Weltweit sind die Aktienkurse in nur sechs Wochen um 24 Prozent eingebrochen. Deutsche Unternehmen trifft es noch stärker. Doch es gibt sogar Gewinner.
Bulle und Bär vor der Frankfurter Börse
Historisch einmalige Wertverluste an den globalen Aktienmärkten.
Bild: Oliver Ruether/laif
Düsseldorf Mit dem Geld ließen sich alle Staatsschulden Europas tilgen, und es wären immer noch fünf Billionen Euro übrig: 19,4 Billionen Euro haben die 50.805 weltweit börsennotierten Unternehmen nach Handelsblatt-Berechnungen in nur sechs Wochen verloren. In so kurzer Zeit ist dieser Verfall historisch einzigartig.
24 Prozent verloren die Kurse weltweit, in Deutschland trifft es die 755 börsennotierten Unternehmen mit einem Verlust von knapp 30 Prozent noch stärker. Alle hiesigen Firmen zusammen kosten aktuell 1,4 Billionen Euro. Allein Apple und Microsoft erreichen einen Börsenwert von zusammen 1,95 Billionen Euro.
Im Dax haben seit dem Börsenhoch am 19. Februar alle 30 Aktien zweistellige Prozentanteile verloren. Beiersdorf steht mit einem Verlust von „nur“ 15 Prozent noch am besten da. Der Triebwerkshersteller MTU verlor mit 50 Prozent am meisten. Mit Blick auf die nächsten Wochen bleiben Experten skeptisch.
„Solange die Infektionszahlen weltweit überwiegend weiter ansteigen und der Scheitelpunkt noch nicht erreicht ist, können die Kurse auf breiter Front weiter nachgeben“, prognostiziert Chefstrategin Esty Dwek vom französischen Vermögensverwalter Natixis.
Als der Dax am 19. Februar bis auf 13.789 Punkte hochkletterte, hatte sich das Coronavirus in China bereits seit zwei Monaten ausgebreitet und war längst in Europa angekommen. Aber erst als sich die Zahl der Infizierten in immer kürzeren Zeitabständen verdoppelte und erste Todesopfer zu beklagen waren, setzte sich an den Märkten die Meinung durch: Die Pandemie bleibt nicht ohne Folgen für die Wirtschaft.
Seitdem sinken die Kurse und revidieren Konjunkturforscher fast täglich ihre Prognosen nach unten. Am Mittwoch gab das Bundeswirtschaftsministerium bekannt, dass es damit rechne, die Konjunktur könnte sogar stärker abstürzen als in der Finanzkrise 2009. Damals sank das Bruttoinlandsprodukt um 5,7 Prozent – so stark wie nie in der Nachkriegsgeschichte.
Weil die Produktion weltweit eingeschränkt ist und in immer mehr Ländern stillsteht, leiden die vielen exportstarken deutschen Unternehmen besonders unter der Pandemie. Dementsprechend trifft es den deutschen Aktienmarkt besonders stark. Die Unternehmen im Dax büßten binnen sechs Wochen 31 Prozent an Wert ein, die im MDax 32 und die im SDax 35 Prozent.
Damit verlieren die deutschen Unternehmen wieder einmal überdurchschnittlich viel. Das war in der Vergangenheit schon oft so. Der Effekt bewirkt, dass sich das deutsche Börsengewicht, gemessen an dem Rest der Welt, weiter verringert. Mit SAP schafft es aktuell noch ein deutsches Unternehmen unter die 100 wertvollsten Unternehmen der Welt. Vorbei die Zeiten, als auch Bayer, Siemens, BASF, Daimler und die Deutsche Telekom sich dieser Beletage zugehörig fühlen durften.
Grund dafür ist zum einen die einseitige Ausrichtung auf traditionelle Branchen wie Auto, Chemie, Maschinenbau und Handel – an den Finanzmärkten als „Old Economy“ bezeichnet. Technologiefirmen sind rar. Hinzu kommt die starke Exportabhängigkeit. Was jahrelang die Gewinne beflügelte, weil die Unternehmen erfolgreich die boomenden Märkte Asiens und Amerikas bedienten und dort ihre Erträge Jahr für Jahr zweistellig steigerten, mutierte in Zeiten des Protektionismus und einer sich abschwächenden Weltwirtschaft zum Malus.
Die Corona-Pandemie mit den Reisebeschränkungen und unterbrochenen Lieferketten verschärft die Misere. Entsprechend ziehen sich Anleger aus dem deutschen Markt stärker zurück als aus anderen Märkten. Unter den Großkonzernen im Dax haben die Lufthansa und Continental mit mehr als 40 Prozent und der Triebwerkshersteller MTU mit 50 Prozent binnen sechs Wochen am meisten verloren. Die Lufthansa erzielt so gut wie keine Einnahmen mehr, weil fast alle Flieger am Boden bleiben. 87.000 Mitarbeiter wurden in Kurzarbeit geschickt.
