Das größte deutsche Kreditinstitut ist weiter zu abhängig vom Investmentbanking. Die Zinswende bietet der Deutschen Bank die Chance, das zu ändern – wenn sie die Risiken im Griff behält.
Deutsche Bank
Der Aktienkurs der Deutschen Bank hat seit Jahresbeginn gut 16 Prozent verloren.
Frankfurt Es ist ein Stabwechsel in unruhigen Zeiten: Wenn sich am Donnerstag die Aktionäre der Deutschen Bank vor ihrem Bildschirm zur virtuellen Hauptversammlung zusammenschalten, wird Aufsichtsratschef Paul Achleitner ein letztes Mal das Aktionärstreffen leiten. Zehn Jahre lang hat er daran mitgearbeitet, aus der notorischen Skandalnudel ein Institut zu formen, das „ein bisschen langweiliger“ ist, wie Vorstandschef Christian Sewing es nach seinem Amtsantritt versprach.
Auf dem Weg dahin hat Achleitner mit Anshu Jain, Jürgen Fitschen und John Cryan gleich drei Vorstandschefs verschlissen. Im April 2018 beförderte er dann Sewing zum CEO – dem viele Investoren inzwischen zutrauen, die Bank erfolgreich zu transformieren. Sewing ist es insbesondere in seinen ersten Jahren gelungen, die Ausgaben unter Kontrolle zu bringen und Teile des mächtigen Investmentbankings zu stutzen. Pünktlich zu Achleitners Abschied schüttet die Deutsche Bank nach zwei Jahren Pause auch wieder eine Dividende aus, denn Milliardenverluste haben sich in einen Milliardengewinn verwandelt.
Daran, dass die Bank bis Jahresende eine Eigenkapitalrendite von acht Prozent erwirtschaften kann, zweifeln Analysten zwar noch immer. Doch die Kluft zwischen dem erklärten Ziel der Bank und den Analystenprognosen, die im Durchschnitt mit 6,5 Prozent rechnen, ist deutlich kleiner geworden.
Allerdings fragen sich viele Investoren, wie nachhaltig die Gewinne der Bank sind. „Das Management muss es nun schaffen, die Profitabilität dauerhaft auf einem hohen Niveau zu festigen“, mahnt der Fondsmanager von Großaktionär Deka Investments, Andreas Thomae.
Der Ukrainekrieg, die daraus resultierende Gefahr einer Rezession in Europa und die hohe Inflation machen diese Aufgabe nicht leichter. Der Aktienkurs – bis Kriegsausbruch noch im Aufwind – hat seit Jahresbeginn gut 16 Prozent verloren. Einige Faktoren haben sich aber auch zugunsten der Deutschen Bank entwickelt. Der Handelsblatt-Bilanzcheck im Detail:
Zu Beginn der Transformation hatten sich Sewing und sein Vize, Finanzvorstand James von Moltke, vor allem als Sparkommissare profiliert. Mittlerweile gelingt es der Bank aber auch wieder, ihre Erträge zu steigern. Die Nettoeinnahmen wuchsen 2021 um sechs Prozent auf 25,4 Milliarden Euro. Die Bank will diesen Wert in diesem Jahr noch einmal auf 26 bis 27 Milliarden Euro steigern.
Zum Ertragszuwachs 2021 haben vor allem höhere Provisionseinnahmen und Handelsgewinne beigetragen. Allerdings ist es der Bank auch gelungen, die Erosion ihres Zinsüberschusses zu verlangsamen. Da das Institut deutlich weniger Rückstellungen für ausfallgefährdete Kredite zurücklegen musste, blieb nach Abzug der Risikovorsorge deutlich mehr von den Zinseinnahmen übrig als im Vorjahr.
Dieser Effekt dürfte sich im laufenden Geschäftsjahr allerdings nicht wiederholen. Die Deutsche Bank hatte schon vor Ausbruch des Kriegs mit einem deutlichen Anstieg der Kreditrisikovorsorge gerechnet. Im April korrigierte sie ihre Prognose nach oben und geht nun davon aus, dass sie 0,25 Prozentpunkte ihres Darlehensvolumens für mögliche Kreditausfälle zurücklegen muss. Im Vorjahr waren dafür nur 0,12 Prozentpunkte des Kreditvolumens nötig.
