Die starken Zinserhöhungen der Fed setzen Länder wie Pakistan, Ägypten, Argentinien oder die Türkei unter Druck. Fünf Grafiken zeigen, warum die Angst vor Staatspleiten wächst.
Proteste in Sri Lanka
Das Land ist pleite und steckt in der größten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten.
Bild: AP
Frankfurt Sri Lanka hat chaotische Wochen hinter sich. Im Juli stürmten Demonstranten den Präsidentenpalast des Inselstaats und setzten den Regierungschef ab. Sein Nachfolger verhandelt jetzt mit dem Internationalen Währungsfonds über Hilfskredite. Das Land ist pleite und steckt in der größten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten.
Ähnliche Probleme drohen auch anderen Schwellenländern. Die bedrohten Staaten leiden unter dem Abschwung der Weltwirtschaft, stark steigenden Preisen und hohen Schulden. „Die Stimmung sinkt in vielen Schwellenländern“, warnt Klaus-Jürgen Gern, Ökonom am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). „Die wirtschaftlichen Aussichten dort haben sich zuletzt verschlechtert.“
Laut Daten des Internationalen Bankenverbands (IIF) haben internationale Investoren im Juli fast zehn Milliarden Dollar aus den Schwellenländern abgezogen. Davon entfielen 8,8 Milliarden auf den Anleihemarkt und etwa eine Milliarde auf den Aktienmarkt. Dies war bereits der fünfte Monat in Folge, in dem die Abflüsse die Zuflüsse überwogen.
„Seit Anfang Juni hat es einen schweren Ausverkauf in den Schwellenländern gegeben“, analysiert der IIF. Er führt dies vor allem auf die zuletzt kräftigen Zinserhöhungen der US-Notenbank Fed zurück – die den Dollar gestärkt haben. Im Juni und Juli hob die Fed die Leitzinsen um jeweils 0,75 Prozentpunkte an – die größten Zinsschritte seit 1994.
Für internationale Investoren ist es dadurch attraktiver geworden, Kapital aus den Schwellenländern abzuziehen und es am US-Anleihemarkt anzulegen – was den Dollar stützt.
Außerdem profitierte die US-Währung von den Sorgen vor einer globalen Rezession. Der Dollar gilt als besonders sicher, weshalb er in Krisenzeiten, wenn Anleger Risiken meiden, gefragt ist.
Für Schwellenländer birgt der starke Dollar dagegen Probleme. Dort haben sich viele Unternehmen und Staaten in der US-Währung verschuldet – vor allem in Südamerika. Die Folge: Steigt der Dollar-Kurs, erhöht sich ihre Schuldenlast, und die Finanzierungskonditionen verschlechtern sich.
Dieser Effekt sowie die Kapitalabflüsse und die hohe Inflation verstärken den Druck auf die Notenbanken der Schwellenländer, die Zinsen weiter anzuheben. Eigentlich hatten sie – auch wegen der Erfahrung vergangener Krisen – früher damit begonnen, ihre Geldpolitik zu straffen. Das schützt sie aktuell aber nur bedingt. So erhöhte die mexikanische Notenbank den Leitzins jüngst um 0,75 Prozentpunkte auf 8,5 Prozent – und stellte weitere Erhöhungen in Aussicht. In Brasilien liegt der Leitsatz sogar bei 13,75 Prozent, nachdem die Inflation dort im Juli auf zehn Prozent kletterte.
Diese strikte Geldpolitik ist aus Sicht von Analysten zwar erfolgreich im Kampf gegen die Teuerung, aber realwirtschaftlich schmerzhaft. Lange werde der Zins nicht mehr auf diesem Niveau bleiben.
In Chile liegt der Leitzins mittlerweile bei 9,75 Prozent und in Südafrika bei 5,5 Prozent. Dort sieht die Lage ähnlich aus wie in Indien. Die Notenbanken reagieren zwar auf das hohe Inflationsniveau, verschärfen ihre Geldpolitik aber langsamer als die Preise steigen.
