Die Aufteilung des Vermögens auf verschiedene Anlageklassen ist so entscheidend wie die Wahl der Einzeltitel. Experten machen dazu konkrete Vorschläge.
Börse Frankfurt
Die Zeiten sich unsicherer geworden.
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Frankfurt Eigentlich müssten heute Virologen und Experten für die mathematische Modellierung von Epidemien reihenweise Hedgefonds gründen. Denn fast alle Annahmen, auf die Investmentstrategen ihre Entscheidungen während der Coronakrise gründen, stammen letztlich aus dem medizinischen Bereich. „Und da bin ich, wie die meisten Leute, nur ein Laie“, sagt zum Beispiel Axel Cron, Chefstratege bei HSBC Deutschland.
Die Frage, ob die Lockerungen der Wirtschaft in vielen Ländern der Auftakt zu einem Aufschwung sind oder ob sie zum Beispiel durch eine zweite Infektionswelle wieder rückgängig gemacht werden müssen, ist entscheidend dafür, ob die Optimisten oder die Pessimisten recht behalten. Genauso wichtig wird sein, wann tatsächlich wirksame Medikamente und Impfstoffe im großen Maßstab zur Verfügung stehen.
Zwar gibt es erste Versuche mit neuen Impfstoffen in Großbritannien, Deutschland und China. Aber noch ist ungewiss, ob und wann sie funktionieren. Bisher war die Meinung weitverbreitet, ein Einsatz werde noch mindestens zwölf Monate dauern.
Wie weit die Einschätzungen der gesamten Situation voneinander abweichen, zeigen zwei Zahlen. Cron von HSBC hat in seinem Vorschlag für die Struktur eines Wertpapierdepots nur fünf Prozent Bargeld eingeplant. Sein Kollege Christian Kahler von der DZ Bank veranschlagt in seinem Musterdepot dagegen stolze 58 Prozent Cash. Umgekehrt hat Cron mehr als die Hälfte für Aktien reserviert, Kahler dagegen den Anteil auf gut zehn Prozent reduziert. Wie soll man als Privatanleger Entscheidungen treffen, wenn selbst die Profis mit ihren Meinungen so weit auseinander liegen?
Vor jeder Entscheidung über den Auf- oder Umbau eines Depots steht die Frage, wie lange das Geld voraussichtlich dort liegen bleiben kann. Geht es um ein oder zwei Jahre, dann spielen Sicherheit und schnelle Verfügbarkeit die wichtigste Rolle. Geht es eher um zehn Jahre, dann kann man getrost höhere Risiken eingehen und Kurseinbrüche, wie zuletzt im März gesehen, einfach aussitzen.
Die Struktur eines Wertpapierdepots ist längerfristig mindestens so wichtig für den Erfolg wie die Auswahl der einzelnen Titel. Jahrzehntelang galt als ausgewogenes Depot eine ungefähr hälftige Mischung von Aktien und Zinspapieren, also Anleihen. Kleinere Anteile wurden davon noch für Bargeld und manchmal auch für Gold abgezwackt. Dieses Grundgerüst ließ sich variieren: Wer gute Nerven hatte oder wusste, dass er sein Geld in den nächsten Jahren nicht braucht, plante etwas mehr Aktien ein. Wer Sicherheit über Rendite stellte oder in absehbarer Zeit größere Summen verfügbar haben wollte, setzte stärker auf Anleihen.
Doch dieses Prinzip wurde mit einem immer weiter sinkenden und schließlich sogar unter null tauchenden Anleihezins obsolet. Die Staatsanleihe, einst der „sichere Hafen“, wurde eher zum Zockerpapier, mit dem man mit etwas Glück kurzfristige Kursgewinne erzielen konnte, aber mittel- und langfristig mit Sicherheit Verlust machte.
Während es früher hieß: „Keine Rendite ohne Risiko“, wandelte sich die Situation zu „Ohne Risiko sicherer Verlust“. Zum Teil empfahlen Strategen auch deutlich höhere Aktienanteile und statt Anleihen dann etwas mehr Bargeld, das man als Privatanleger meist wenigstens noch zum Nulltarif parken kann.
Bei den Aktien waren dann besonders Unternehmen gefragt, die für den täglichen Gebrauch produzieren, etwa Lebensmittel oder alles, was man in der Drogerie kaufen kann. Dadurch kamen Titel wie Nestlé, Pepsico, Procter & Gamble, Unilever, Reckitt Benckiser oder auch Beiersdorf in Mode.
Mit Corona hat sich die grundsätzliche Situation aber erneut gewandelt. Risiken, die vorher bei stetig steigenden Kursen kaum noch spürbar waren, machten sich plötzlich brutal bemerkbar. Viele Anleger haben hohe Verluste erlitten. Auf der anderen Seite werden jetzt Risiken am Markt wieder besser vergütet. Eine Folge davon: „Anleihen sind wieder attraktiver“, sagt Kahler. Er hat sie daher in seinem Depot zu rund 30 Prozent eingeplant, je zur Hälfte in den USA und in Europa angesiedelt.
