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14.03.2023

02:00

Bankenkrise

Silicon Valley Bank am Tag danach

Von: Katharina Kort, Felix Holtermann, Astrid Dörner

Kalifornien, Texas, New York: Am Tag nach der Bankenrettung gibt es vorsichtiges Aufatmen. Aber viele Unsicherheiten bleiben.

Viele Start-ups hatte ihr Geld bei der Bank angelegt. Bloomberg

Silicon Valley Bank

Viele Start-ups hatte ihr Geld bei der Bank angelegt.

New York, Austin „Das Büro der Silicon Valley Bank ist auf der zweiten Etage. Aber die haben heute geschlossen“, erklärt der Pförtner in dem Gebäude der Park Avenue in Manhattan, wo die zusammengebrochene Bank aus Kalifornien ihren New Yorker Sitz hat. Längst hat das Drama um die Tech-Bank auch die amerikanische Finanzmetropole erfasst. 

Die US-Aufsichtsbehörden haben auch die New Yorker Signature Bank geschlossen, die 16 Häuserblöcke weiter nördlich ihren Sitz hat. Und im Süden der Stadt verlieren an der Wall Street vor allem Papiere kleinerer Banken an diesem Tag teilweise mehr als 40 Prozent. Kunden und Mitarbeiter sind verunsichert.

„Doch, doch, der Bankautomat funktioniert“, versichert der Mann am Eingang der Signature-Bank-Filiale in Manhattan. Tatsächlich spuckt das Gerät eine Minute später die gewünschten Scheine aus. Ein älterer Kunde, der gerade die Bank verlässt, erzählt, dass er gerade neues Geld deponiert hat. „Aber es war schon komisch da drin“, berichtet er von seinem Besuch, „keiner versteht so recht, was gerade passiert.“

Der Montag ist der Tag eins nach der Rettung. In einer Hauruck-Aktion haben US-Regulierer am Sonntag breite Garantien für die Kunden der SVB und der Signature Bank ausgesprochen. Die gehen über die Einlagengarantien für Summen bis zu 250.000 Dollar hinaus. Bei beiden Banken sind die Einlagen in ein Brücken-Institut überführt worden, sie haben am Montag einen neuen Chef bekommen.  

Der Montag ist auch ein Test, wie gut die Übergabe läuft, nachdem viele Kunden am Wochenende panisch vor ihren Monitoren oder vor nicht funktionierenden Geldautomaten standen und Unternehmen Einlagen in Milliardenhöhe abziehen wollten. Der Montag ist auch der Test für die Märkte, die noch längst nicht beruhigt sind. US-Präsident Joe Biden hat sich an die Nation gewandt, um die Amerikaner zu beruhigen: das Bankensystem sei sicher. 

Der renommierte Ökonom und Allianz-Berater Mohamed El-Erian erklärt, dass „den Investoren missfällt, dass nur die Bankkunden geschützt wurden“. Weil der Staat für Aktionäre und Anleiheinvestoren nicht geradestehen will, sei „die Ansteckungsgefahr derzeit nicht gebannt. Sie ist jedoch auf die Finanzbranche beschränkt“, meint El-Erian.

„Es gibt gerade schlechte News“

Vor dem Hauptsitz der Signature Bank an der 5th Avenue gleich neben dem Adidas-Flagship-Store haben sich an diesem Tag zwei Sicherheitsmänner positioniert, die Neugierige abwimmeln. Im Coffee-Shop nebenan erklärt eine junge Dame mit ihrem Kaffeebecher in der Hand: „Signature Bank ist eigentlich ein Kunde von uns. Aber es gibt, glaube ich, gerade schlechte News.“

Die schlechten News sind es auch, die am Montag zig Kunden zur kalifornischen Zentrale der Silicon Valley Bank in Santa Clara pilgern lassen. Dort stehen Privatkunden und Start-up-Unternehmer in der Schlange, die Millionen bei der Bank deponiert haben und sich sorgen, dass sie ihre Mitarbeiter nicht bezahlen können. Nach der Rede des US-Präsidenten am Vormittag gesellen sich auch Vertreter des Einlagensicherheitsfonds FDIC (Federal Deposit Insurance Corporation) zu den Wartenden und versuchen, die Gemüter zu beruhigen. 

„Die Amerikaner können sich darauf verlassen, dass das Bankensystem sicher ist“, hatte der US-Präsident kurz zuvor im Weißen Haus gesagt. „Euer Geld wird da sein, wenn ihr es braucht“, fügte er mit Blick auf die Kunden der Bank hinzu.