Auf der Habenseite stehen die besseren Ratings des Instituts: Die großen Ratingagenturen haben ihre Bonitätsnoten im vergangenen Jahr angehoben. Darauf achten viele institutionelle Kunden bei der Wahl ihrer Bank- und Geschäftsbeziehungen. Deshalb könnte das Kapitalmarkt- und Vermögensverwaltungsgeschäft davon profitieren.
Ein Wermutstropfen ist aus Sicht vieler Investoren allerdings die ungleiche Zusammensetzung der Erträge: Sie speisen sich überwiegend aus der Investmentbank. Sie stand im Geschäftsjahr 2021 ebenso wie im Jahr davor für rund 38 Prozent der Nettoerträge und praktisch den gesamten Vorsteuergewinn. Im Auftaktquartal 2022 schnitt die Investmentbank sogar noch besser ab.
Was kurzfristig gut aussieht, birgt langfristig Risiken. Denn der Anleihe- und Devisenhandel oder die Beratung bei Börsengängen und Übernahmen unterliegen üblicherweise größeren Schwankungen, weil sie von der Lage an den Märkten und der Konjunkturentwicklung abhängen.
Deshalb wäre ein ausgeglichenerer Ertragsmix für die Bank gut. Finanzvorstand von Moltke hatte zu Jahresbeginn im Handelsblatt die Erwartung geäußert, dass die Unternehmensbank und die Privatkundenbank „eine größere Rolle als Wachstumstreiber übernehmen“ werden.
Die Ertragschancen für die Privatkunden- und die Firmenkundensparte haben sich in den vergangenen Monaten grundsätzlich verbessert: Bislang bremsten die Null- und Negativzinsen der Notenbanken die Verdienstmöglichkeiten im wichtigen Kreditgeschäft aus.
Die wichtigen Zinseinnahmen sind in den vergangenen Jahren deshalb kontinuierlich gesunken. Mit der Einführung von Negativzinsen für Kundeneinlagen hat das Geldhaus zwar gegengesteuert, konnte die Ertragserosion dadurch aber nicht stoppen.
Dabei hat die Bank nach einer Delle zu Beginn der Coronapandemie ihr Kreditgeschäft kontinuierlich ausgebaut. Im vergangenen Jahr stieg der Darlehensbestand um zehn Prozent auf 471 Milliarden Euro. Dieser positive Trend hat sich zu Jahresbeginn fortgesetzt.
Mittlerweile haben die Notenbanken in den USA und der Euro-Zone die geldpolitische Wende eingeläutet. Die US-Notenbank Fed hat die Zinsen bereits erhöht, die Europäische Zentralbank (EZB) dürfte im Sommer folgen.
Die Kapitalmärkte haben die Zinswende längst vorweggenommen: Der Abstand zwischen kurz- und langfristigen Zinsen hat sich in den USA und Europa seit Jahresbeginn deutlich vergrößert. Damit verbessern sich die Verdienstmöglichkeiten von Banken. Der Expansionskurs im Kreditgeschäft dürfte sich bei steigenden Zinsen auch stärker in der Gewinn-und-Verlust-Rechnung bemerkbar machen.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Bank nicht von unerwartet hohen Kreditausfällen überrascht wird. Die Bank hat ihre Risikovorsorge in Reaktion auf den Ukrainekrieg zwar aufgestockt, aber nicht im gleichen Maße wie einige Wettbewerber. Finanzchef von Moltke hatte den relativen Optimismus der Bank bei der Vorlage der Quartalszahlen damit begründet, dass Deutschland „den fiskalischen Spielraum und den politischen Willen“ besitze, seine Wirtschaftsunternehmen im Falle eines dramatischen Konjunktureinbruchs zu unterstützen.
Auch zu Beginn der Coronapandemie hatte das Institut vergleichsweise wenig Mittel für mögliche Kreditausfälle beiseitegelegt – und mit seiner Einschätzung recht behalten.
Während die Bank erste Erfolge auf der Ertragsseite für sich verbuchen kann, fällt es ihr immer schwerer, ihre Ausgaben unter Kontrolle zu halten. Schon im abgelaufenen Geschäftsjahr sind die Verwaltungskosten leicht auf 21,5 Milliarden Euro gestiegen.
Das lag einerseits an ungeplant höheren Restrukturierungskosten, zum Teil waren die Mehrausgaben aber auch mit höheren Einnahmen verbunden. Das gilt etwa für Boni, die notwendig werden, wenn die Investmentbanker bessere Geschäfte machen.
