PremiumFinanz-Start-ups lockt der Reiz der größten Volkswirtschaft. Dabei geraten Konkurrenz, regulatorische Hürden und veränderte Marktbedingungen schnell in Vergessenheit.
New York, Frankfurt Die Umzugskisten stapeln sich, zahlreiche Computerbildschirme stehen herum: Beim Berliner Finanz-Start-up Raisin macht sich in der Broad Street im New Yorker Stadtteil Manhattan Aufbruchsstimmung breit. Bislang arbeiteten die etwa 25 Mitarbeiter des Fintechs in der Coronapandemie aus dem Homeoffice.
Das will die Zinsplattform künftig ändern: „Nach unserer Fusion im vergangenen Jahr legen wir nun die Büros zusammen und wollen unseren Mitarbeitern anbieten, wieder ins Büro zurückzukehren“, sagt Marcel Bock, US-Chef von Raisin. Mitte des vergangenen Jahres fusionierte das Fintech mit Wettbewerber Deposit Solution.
Die Idee der Zinsplattformen: Sparern bessere Zinsen anzubieten als die Geldhäuser aus dem jeweiligen Heimatmarkt. Dafür kooperieren sie mit Banken aus dem Ausland. Finanzinstitute können die Plattform zudem als eigene Marktplätze für Sparprodukte nutzen.
Die Szenerie der mühsamen Rückkehr ins Büro steht jedoch sinnbildlich für die bisherige Wachstumsgeschichte Raisins: Richtig angekommen sind die Berliner in den USA noch nicht. Seit dem offiziellen Launch 2020 hat Raisin erst sieben Banken als Kunden für sich gewonnen. Zum Vergleich: In Europa hat das junge Unternehmen derweil nach eigenen Angaben mehr als 400 Partnerbanken mit mehr als 750.000 Kunden.
Mit dem Traum vom florierenden US-Geschäft ist Raisin nicht allein. Neben der Zinsplattform hat etwa auch der Ident-Dienst WebID Solutions als eines der wenigen deutschen Fintechs den Schritt in die USA gewagt – und kämpft mit den gleichen Problemen. Das Berliner Fintech, das zu den ersten Firmen zählt, die das Thema Online-Identifikation vorangebracht haben, hat seit dem US-Start 2018 bisher nur fünf Kunden angeworben.
Und das in einem Marktumfeld, in dem Fintechs ohnehin Schwierigkeiten haben, Geld von Investoren einzusammeln. Zinswende, Inflation und Ukrainekrieg führen zudem zu Entlassungen bei einigen Fintechs. Statt Wachstum um jeden Preis rückt nun die Profitabilität in den Vordergrund.
Am brisantesten ist die Lage etwa bei der Berliner Kryptobank Nuri: Sie hat am Dienstag Insolvenz angemeldet. Obwohl Nuri bereits 45 ihrer 200 Mitarbeiter entlassen hat und auch ihre Strategie weg vom reinen Nutzerwachstum, hin zu höheren Umsätzen und entsprechend geringeren Kosten geändert hat, hat das Unternehmen bislang erfolglos neues Kapital gesucht.
Trotzdem: Sowohl Raisin als auch WebID wollen sich in den USA durchsetzen. „Wir wollen der größte Markt für Raisin werden“, sagt Bock. Dazu bietet sich ihnen laut Max Flötotto von der Unternehmensberatung McKinsey jetzt eine „größere Chance als jemals zuvor“.
Denn Fintechs ergreifen aufgrund des Marktumfelds derzeit vor allem kurzfristige Maßnahmen wie etwa das Herunterfahren der Marketingausgaben und die Fokussierung auf das eigene Produkt. „Der Wettbewerb um Kunden ist deshalb einfacher geworden, in den USA sogar noch deutlicher“, sagt er. Wenn jetzt Kapital vorhanden sei und man investiere, könnten sich die Fintechs große Marktanteile sichern, sagt Flötotto – vorausgesetzt, sie verfügten über ein Geschäftsmodell, das sich auch in Krisenzeiten als nachhaltig und profitabel erweise.
Flötotto nennt aber auch die Gründe, warum deutsche Fintechs bislang mit Wachstumsschwierigkeiten kämpfen. „Sie lockt der Reiz der größten Volkswirtschaft der Welt und die Aussicht auf ein großes Geschäft.“ Die große Konkurrenz, die regulatorischen Hürden und die veränderten Marktbedingungen gerieten dabei schnell in Vergessenheit.
Nils Beier von der Unternehmensberatung Accenture ergänzt: „Dinge, die in Deutschland funktionieren, funktionieren nicht zwangsläufig auch in den USA.“ Die Bundesstaaten seien, was die Zielgruppen oder die Regulierung angehe, durchaus unterschiedlich.
Zudem brauchen sie laut Beier eine dezidierte Markteintrittsstrategie. Doch diese zu erarbeiten, das liege ihnen nicht unbedingt, sagt der Accenture-Berater. Ihr Fokus liege meist darauf, schnell an den Start gehen zu können. Dabei werde die notwendige Vorbereitung stark unterschätzt.
Prominentestes Beispiel für eine gescheiterte Expansion in die USA ist die Smartphonebank N26. Mitte 2019 waren die Berliner in den USA gestartet, Ende 2021 verkündeten sie ihren Rückzug.
