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31.08.2022

04:00

Bed Bath & Beyond

„Ein schlechtes Zeichen für den Kapitalmarkt“ – Kurskapriolen bei Meme-Aktien könnten zur Regel werden

Von: Andreas Neuhaus

Dass Shortseller und Privatanleger bei einzelnen Aktien kollidieren, könnte zum Standardfall werden. Denn die Zahl der Absturzkandidaten wächst – und die Lust am Zocken auch.

Meme-Aktien werden durch soziale Medien angetrieben. Bloomberg

Bed Bath & Beyond

Meme-Aktien werden durch soziale Medien angetrieben.

Düsseldorf Erst ein Anstieg von fünf auf 30 Dollar, dann der Absturz zurück auf zehn. Wofür andere Aktien Jahre brauchen, schafften die Titel des US-Einzelhändlers Bed Bath & Beyond in nur vier Wochen. Es erinnert an die Rally und den folgenden Absturz des US-Computerspielehändlers Gamestop im vergangenen Jahr.

Solche Kurskapriolen könnte es in Zukunft immer häufiger geben, meint Dietmar Janetzko. Er ist Research-Chef beim Analysehaus Stockpulse, das auf die Auswertung von Daten aus den sozialen Medien spezialisiert ist. „Geschehnisse der Art, wie sie rund um Meme-Stocks wie Gamestop oder Bed Bath & Beyond erfolgten, könnten durchaus zum Standardfall spekulativer Investments werden“, warnt Janetzko in seiner aktuellen Studie.

Meme-Stocks sind Aktien, die ihre Popularität vor allem den sozialen Medien verdanken, wo die Nutzer ihre Kommentare mit Emojis und kleinen Bildchen (Memes) garnieren. Ihr Comeback nach dem Hype im Frühjahr 2021 hat viele Beobachter überrascht: Während die Rally damals von den Stimulus-Schecks aus den staatlichen Coronahilfen in den USA getrieben wurden, die Privatanleger prompt in den Aktienmarkt investierten, ist das Umfeld diesmal mit der hohen Inflation und den fallenden Aktienkursen denkbar schlecht.

Trotzdem flammt das Interesse an den Meme-Stocks wieder auf und arbeitet sich immer weiter in den Mainstream vor. Jeremy Siegel, Finanzprofessor von der Wharton School, ist mittlerweile sogar der Ansicht, dass es für jüngere Anleger in Ordnung ist, zehn bis 15 Prozent ihres Portfolios in diese Art von Aktien anzulegen.

„Es sieht so aus, als gäbe es eine Menge Feuerwerk – es gibt viel Bewegung. Wenn Sie auf Glücksspiele stehen und das mögen, dann gehen Sie ruhig hin“, sagte Siegel dem Finanzdienst Bloomberg.

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Die Fälle von Bed Bath & Beyond und Gamestop oder auch dem Kinobetreiber AMC Entertainment folgen immer einem Muster: Auf der einen Seite setzen scheinbar vernunftwidrig investierende Privatanleger und professionelle Spekulanten auf ein Comeback von Abstiegskandidaten der Börse. Auf der anderen Seite wetten sogenannte Shortseller enorme Summen auf weitere Verluste. Indem beide Seiten versuchen, die Kurse in die für sie vorteilhafte Seite zu bewegen, entstehen starke Kursschwankungen.

Shortseller sorgen für Kursfantasie

Ausgangspunkt ist dabei jeweils ein kriselndes Unternehmen, dessen Geschäftsmodell unter Druck steht und das deshalb im Visier von Shortsellern ist. Diese leihen sich Aktien und verkaufen diese direkt. Fällt der Kurs bis zum Rückgabetermin, können sie die Aktien günstiger zurückkaufen. Geht das Unternehmen sogar pleite und der Kurs fällt in Richtung null, haben sie den maximalen Gewinn.

Auf der anderen Seite stehen private und professionelle Spekulanten, die aus unterschiedlichen Gründen auf steigende Kurse setzen. Etwa weil sie das Unternehmen nach den Kursverlusten als günstig bewertet ansehen und an das Potenzial der Aktie glauben – oder weil sie die Wetten auf fallende Kurse als Chance ansehen.