Bei der Veranstaltung ist die Pleite der Bank Hauptgesprächsthema. Bloomberg

South By Southwest Festival

Bei der Veranstaltung ist die Pleite der Bank Hauptgesprächsthema.

Der Neustart am Montag ist allerdings nicht völlig reibungslos verlaufen. Ein Wagniskapitalgeber berichtet gegenüber dem Handelsblatt, dass es Probleme bei der SVB gab. Das Geld sei da, aber die Systeme seien überlastet, weil jetzt alle Geld überweisen und Gehälter zahlen müssen.

SVB-Drama überschattet die Tech-Messe SXSW in Texas

Die Probleme sind nicht nur an der Westküste und in New York zu spüren. Die Zitterpartie rund um die SVB überschattet am Montag auch die wichtige Technologiemesse „South by Southwest“ (SXSW) in Austin. „Was für ein Wochenende“, ist eine gängige Begrüßung auf der Messe.

Für Brett Martin etwa hat der Montag früh am Morgen begonnen. „Ich checke meine Messages seit dem Aufwachen“, sagt der Co-Chef von Charge Ventures, einem Wagniskapitalgeber, der in gut 60 Start-ups investiert hat. Viele hatten Gelder bei der Silicon Valley Bank (SVB) geparkt – und trotz der am Sonntag beschlossenen Stützungsaktion konnten sie am Montagmorgen noch nicht auf ihre Gelder zugreifen. Erst im Lauf des Vormittags entspannte sich die Situation, berichtet Martin. „Noch gibt es Hick-ups, aber man kommt wieder an sein Geld.“

Die SXSW gilt als die „Feel Good“-Messe der Tech-Branche: Im texanischen Frühling treffen sich bei 20 Grad und Sonnenschein Gründer, Kapitalgeber, Filmemacher und Musiker. Eigentlich ist die Stimmung ausgelassen, die ganze Innenstadt eine Messezone mit Pop-up-Imbissen, Ständen von Slack, Porsche, Amazon, und – ganz unamerikanisch – Drinks auf der Straße.

Reign Ventures erklärte nach der Zwangsschließung der Bank am Samstag, alle Messeauftritte abzusagen. Andere Manager blickten auf Panels auf ihr Handy oder verabschiedeten sich kurzfristig für Krisengespräche. „SVB, du verstehst.“ Am Montag folgte dann ein vorsichtiges Aufatmen.

„Die Silicon Valley Bank ist der schwarze Schwan“

Der legendäre Risikokapitalgeber Bill Gurley, Partner von Benchmark, nannte den Zusammenbruch der Silicon Valley Bank einen „schwarzen Schwan“, also ein äußerst unwahrscheinliches und kaum zu antizipierendes Ereignis. „Nichts tun und abwarten ist meine neue Gewohnheit“, witzelte er über die Panik des Wochenendes. Erst am Sonntag hatten die Aufseher bekannt gegeben, dass die Einleger vollen Zugang zu ihrem Geld erhalten würden.

Der Kritik am staatlichen Eingreifen wollte sich Gurley nicht anschließen. Er verglich die jüngste Krise mit der Finanzkrise von 2008, bei der Washington die Großbanken mit Steuergeldern gerettet hatte, was im SVB-Fall nicht geschehen war. „Ich bin mir nicht sicher, ob es vernünftig ist, zu erwarten, dass jedes Start-up einfach aufgeben muss, nur weil es die falsche Bank gewählt hat“, sagte er. Wenn die gesamte Wall Street SVB vertraut habe, warum sollten das Start-ups dann nicht getan haben, so sein Argument.

Wagniskapitalgeber Martin sieht das etwas anders. „Die Lage war chaotisch und eine Herausforderung für alle Gründer, mit denen wir zusammenarbeiten“, sagte er dem Handelsblatt. „Ich denke, es hat allen Start-ups wieder in Erinnerung gerufen, dass man sein Risiko diversifizieren und einen Plan B und einen Plan C haben muss.“

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Die meisten Start-ups, in die er investiert habe, hätten mit SVB und der ebenfalls unter Druck geratenen First Republic Bank zusammengearbeitet. „Ich habe den größten Teil des Wochenendes damit verbracht, herauszufinden, wer davon betroffen ist.“ Schon vor dem Zusammenbruch hätte er seinen Start-ups jedoch geraten, nicht alles auf eine Karte zu setzen. „Das ist nie eine gute Idee“, so Martin. Auch wenn ein ganzer Strauß an Bankbeziehungen bei einem kleinen Start-up weniger Sinn ergebe als bei einem großen. „Wenn du 1,5 Millionen Dollar an Cash hast, willst du nicht fünf Bankkonten haben.“