Der Stillstand in der europäischen Autoproduktion zwingt den Zulieferer Continental zu Werksschließungen, nachdem Aktionäre bereits mehrere Gewinnwarnungen schon vor der Pandemie verkraften mussten. Und der Dax-Neuling MTU strich angesichts massiver Produktionseinschränkungen seine bereits angekündigte Dividende, was die Massenflucht der Anleger noch verstärkte, sobald die Spekulation darüber im Markt war.
Wer nach den wenigen Gewinnern in der Krise sucht, wird in den unteren Börsenligen fündig. Weil sich viele Kunden nicht mehr in die Läden trauen, explodieren bei Zooplus, dem Onlinehändler für Tierfutter, die Umsätze. Die hohe Eigenkapitalquote von mehr als 50 Prozent macht die Aktie für Anleger attraktiv, denn in Krisenzeiten werden Unternehmen mit starken Bilanzen gesucht. Dass der Vorstand an seiner konservativen Prognose von nur zwölf Prozent Wachstum in diesem Jahr festhält und nicht in Euphorie verfällt, entspricht der Börsenstimmung und schafft in Krisenzeiten eher Vertrauen, als wenn das Unternehmen vorschnell höhere Ziele ausgeben würde.
Bei den wenigen deutschen Technologiewerten stemmt sich Teamviewer gegen den Crash. Der Spezialist für Software rund um den Fernarbeitsplatz profitiert von der Krise, weil immer mehr Menschen von zu Hause aus arbeiten. Dabei benötigen immer mehr IT-Abteilungen der Unternehmen die Hilfe der Teamviewer-Software, um auf die Rechner der Mitarbeiter aus der Ferne zuzugreifen, damit sie (Anwender-)Probleme beheben können. Die Firmen bezahlen für diese Dienste, was sich aus Sicht der Aktionäre in den nächsten Quartalszahlen positiv widerspiegeln wird.
Viele Trends werden sich nach der Krise nicht halten oder abschwächen – aber einige dürften bleiben. „Wir profitieren von einigen Megatrends“, sagte Teamviewer-Chef Oliver Steil schon im Februar bei Veröffentlichung der Jahreszahlen. Auch Branchenexperten gehen davon aus, dass sich Telearbeit dauerhaft immer stärker durchsetzt und durch die Corona-Pandemie einen Schub erlebt, nachdem viele Arbeitnehmer das erste Mal im Homeoffice gearbeitet haben.
Leerer Handelssaal der New Yorker Börse
Erst wenn sich in den USA die Coronavirus-Pandemie verlangsamt, ist Entspannung angesagt.
Bild: AP
Deutschlandweit den mit Abstand größten Kursgewinn in der Krise erzielte Drägerwerk. Das Lübecker Sicherheitstechnik-Unternehmen stellt im In- und Ausland unter anderem Schutzkleidung und Beatmungsgeräte her. Die Bundesregierung erteilte einen Auftrag für 10.000 Geräte, die US-Regierung einen Auftrag für Atemschutzmasken im höheren zweistelligen Millionenbereich. Die Auslieferung soll in den nächsten eineinhalb Jahren erfolgen. Auch hier geht es also um einen längerfristigen Effekt.
Vorstandschef Stefan Dräger bleibt trotzdem vorsichtig mit seiner Ertragsprognose, weil mögliche Lieferengpässe nicht auszuschließen seien, die das Geschäft im Jahresverlauf noch belasten könnten. Anleger stört das offenbar nicht. Die Aktie stieg seit der Börsenkrise um 57 Prozent.
Den wenigen Profiteuren stehen viele krisengeplagte Unternehmen gegenüber. Besonders betroffen sind Firmen mit ohnehin schon angeschlagenen Bilanzen, wie etwa Thyssen-Krupp. Anleger fürchten hier am ehesten Liquiditätsschwierigkeiten. Unter Kursdruck ist Ceconomy, bekannt unter dem alten Namen Mediasaturn. Gleich drei Kennzahlen mahnen hier zur Vorsicht. Mit einer Eigenkapitalquote von 9,4 Prozent im abgelaufenen Quartal ist die Firma finanziell schwach ausgestattet.
Mit jedem Euro Umsatz erzielte Ceconomy im vergangenen Jahr nur einen Vorsteuergewinn von 1,1 Cent. Obendrein bräuchte die Firma 82 Jahre, um aus ihrem Cashflow ihre Schulden zu tilgen. Schon mehr als 15 Jahre gelten als viel.