Die Schwellenländer-Chefökonomin des Vermögensverwalters Axa IM, Irina Topa-Serry, glaubt trotz der verschärften Geldpolitik, dass der Preisdruck in den Emerging Markets hoch bleiben wird. „Wir prognostizieren für die Schwellenländer eine Inflationsrate von 13,5 Prozent bis Ende 2022 und 7,5 Prozent bis Ende 2023.“ Dies liege für die meisten Länder über dem Zielwert und bedeute eine längerfristig straffe Geldpolitik.
Für die Wirtschaft bedeutet das deutlichen Gegenwind. Ohnehin haben sich die Konjunkturaussichten zuletzt deutlich verdüstert. So signalisierten die Einkaufsmanagerindizes für die Industrie in Mexiko, Kolumbien und der Türkei im Juli einen Abschwung.
IfW-Ökonom Gern hält Südamerika für besonders gefährdet. „In Ländern wie Argentinien sieht es eher nach einer Krise aus als nach einem Abschwung“, warnt der Experte. Auch in Pakistan, Ghana und Ägypten sind die Anleiherenditen aus Angst vor steigenden Ausfallrisiken stark gestiegen – und ihre Währungen haben deutlich an Wert verloren.
Die Türkei gilt seit Jahren als anfällig. Bisher hat das Land eine große Krise verhindern können, aber die Warnzeichen mehren sich. Am Freitag stufte die Ratingagentur Moody‘s die Kreditwürdigkeit weiter herab, die ohnehin schon auf Ramschniveau lag, und verwies zur Begründung auf das Defizit im Handel von Waren und Dienstleistungen mit dem Ausland, das wahrscheinlich höher ausfallen werde als erwartet. Letztlich würde das bedeuten: Die Türkei wäre noch stärker auf externe Finanzierungsquellen angewiesen.
Im Juli ist die Inflationsrate dort auf 79,6 Prozent gestiegen. Die Produzentenpreise, die die Verbraucher erst zeitverzögert beeinflussen, stiegen sogar um 144 Prozent. Die Landeswährung Lira hat seit Jahresbeginn über 25 Prozent an Wert gegenüber dem US-Dollar verloren. Dennoch boomt die türkische Wirtschaft, der Konsum ist ungebrochen.
„Die türkische Zentralbank unternimmt gar nichts, um die Inflation zu bekämpfen“, meint Ulrich Leuchtmann, Head of FX Research bei der Commerzbank. Das Ausmaß der Teuerung sei „hausgemacht“ und bislang gebe es keine Anzeichen für eine Änderung der expansiven Geldpolitik. Wenn diese weiterhin ausbleibt, „wird die Inflation immer weiter steigen“, so Leuchtmann.
Die Türkei ist ein besonders krasser Fall. Zwischen den Schwellenländern gibt es große Unterschiede. So haben Länder wie Brasilien, Chile oder Kolumbien lange von steigenden Rohstoffpreisen profitiert. Seit die Sorge vor einer weltweiten Rezession ab Juni zugenommen hat, sind aber auch die Preise für Öl, Kupfer und andere Rohmaterialien wieder gefallen, auch wenn sie noch immer auf hohem Niveau liegen. Der Bloomberg Commodity Index, der 20 verschiedene Rohstoffe umfasst, hat seither rund zehn Prozent an Wert verloren.
Ein großer Unsicherheitsfaktor ist außerdem China. Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ist für die Schwellenländer in dreifacher Hinsicht bedeutend: als Abnehmer von Waren, als Investor und als Kreditgeber. Derzeit hat China selbst mit großen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Die Spannungen mit Taiwan könnten dazu führen, dass Unternehmen vorsichtiger im Umgang mit der Volksrepublik werden.