Dabei setzt er vor allem auf Papiere, die mindestens ein Rating „BBB–“, also das Qualitätssiegel „Investmentgrade“, haben. „Wir fühlen uns wohler mit Papieren, die auch von Notenbanken gekauft werden“, sagt er. Die Europäische Zentralbank hat unlängst beschlossen, auch BB-Papiere zu kaufen, also mit noch niedrigerem Rating. Allerdings nur dann, wenn sie am 7. April noch einen Investmentgrade hatten. Kahler räumt aber ein, dass auch Unternehmensanleihen mit schwächerem Rating, die zum Teil Renditen von vier bis sechs Prozent zeigen, ihren Reiz haben.
Cron ist gegenüber Anleihen skeptischer: Er geht von einer leicht steigenden Inflation und steigenden Zinsen aus – weil die Staaten sich in der Krise massiv verschulden. Steigende Inflation mindert den realen Wert von Anleihen, steigende Zinsen drücken direkt auf deren Kurs.
Schaut man die beiden Depotvorschläge an, so kommt derjenige der DZ Bank mit relativ wenig Positionen aus: Cash (58 Prozent), europäische Unternehmensanleihen (15 Prozent), US-Unternehmensanleihen (15 Prozent), Dax (sechs Prozent) und Nasdaq (fünf Prozent). Dabei lassen sich Dax und Nasdaq auch über börsengehandelte Fonds (ETF) abbilden, die die entsprechenden Indizes widerspiegeln. Auch für die Anleihen gibt es Indizes mit entsprechenden ETFs.
Die US-Unternehmensanleihen lassen sich zum Beispiel mit dem Vanguard USD Corporate Bond UCITS ETF abbilden, der mit dem Kürzel VUCP gehandelt wird und sich dem Bloomberg Barclays Global Aggregate Corporate United States Dollar Index annähert (Wertpapierkennnummer: A143JM). Die entsprechende Variante für Unternehmensbonds in Euro, der Vanguard EUR Corporate Bond UCITS ETF, wird unter dem Kürzel VECP gehandelt (WKN: A143JK). Interessant hierbei: Bei diesem Fonds wie auch dem entsprechenden Bloomberg Barclays Euro Aggregate Corporates Index entfallen auch rund 20 Prozent auf US-Unternehmen. Weil die Zinsen im Euro-Raum noch niedriger sind als in den USA, haben sich viele amerikanische Unternehmen hier finanziert.
Deutlich kleinteiliger und damit für Privatanleger schwieriger umzusetzen ist der Vorschlag von HSBC: Aktien (55 Prozent), sogenannte Vola-Strategien (15 Prozent; zum Beispiel Discountzertifikate) und jeweils fünf Prozent für Cash, Unternehmensanleihen, Staatsanleihen, asiatische Hochzinsanleihen (außer Japan) und Schwellenländer.
Bei Staatsanleihen denkt Cron an US-Papiere, und zwar solche mit kurzen Laufzeiten oder eingebautem Inflationsschutz. In die USA schaut er, weil dort die Zinsen noch etwas höher sind als hier. Die kurzen Laufzeiten bevorzugt er, weil so die Kurse nicht so sehr unter steigenden Zinsen leiden werden.
Besonders am Herzen liegt Cron die Position mit asiatischen Hochzinsanleihen (ohne Japan). „Die Risikobewertungen sind dort zunächst ähnlich wie in Europa, man kann sich an den Noten der Ratingagenturen orientieren“, sagt er. Und fügt hinzu: „Asien ist aber eine ausgesprochene Wachstumsregion. Längerfristig bedeutet das auch Sicherheit für den Investor.“ Er sieht daher in Asien, wo seine Bank ja ursprünglich beheimatet und heute noch stark vertreten ist, letztlich ein günstigeres Verhältnis von Preisen zu Risiken als in Europa.
Bei den Schwellenländern setzt er auf Anleihen in jeweils heimischer Währung oder direkt auf die Währungen. Cron räumt allerdings ein, dass diese Regionen zunächst wegen der Pandemie möglicherweise noch eine schwere Zeit vor sich haben, bis es zur Erholung kommt. Im Rohstoffbereich hält er Ausschau nach Öl und Industrierohstoffen.
Schaut man näher hin, dann sind die Unterschiede der beiden Depots von HSBC und DZ Bank geringer als auf den ersten Blick erkennbar. Beide Strategen sind bereit, Risiken einzugehen – Cron mehr über Aktien, Kahler mehr über Unternehmensanleihen. Beide planen einen Sicherheitspuffer ein. Bei Cron steckt der zum Teil in den Vola-Strategien, die er mit 15 Prozent kalkuliert. Das sind Anlagen, die von einer Abnahme der Kursschwankungen profitieren.
Privaten Anlegern empfiehlt er in dem Bereich sogenannte Discountzertifikate. Mit denen lassen sich Aktien mit Preisabschlag kaufen, dafür ist aber auch die Teilhabe an Kursgewinnen begrenzt. „Wer zum Beispiel Zertifikate mit einem Discount von 20 Prozent einplant, der macht selbst dann keinen Verlust, wenn die Aktien noch einmal um 20 Prozent einbrechen sollten“, sagt er. Diese Zertifikate gibt es auf einzelne Aktien oder auch auf Indizes. Ein weiteres Sicherheitspolster sind bei ihm Staatsanleihen mit fünf Prozent.