So sah sich N26 unter anderem mit einem harten Wettbewerb im US-Bankenmarkt konfrontiert. Großbanken wie JP Morgan oder Citi investieren Milliarden Dollar in die Digitalisierung ihrer Angebote. Zudem gibt es auch noch US-Neobanken wie Chime, die Kunden anlocken.
Dadurch konnte N26 nur langsam wachsen: Im Januar 2020 meldete die Smartphonebank 250.000 Kunden, Ende des vergangenen Jahres, als die Bank den Markt wieder verließ, waren es 500.000 Kunden.
Das Angebot passte laut Beier nicht zu den Erwartungen der US-Kunden: „Es gab nur wenig Mehrwert im Vergleich zu lokalen Anbietern.“
Aufgrund der großen Konkurrenz setzt Raisin vor allem auf die Zusammenarbeit mit regionalen Partnerbanken – und will dadurch einen Mehrwert bieten. „Großbanken wie JP Morgan oder Citi haben genug Reichweite, um ihre Sparprodukte national zu vermarkten“, sagt Bock.
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Deshalb werben sie insbesondere um regionale Banken, die ihre Einlagen bundesweit erhöhen und vor allem auch ein digitales Angebot aufbauen wollen. „Das ist der Mehrwert, den wir bieten können: Wir unterstützen Banken, und Sparer bekommen bessere Zinssätze“, sagt der US-Chef. Raisin selbst verdient über Provisionen.
Unternehmensberater Beier von Accenture merkt jedoch an: „Es gibt unter Amerikanern nicht diese Sparermentalität, die wir von den Deutschen kennen.“ Amerikaner besitzen laut der Kreditauskunft Experian im Schnitt vier Kreditkarten, die Höhe der Schulden beläuft sich durchschnittlich auf fast 97.000 Dollar (etwa 95.000 Euro). Zum Vergleich: In Deutschland wurden laut einer Studie der Bundesbank 2020 durchschnittlich etwa zwei Debit- und Kreditkarten ausgegeben.
Schlechte Voraussetzungen für eine Plattform, die sich an Sparer richtet. Dennoch glaubt Bock an die US-Expansion. Grund für seine Zuversicht ist vor allem das generelle Marktumfeld. Während der Coronapandemie habe es kaum Zinsen gegeben, doch dies ändere sich nun. Zudem sind die Aktienmärkte höchst volatil. Sein Ziel ist deshalb, in diesem Jahr mehr als acht Partnerbanken hinzuzugewinnen. „Wir sind bei den Banken gefragter denn je“, sagt Bock.
Wachstumspläne hat auch der Ident-Dienst WebID. Beim Video-Ident-Verfahren können Kunden ihre Identität vom heimischen Sofa aus bestätigen lassen. Sie halten ihren Personalausweis vor eine Webcam, beantworten im Videochat ein paar Fragen – und können sich auf diese Weise legitimieren, etwa für die Eröffnung eines Kontos.
Während auf dem deutschen Markt etwa die Deutsche Bank oder die Onlinebank DKB zu den Kunden zählen, hat WebID in den USA nur eine Handvoll Kunden. Im September des vergangenen Jahres übernahm der britische Finanzinvestor Anacap die Mehrheit am Identitätsdienst. „Das Ziel ist, dass wir für Unternehmen weltweit die Kundenprüfung übernehmen können“, sagte WebID-Chef Frank Jorga damals.
Doch mehr als neun Monate später ist von Wachstum keine Spur, das Unternehmen gewann keinen einzigen Kunden hinzu. Weitere Fragen zum Kundenwachstum in den USA oder insgesamt wollte WebID auf Nachfrage des Handelsblatts nicht beantworten.
Erst seit Jahresanfang ist das Berliner Start-up Moonfare in den USA. Das neue Büro in der 24. Straße in Manhattan ist eigentlich zu groß für die 15 Mitarbeiter, die bislang kaum eine Hälfte des Großraumbüros füllen.
Moonfare ermöglicht privaten Anlegern den digitalen Einstieg in Private-Equity-Fonds, Fonds für Wagniskapital sowie Infrastrukturfonds. Moonfare hat somit eine spitze Zielgruppe. Das verwaltete Vermögen in den USA liegt derzeit bei etwa 100 Millionen Dollar von etwas mehr als 150 Kunden.
Investoren üben Druck aus, schnell global zu skalieren. Das ist manchmal etwas zu überstürzt. Max Flötotto, Berater bei Mc-Kinsey
Moonfare-Chef Steffen Pauls schätzt das Marktumfeld in den USA sogar einfacher als in Europa ein. „In den USA gibt es eine einheitliche Regulierung, was Anlagestrategien angeht, in Europa ist das noch länderspezifisch unterschiedlich“, sagt er.
Doch Moonfare ist erst wenige Monate im Markt. Der Grund für die langsame oder gescheiterte Expansion in die USA der anderen Akteure dürfte laut Flötotto auch am Markt selbst liegen. „Deutsche Fintechs haben Schwierigkeiten bei der Internationalisierung. Der deutsche Markt hat genau die falsche Größe: zu groß, um ihn direkt verlassen zu wollen, zu klein, um langfristig nur in dem Markt zu bleiben.“
Er warnt Fintechs davor, immer den Forderungen der Geldgeber zu folgen: „Investoren üben auch Druck aus, schnell global zu skalieren“, sagt Flötotto. Das sei manchmal etwas zu überstürzt.
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