Markus Schomer, Chefvolkswirt beim Vermögensverwalter Pinebridge, erwartet, dass die Investitionen aus dem Westen in China „künftig wahrscheinlich deutlich geringer ausfallen“. Risiken gibt es auch durch die Lockdowns, die Probleme im Immobiliensektor und die hohe Verschuldung. Die Regierung legt stärkeren Wert auf qualitatives Wachstum, was aber dazu führen könnte, dass die Steigerungsraten schwächer ausfallen.
Anfang der Woche hat China überraschend mehrere wichtige Zinssätze gesenkt, um die schwächelnde Konjunktur zu beleben. Daten aus dem Einzelhandel, zu Investitionen und zur Industrieproduktion hatten zuvor eine unerwartete Schwäche gezeigt. Schwächt sich die Wirtschaft in China deutlich ab, würde das viele Schwellenländer hart treffen. Wenn zum Beispiel der Bausektor dort einbrechen sollte, hätte das große Auswirkungen auf die Rohstoffpreise.
Der Internationale Bankenverband (IIF) geht davon aus, dass die weitere Entwicklung der Kapitalflüsse in die Schwellenländer vor allem davon abhängt, wie sich die chinesische Wirtschaft und der Dollar-Kurs entwickeln.
In den vergangenen Monaten haben die kräftigen Zinserhöhungen der Fed die US-Währung gestützt. Eine Hoffnung für die Schwellenländer wäre, dass sich das ändert – und der Dollar wieder schwächer wird.
Nach der Juli-Sitzung der Fed hatten Anleger eine Bemerkung von Notenbankchef Jerome Powell als Anzeichen für ein langsameres Vorgehen gewertet. Er hatte gesagt, dass sich der Leitzins in den USA nun im „neutralen Bereich“ befinde. Die Märkte reagierten positiv – vor allem in Schwellenländern. Andere Fed-Vertreter dämpften danach diese Erwartungen aber wieder.
Auch der Rückgang der US-Inflation im Juli deutet auf ein langsameres Vorgehen der Fed bei Zinserhöhungen hin, wenn sich der Trend in den kommenden Monaten verfestigt.
Pinebridge-Chefvolkswirt Markus Schomer hält dies für realistisch. „Ich rechne für September mit einer Anhebung um einen halben Prozentpunkt und für Dezember oder Januar mit einem weiteren Schritt um 0,25 Prozentpunkte. Damit dürfte der Prozess der Erhöhungen aber abgeschlossen sein.“ Der Leitzins würde dann von aktuell 2,5 auf 3,25 Prozent steigen.
Experten sind jedoch uneinig. Die Juni-Projektionen der Fed-Mitglieder lassen auf einen Leitzins von 3,8 Prozent für nächstes Jahr schließen. Die US-Investmentbank Goldman Sachs erwartet einen Wert von 3,5 Prozent zum Jahresende.
Ob dies ausreicht, damit sich der Dollar-Kurs abschwächt, ist ungewiss. Goldman Sachs geht von einer weiteren Aufwertung des Dollars aus. Niedrigere Zinsen in den USA wären wohl nur dann denkbar, wenn es dort eine schwere Rezession gibt. Das aber hätte andere negative Effekte für die Schwellenländer. Und selbst ein solches Szenario würde nicht unbedingt zu einem schwächeren Dollar-Kurs führen.
Dieser hat wegen seiner Rolle als ultimativer sicherer Vermögenswert im weltweiten Finanzsystem besondere Eigenschaften. Die sogenannte Smile-Theorie besagt, dass er zulegt, wenn die US-Wirtschaft stark ist, weil dann hohe Renditen dort Anleger anziehen, aber auch, wenn sie besonders schwach ist, weil er in Krisen besonders gefragt ist.
Die Aussichten auf einen schwächeren Dollar und ein besseres Umfeld für die Schwellenländer sind also eher vage. Vor allem den Staaten, die ohnehin anfällig sind, steht eine schwiergie Phase bevor.
Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.
Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.
×
Kommentare (1)