Mittlerweile steigen die Personalkosten aber auch unabhängig von erfolgsabhängigen Prämien. Von Moltke begründet das mit dem zunehmenden „Krieg um Talente“ im Bankensektor. Auch die höheren Tarifabschlüsse dürften den Ausgabedruck erhöhen.
Zugleich verlangsamt sich der Personalabbau der Bank. Zwar beschäftigt das Institut von Jahr zu Jahr weniger Mitarbeiter, doch das Abbautempo hat sich erheblich verlangsamt. Das einst postulierte Ziel, die Zahl der Vollzeitstellen bis Ende 2022 auf 74.000 Jobs zu reduzieren, findet sich seit Längerem nicht mehr in den Konzernpräsentationen.
Ihr absolutes Kostenziel hat die Bank ohnehin schon im vergangenen Jahr aufgegeben. Nur für die Aufwands-Ertrags-Relation gibt es noch eine feste Zielmarke von 70 Prozent. „Der Vorstand hat sich in puncto Kostendisziplin einen guten Ruf erarbeitet, den er nicht verspielen darf“, warnt die Fondsmanagerin von Union Investment, Alexandra Annecke.
Ein wiederkehrender Streitpunkt ist die Vergütungspolitik der Bank. Das gilt in diesem Jahr vor allem für die Entlohnung im Vorstand. Sewing zählte mit einem Salär von 8,8 Millionen Euro zu den Spitzenverdienern unter Europas Bankern.
Zu den wenigen Topmanagern, die noch mehr verdienen, gehört etwa UBS-Chef Ralph Hamers. Dafür erhalten die Chefs von Banken wie Barclays, HSBC, BNP Paribas oder ING zum Teil deutlich weniger, wie aus einer Studie von BNP Paribas hervorgeht.
Im Vergleich zu anderen europäischen Banken verdienen auch ungewöhnlich viele Mitarbeiter des Instituts siebenstellige Summen. Zwar hat die Deutsche Bank ihren Spitzenplatz bei der Zahl der Einkommensmillionäre im vergangenen Jahr an Barclays abgegeben. Doch mit 520 Spitzenverdienern gehört sie nach wie vor zur Top-Liga.
Die Deutsche Bank dürfte sich bei ihrer Vergütung deutlich an amerikanischen Wettbewerbern orientieren. Direkt vergleichen lässt sich das nicht, weil diese Angaben nur in der Europäischen Union und Großbritannien verpflichtend sind. Die Informationen, die US-Institute zum Teil für ihre Europa-Ableger veröffentlichen müssen, legen das allerdings nahe.
Anders als in den Vorjahren ist es der Deutschen Bank im vergangenen Jahr wieder geglückt, Substanz zu schaffen. Das materielle Nettovermögen des Konzerns ist erstmals seit längerer Zeit wieder gestiegen. Unter dem materiellen Nettovermögen versteht man den Wert des Eigenkapitals der Bank, von dem immaterielle Bilanzposten abgezogen werden. Diese Kennziffer spielt neben der Eigenkapitalrendite der Bank für Aktionäre eine wichtige Rolle.
Mittlerweile liegt dieser Substanzwert bei 25,15 Euro je Aktie. In den vergangenen Jahren ist das materielle Nettovermögen je Aktie damit um 1,74 Euro gestiegen.
Die Resonanz an den Börsen auf Sewings Reformkurs fällt auf den ersten Blick dennoch verhalten aus: Seit der Vorstandschef im Sommer 2019 seine neue Strategie ankündigte, haben sich der Börsenwert sowie das Kurs-Buchwert-Verhältnis der Aktie – eine Kennziffer, die den Börsenwert ins Verhältnis zum Eigenkapital setzt – zwar deutlich verbessert. Im Vergleich zu vielen internationalen Konkurrenten hat die Deutsche Bank dabei relativ gesehen sogar größere Fortschritte als viele andere gemacht.
Allerdings ist das Institut auch von einem sehr niedrigen Niveau aus gestartet. Absolut gesehen spielt die Bank bei beiden Kennziffern im europäischen Vergleich damit eher im hinteren Mittelfeld. Das liegt auch daran, dass viele Konkurrenten mit ihrer Transformation schon früher begonnen haben – und deshalb heute profitabler arbeiten als die Deutsche Bank.
Sewings Hauptziel für das laufende Jahr – eine Eigenkapitalrendite von acht Prozent – und auch das Renditeziel für 2025 von zehn Prozent sind daher wohl nicht mehr als Zwischenetappen bei der Aufholjagd der Deutschen Bank.
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