Shortseller müssen ihre Wetten auf fallende Kurse mit Eigenkapital hinterlegen. Wenn die Kurse steigen, sind die Wetten für sie irgendwann nicht mehr finanzierbar. Olaf Stotz, Professor an der Frankfurt School of Finance

Denn steigen die Kurse, wird es für die Shortseller teuer, erklärt Olaf Stotz, Professor für Asset-Management an der Privatuniversität Frankfurt School of Finance. „Sie müssen ihre Wetten auf fallende Kurse mit Eigenkapital hinterlegen. Wenn die Kurse steigen, sind die Wetten für sie irgendwann nicht mehr finanzierbar und sie müssen gestoppt werden.“ Dafür müssen die Shortseller die Aktien zurückkaufen und feuern den Kurs damit noch weiter an – ein sogenannter Short-Squeeze.

Auf einen solchen Short-Squeeze zu wetten, ist ein relativ neues Phänomen. Datenunternehmen wie S3 Partners und Ortex erstellen für ihre Kunden mittlerweile Listen mit Aktien, bei denen ein Short-Squeeze besonders wahrscheinlich sein soll. Doch das Phänomen breitet sich schnell aus – und dürfte nun noch weiter wachsen, glaubt Janetzko.

Zahl der Abstiegskandidaten an der Börse dürfte steigen

Denn in den aktuellen Krisenzeiten werde die Zahl der Abstiegskandidaten an der Börse steigen. „Dies dürfte für Shortseller von großem Interesse sein“, schreibt Janetzko in seiner Studie. „Wenn dann Aktivisten in den sozialen Medien voller Eifer dagegenhalten, sind alle Zutaten für weiteres Drama à la Gamestop oder Bed Bath & Beyond beisammen.“

Die sozialen Medien und ihr expansives Wachstum sind ein entscheidender Faktor für diese Entwicklung. In Onlineforen wie Reddit tauschen sich Anleger über ihre Investments aus, empfehlen sich gegenseitig Aktien. So könnte jede Aktie theoretisch zum Meme-Stock werden.

Daten von Stockpulse zeigen, dass ein Muster von hohem Buzz (Kommunikationsintensität) und positivem Sentiment (positiver Grundton der Kommunikation) häufig mit Kurssteigerungen einhergeht. „Ein positives Sentiment kann etwa durch eine Nachricht über eine massive Investition ausgelöst und nahezu in Echtzeit ermittelt werden“, erklärt Janetzko.

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Auch wenn sich die Diskussionsteilnehmer über eine bestimmte Aktie untereinander in ihrer positiven oder negativen Einschätzung bestätigen, werde sich dies auf die entsprechenden Werte für ihr Sentiment niederschlagen, so der Stockpulse-Experte weiter. Es entsteht also ein Echokammereffekt.

Besonders beliebt sind dabei vermeintlich unterbewertete Aktien, die stark geshortet sind. Ökonom Stotz nennt sie „Lottery-Stocks“, weil sie Anlegern gleich einem Lotterieschein mit geringem Einsatz die Chance auf Reichtum vorgaukeln: „Bei solchen Lottery-Stocks steht nicht der fundamentale Wert einer Aktie im Vordergrund. Stattdessen versuchen Trader nachrichtengetrieben mit wenig Einsatz viel Geld zu verdienen.“

Kursgewinne sind oft nur von kurzer Dauer

In den Fällen von Bed Bath & Beyond und Gamestop stiegen Handelsvolumen und Kurs parallel an, brachen dann aber wieder ein. Eine Studie von HQ Trust zeigt, dass das ein typisches Verhalten von gehypten Aktien – sogenannten Hot-Stocks – ist: Bei besonders hohen Handelsvolumina ist die Performance im selben und im Folgemonat besonders schlecht. Denn ist ein Hype bereits in vollem Gang, laufen Anleger dem Trend hinterher. Irgendwann entfernt sich der Kurs so weit vom fundamentalen Wert, dass Nachfrage und Kurs einbrechen.

Verschärft wird die Entwicklung rund um die Meme-Stocks durch den immer beliebteren Handel mit Optionen. Diese galten lange als ein Instrument für Profis, die damit entweder auf steigende (Call-Optionen) oder fallende Kurse (Put-Optionen) setzen konnten. Sie geben dem Käufer das Recht, Aktien zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem vorher festgelegten Ausübungspreis, dem Strike, zu kaufen oder zu verkaufen.

