Pair Finance nutzt künstliche Intelligenz für individualisierte Ansprache von Schuldnern
Die Aufgabe eines Inkasso-Dienstleisters ist es, ausstehende Rechnungsbeträge im Auftrag seiner Kunden einzutreiben. Jährlich bearbeiten die Unternehmen nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Inkasso-Unternehmen rund 20 Millionen Forderungen.
Doch wie kann die Zahlungsbereitschaft mobilisiert werden, ohne die Beziehung zwischen Unternehmen und seinen Schuldnern nachhaltig zu schädigen? Mit seiner ersten Studie zu einer erweiterten Schuldnertypologie sieht sich das Start-up Pair Finance besser als zuvor gerüstet, diesen Job zu erfüllen.
Das mehrheitlich zu Finleap gehörende Unternehmen hat unter der Leitung der Verhaltensforscherin Minou Ghaffari, die für Pair Finance tätig ist, 400.000 einzelne Fälle ausgewertet und dabei bestehende Typologien erweitert.
Die Idee dahinter: Je besser ich einen Schuldner kenne, desto eher kann ich mit ihm in den Dialog treten. „Die größte Hürde im Inkasso besteht immer darin, den Verbraucher zu einer Reaktion zu verleiten. Wenn ich eine Reaktion bekomme, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass wir gemeinsam zu einer Lösung kommen“, weiß Pair-Finance-CEO Stephan Stricker.
Bisher hat sich die Forschung um die Zahlungsbereitschaft und -fähigkeit gekümmert. Pair Finance hat in der Studie diese Bereiche um die Dimensionen finanzielle Organisation und emotionales Verhalten ergänzt, sagt Ghaffari. Herausdestilliert wurden 16 Verbrauchertypen. „Die breitere Aufstellung ermöglicht einen detaillierteren Blick auf die Kunden“, so Ghaffari.
Mit den vorhandenen Daten aus den Zahlungsfällen konnte der Algorithmus so trainiert werden, dass Pair Finance Verbraucher individualisiert mit Hilfe künstlicher Intelligenz ansprechen kann.
Die Kontaktaufnahme variiert in puncto Kommunikationskanal (Brief, Mail, SMS), in der Art und Weise der Anrede, in der Tonalität, in den Zeitpunkten (eher morgens oder abends) und der Häufigkeit. „Kleine Unterschiede in der Kommunikationsstrategie können schon große Auswirkungen haben“, sagt Ghaffari.
Identifiziert die künstliche Intelligenz einen potenziell kooperativen Schuldner, kann die Anrede beispielsweise so ausfallen: „Vielleicht haben Sie die Rechnung einfach übersehen, vielleicht haben Sie in der Hektik des Alltags vergessen zu zahlen. Gemeinsam finden wir eine Lösung.“
Immer mehr Unternehmen der Inkasso-Branche gehen dazu über, künstliche Intelligenz für das Eintreiben von Forderungen einzusetzen. Dazu gehören beispielsweise auch Unternehmen wie Troy oder Arvato Financial Solutions.
Volkswirtschaftlich erfüllt die Branche eine wichtige Funktion. Jährlich werden nach Angaben des Branchenverbands 5,8 Milliarden Euro dem Wirtschaftskreislauf wieder zugeführt.
Noch liegen keine Studien vor, die belegen, dass der KI-basierte Ansatz der herkömmlichen Herangehensweise überlegen ist. Aber beispielsweise gelte die Reaktionsquote der Schuldner bei Pair Finance von 78 Prozent als sehr hoch. Zudem würde man 90 Prozent der realisierten Fälle im vorgerichtlichen Mahnwesen lösen.