Martin zufolge hatte es die ersten Warnungen bereits am Mittwochabend gegeben, als die SVB über die geplante Kapitalerhöhung informierte. „Die Leute haben sofort angefangen, darüber zu reden. In meinen Slack- und WhatsApp-Gruppen sagten die einen: ,Bleib dabei‘, viele andere: ,Nimm dein Geld und verschwinde‘.“

Roku hatte 480 Millionen Dollar bei SVB geparkt

Dass nicht nur kleine Start-ups sich beim Risikomanagement verschätzen können, zeigt das Beispiel Roku. Das Streaming-Unternehmen hatte ein Viertel seines Cash-Bestands, rund 480 Millionen Dollar, bei SVB geparkt. Am Montag sprang die Bank of America Roku zur Seite und bestärkte ihre Kaufempfehlung, nachdem die Aktie seit Donnerstag stark unter Druck geraten war, was den Kurs stabilisierte.

Andere Unternehmen hatten weniger prominente Unterstützung – und mussten sich zum Beispiel direkt an ihre Kunden wenden. So gab der Spielzeug-Onlinehändler Camp am Wochenende 40 Prozent Preisnachlass auf sein Sortiment und rief seine Kunden dazu auf, den vollen Preis zu bezahlen, wenn möglich. Auch Camp hatte einen großen Teil seines Cash bei SVB gelagert.

Laut Insider-Intelligence-Analystin Sky Canaves dürfte der Fall zum warnenden Beispiel werden. „Der Zusammenbruch der SVB war kein exotisches Ereignis, sondern simple Psychologie. Das war ein klassischer Bank-Run“, sagte sie dem Handelsblatt. Nun sei zu erwarten, dass vor allem auf kleinere und regionale Banken neue Anforderungen der Aufsicht zukommen. „Größere Banken sind in Bezug auf ihre Anlagen besser diversifiziert und können einen kurzfristigen Liquiditätsbedarf leichter decken. Kleinere Banken sind verwundbarer, wenn viele Anleger gleichzeitig ihr Geld abziehen.“

Viele Start-ups hätten keine andere Wahl gehabt, als einen großen Teil ihres Cashs bei SVB zu parken, sagte Canaves. „Das ging oft mit einer engeren Geschäftsbeziehung einher, etwa dem Einräumen von Kreditlinien. Und die SVB war die einzige Bank, die Start-ups ähnliche Vorteile bot wie größeren Tech-Unternehmen.

„Im Start-up-Ökosystem konnte man gar nicht anders, als mit der SVB zu arbeiten“, sagte auch Martin – der privat kein Kunde der Bank war. „Einer der Gründe, warum die Silicon Valley Bank so erfolgreich war, war, weil sie ein wirkliches Verständnis für die Lebenssituation von Gründern hatte.“ So hätten Gründer, die nach dem Verkauf ihrer Firma zwar viel Geld auf dem Konto, aber kein regelmäßiges Einkommen hatten, oft nur von der SVB eine Hypothek mit vernünftigen Konditionen bekommen. Wie die Lage in Zukunft aussehe, wenn SVB etwa von einem großen Wall-Street-Haus übernommen würde, sei offen.

Künftig dürfte es noch viele Debatten über die neue Geschwindigkeit geben dank Smartphones und Social Media, die „schwarze Schwäne“ wie einen Bank-Run beschleunigten, glaubt Martin. „Die Silicon Valley Bank ist so groß geworden, weil sie sich auf ein so starkes, engmaschiges Netzwerk stützen konnte: das Silicon Valley und sein Risikokapital. Doch dieses Netzwerk war so klein, dass sich die Panik rasend schnell verbreitet hat. Heute kann eine 200 Milliarden Dollar schwere Bank in zehn Stunden untergehen.“

Sven Weber, Partner der Investmentgesellschaft Knightsbridge Advisers, begrüßt daher die Rettung der Bank. „Jeder atmet auf, weil die Gründer wie gewohnt an ihr Geld kommen“, berichtet er. „Überall hier im Silicon Valley hört man Start-up-Mitarbeiter darüber diskutieren, wo sie das Geld künftig parken wollen und was die besten Strategien sind. Aber es ist ein bisschen wie nach einer Schlacht: Jeder ist dabei zu schauen, wie groß die Wunden sind.“

Auf der SXSW in Austin geht es am Montagabend trotz Wundenlecken weiter wie gehabt: mit Drinks, Live-Musik – und Gesprächen über die Silicon Valley Bank.

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