitionen liegen in den Bereichen Gesundheit, Medien und Unterhaltung, nachhaltigen Investments, China, Fernost und Japan. Arts Asset Management investiert vor allem über entsprechende Fonds in diese Märkte.
Entscheidend für Anleger ist es aber laut Willert, die Nerven zu behalten und sich selbst treu zu bleiben. „Man kann trendfolgend anlegen oder nach fundamentaler Analyse Stockpicker sein oder Value Investor – das Wichtigste ist es, einen klaren Plan zu haben und sich daran zu halten.“
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