Der Hauptgrund für die Unterschiede in der Depotstruktur sind die jeweiligen Einschätzungen der ökonomischen Situation und damit auch der Aktienmärkte. Cron ist überzeugt, dass die Aktienmärkte das Schlimmste bereits hinter sich haben und allenfalls noch überschaubare Kursdellen zu erwarten sind. Kahler dagegen geht davon aus, dass sich die Märkte nach dem starken Einbruch im März inzwischen stärker als fundamental gerechtfertigt erholt haben.
Er erwartet daher noch deutliche Rückschläge an den Börsen. Deswegen behält er den hohen Cash-Anteil – um beim nächsten Einbruch gerade auch Aktien zukaufen zu können. Vor Kurzem hat er den Nasdaq-Anteil halbiert – aber aus rein taktischen Gründen, weil die Nasdaq trotz Krise beinahe schon wieder auf Rekordkurs war. Auf mittlere und längere Sicht, da ist er sich einig mit Cron, sind amerikanische Tech-Aktien sehr aussichtsreich. Anders ausgedrückt: Beide Strategen sehen längerfristig Aktien als aussichtsreich an, Kahler zögert nur noch mit dem Einstieg.
Wer als Privatanleger an der Börse unterwegs ist, sollte sich überlegen, ob er versuchen will, genau das richtige Timing zu erwischen – oder jetzt schon vorsichtig einsteigt. Umgekehrt: Wer seine Aktien trotz Einbruch behalten hat, für den muss der hohe Cash-Anteil im DZ-Depot kein Signal sein, jetzt auszusteigen.
Kahlers Einschätzung, dass die Aktien noch einmal erheblich billiger werden, teilen viele Experten. So schreibt zum Beispiel John Normand von der US-Bank JP Morgan: „Kredit und Aktien scheinen beide die Tendenz der Märkte zu einer Rally vor dem Ende einer Rezession zu übertreiben.“
Mit „Kredit“ wird hier das Risiko von Zinspapieren beschrieben, dabei geht es vor allem um Unternehmensanleihen, bei denen Risiken eine größere Rolle spielen als bei Staatsanleihen, weshalb ihre Kurse sich häufig bei starken Stimmungsschwankungen an der Börse ähnlich wie Aktien bewegen. Dabei findet Normand die Übertreibung bei den Anleihen eher gerechtfertigt, weil sie auch von den Notenbanken gekauft werden. Außerdem hält er die US-Börse für widerstandsfähiger als die europäischen Aktienmärkte, weil in Amerika Tech-Werte eine größere Rolle spielen, die weniger unter der Krise leiden als zum Beispiel Autoaktien, die im Deutschen Aktienindex (Dax) eine große Rolle spielen.
Die Situation ist allerdings paradox: Wenn so viele Investoren an einen zweiten Einbruch glauben, warum sind die Aktienkurse dann trotzdem schon wieder so stark angestiegen? Vielleicht geht es vielen so wie Cron, der bekennt: „Wir sind ‚long‘ in Aktien, aber fühlen uns dabei unbehaglich.“ Dabei steht „long“ dafür, dass er eine Menge Aktien im Depot hat.
Privatanleger können sich aus den Bausteinen von Vorschlägen wie denen von HSBC und der DZ Bank ihr eigenes Depot zusammensetzen. Wer sehr langfristig denkt, mag schon heute mit einem hohen Aktienanteil ins Rennen gehen – oder einen solchen Anteil beibehalten. Dabei muss man auch die Entscheidung treffen: Setze ich auf Aktien, die immer laufen, wie Nestlé oder Unilever? Auf Tech-Werte wie Amazon oder Netflix, die sogar von der Krise profitieren? Oder auf Aktien von Autoproduzenten, deren Werke gerade erst wieder anlaufen? Möglich ist, einen Teil auf die Gewinner, einen anderen auf die hoffentlich künftige Erholung zu setzen.
Ein Sicherheitspuffer lässt sich, wie von HSBC vorgeschlagen, mit Discountzertifikaten in diesem Bereich einbauen. Bei Zinspapieren ist die Frage, wie die künftige Zinsentwicklung und die Inflation eingeschätzt werden – selbst Experten liegen bei diesen Prognosen nur selten richtig.
Aber attraktiver sind Unternehmensanleihen auf jeden Fall als vor dem Absturz. Die Idee, US-Staatspapiere, möglicherweise mit kurzer Laufzeit, wegen der dort höheren Zinsen einzusetzen, ist auch für Privatanleger relativ leicht umzusetzen. Wenn es um Hochzinsanleihen in Asien geht, wird es schon schwieriger.
Und was ist mit Gold? Weder Cron noch Kahler sind Anhänger des edlen Metalls, das sich in der Krise recht gut entwickelt hat, aber keine laufenden Erträge abwirft. Kahler sagt: „Gold ist eine Glaubensfrage. Und wer daran glaubt, hat es meist schon.“
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