Optionshandel verschärft Kursschwankungen

Während der Handel bis zum Ende des Jahres 2019 noch relativ konstant war, explodierte er im Jahr 2020 förmlich, wie Daten der US-Clearingstelle Options Clearing Corporation (OCC) zeigen. Im ersten Coronajahr verdoppelte er sich. Und auf diesem Niveau hält er sich, trotz der Korrektur am Aktienmarkt.

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Vor allem bei jungen Anlegern sind Optionen beliebt, wie ein Blick auf die Quartalsberichte des Onlinebrokers Robinhood zeigt. Hier liegt der Anteil des Optionshandels an den transaktionsbezogenen Einnahmen bei mehr als 50 Prozent, in der Spitze sogar über 60 Prozent.

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Mit den Optionen können die Anleger ihr Budget hebeln. Sie kosten nur ein Bruchteil der zugrunde liegenden Aktie, versprechen aber die Chance auf hohe Gewinne. Gleichzeitig lassen sich mit den Optionen auch Aktienkurse bewegen. Denn die Call-Optionen werden von sogenannten Marketmakern verkauft, die selbst kursneutral handeln. Jede Option, die sie verkaufen, sichern sie anteilig mit dem Kauf der jeweiligen Aktie ab – je nach dem wie groß die Eintrittswahrscheinlichkeit für die jeweilige Option ist.

Je mehr Kaufoptionen verkauft werden, desto mehr Aktien muss der Marketmaker kaufen. Und je weiter sich der Aktienkurs dem Ausübungspreis der Option nähert, desto höher liegt die Eintrittswahrscheinlichkeit – der Marketmaker muss mehr Aktien kaufen, um kursneutral zu bleiben. Das kann zu einem sich selbst verstärkenden Mechanismus führen, einem sogenannten Gamma-Squeeze.

Profianleger adaptieren die Taktik der Privatanleger

Spekulationen auf einen solchen Gamma-Squeeze oder Short-Squeeze sind durch die jungen Anleger in den sozialen Medien salonfähig geworden. Doch längst wurden sie von Profianlegern adaptiert – nur so sei zu erklären, dass binnen drei Wochen das Handelsvolumen bei Bed Bath & Beyond von drei Millionen auf fast 400 Millionen Aktien gestiegen sei, sagte ein Händler dem Handelsblatt. Und in den USA gehen Beobachter davon aus, dass bei den Meme-Stocks längst auch Profi-Anleger gegen Profi-Anleger wetten.

Handelsblatt Today: Berg- und Talfahrt von Bed Bath & Beyond: Mitzocken bei Meme-Stocks?

Handelsblatt Today

Berg- und Talfahrt von Bed Bath & Beyond: Mitzocken bei Meme-Stocks?

Die Meme-Aktien sind zurück. Ob sich ein Einstieg für Kleinanleger trotz des Absturzes der Aktie von Bed Bath & Beyond lohnen könnte.

Wie eng die Profis die Meme-Stocks verfolgen, zeigt das Beispiel von AMC. Der Kinobetreiber schuf zuletzt zusätzlich zur Stammaktie eine neue Anteilsklasse, nachdem das Unternehmen die Obergrenze der Aktien erreicht hatte, die es ausgeben konnte.

Jim Chanos wettet auf Arbitragegewinne bei AMC

Jeder Aktionär erhielt zusätzlich zu jeder Stammaktie eine neue Vorzugsaktie. Sie sollen das gleiche Stimmrecht und das gleiche Recht auf eine Dividende haben – trotzdem werden sie zu unterschiedlichen Kursen gehandelt: Der Kurs der Stammaktie lag zuletzt bei zehn Dollar, der der Vorzugsaktie bei 6,50 Dollar.

Der prominente Investor Jim Chanos sieht hierin eine Chance: Er glaubt, dass sich die beiden Kurse annähern werden. Chanos setzt bei der Stammaktie auf fallende Kurse und bei der Vorzugsaktie auf steigende Kurse, erklärte er beim US-Börsensender CNBC. „Sie sind wirtschaftlich das gleiche Wertpapier.“

Dass sich die Meme-Stocks derart ausbreiten, beobachtet Stotz aus zwei Gründen mit Sorge: „Zum einen wird das Geld nicht ökonomisch verdient, sondern wird von einem Hot-Stock in das nächste geschoben.“ Zum anderen sei der Preismechanismus gestört: „Das ist ein schlechtes Zeichen für den Kapitalmarkt. Denn das zeigt, dass die Anleger über den eigentlichen Wert der Aktie extrem uneinig sind.“

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