Ob die Kurse der wenigen Gewinner weiter zulegen und die der übrigen Aktien noch tiefer fallen, hängt nach Meinung von Börsenexperten weniger vom Geschäftsmodell der Unternehmen ab, sondern vielmehr vom weiteren Verlauf der Krise. „Die Aktienmärkte haben die Schäden der Corona-Pandemie bereits zu einem großen Teil eingepreist“, meint Esty Dwek von Natixis. Als Beleg dafür dient ihr die gesunkene Bewertung.
Dennoch erscheint Dwek der Wiedereinstieg in den Aktienmarkt verfrüht. Nach dem Motto „First in – first out“ dürften sich die Kurse in Asien wohl am ehesten erholen, weil hier die Krise begann und bereits begonnen hat abzuebben.
Dass sich indes die Börsen in Europa erholen, ohne dass die Wall Street vorangeht, weil in den USA die Krise spät begann und deshalb womöglich noch länger dauert, erscheint dennoch unwahrscheinlich. Zu groß ist die Abhängigkeit des Dax und aller großen europäischen Indizes von der Wall Street, weil hier milliardenschwere Fonds die meisten Gelder verwalten und rund um den Globus anlegen.
Was die Bewertung von Aktien nach dem Crash angeht, ist nach Meinung vieler Analysten Skepsis darüber angebracht, ob Aktien bereits ein attraktives Kaufniveau erreicht haben. „Das Argument, dass Aktien aufgrund des Kursverfalls günstig geworden sind, ist sehr fragwürdig“, sagt M.-M.-Warburg-Chefvolkswirt Carsten Klude. Möglicherweise sind sie sogar teurer geworden. Das wäre dann der Fall, wenn die Gewinne der Unternehmen noch stärker fallen als die Kurse.
Das ist gut möglich, denn seit Beginn der Krise haben Analysten ihre Schätzungen für die Unternehmensgewinne noch nicht verändert. Grund dafür ist, dass niemand weiß, ob und wie viel überhaupt verdient wird. Reihenweise streichen Unternehmen im Moment ihre Prognosen, doch neue gibt es nicht.
Stellvertretend für viele heißt es beim Baustoffkonzern Heidelberg-Cement, dass es nicht abzuschätzen sei, wie lange die von den Regierungen ergriffenen Schutzmaßnahmen anhalten und welche Auswirkungen diese auf den Bau in den einzelnen Ländern haben. „Vor diesem Hintergrund ist ein seriöser Ausblick auf das Geschäftsjahr 2020 zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich“, erklärte der neue Vorstandschef Dominik von Achten.
Erst wenn das Wirtschaftswachstum im späteren Verlauf des Jahres anziehen sollte, ist aus Sicht der Experten der Zeitpunkt gekommen, „um langsam die Aktieninvestments wieder hochzufahren“, wie es Bob Baur, Chefvolkswirt des US-Investmenthauses Principal Global Investors, ausdrückt.
Dabei setzt er wie die meisten seiner Kollegen auf Aktien konjunkturempfindlicher Unternehmen. Das sind also genau die Werte, die in der Krise leiden. Hingegen dürften die jetzigen Krisengewinner, vor allem im Gesundheitswesen, das Nachsehen haben, weil ihre Dienste zwar weiter gefragt bleiben – aber nicht in dem hohen Maße wie in Corona-Zeiten.
Hoffnung für Konjunktur und Börse gibt es aber auch schon jetzt: das billige Öl. Der Preis ist seit Jahresbeginn um 65 Prozent eingebrochen. Solch einen Crash gab es bislang nur einmal, zu Beginn der Finanzkrise 2008. Billiges Öl lässt die Kosten für viele Chemie-, Pharma-, Automobil-, Maschinenbau- und Stahlkonzerne sinken – wenn sie denn wieder produzieren. Für den Verbraucher kommt der Preisverfall aufgrund künftig niedrigerer Heiz- und Spritkosten einer Steuersenkung gleich.
Auf diese Weise können die Unternehmen zumindest einen Teil des Nachfrageeinbruchs ausgleichen. Mit Abstand am meisten sparen die Luftfahrtgesellschaften. Kerosin macht bei Air France, Lufthansa und anderen etablierten Konzernen 20 bis 30 Prozent der Gesamtkosten aus, bei den Billigfliegern ist der Anteil noch höher. Doch bis sich die positiven Auswirkungen in höheren Gewinnen widerspiegeln, dauert es noch etwas. Erst einmal müssen die Flugzeuge wieder starten.
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