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07.12.2022

15:55

Bilanzskandal

Wirecard-Prozess: Psychiater sollen mitangeklagten Ex-Chefbuchhalter begutachten

Von: René Bender, Sönke Iwersen, Lars-Marten Nagel, Michael Verfürden, Volker Votsmeier

PremiumAm Donnerstag beginnt der Prozess zum größten Wirtschafts-Skandal der bundesdeutschen Geschichte. Nun bestehen Zweifel an der Schuldfähigkeit eines der drei Angeklagten.

In dem Hochsicherheitssaal der JVA München-Stadelheim beginnt am Donnerstag der Strafprozess gegen drei ehemalige Wirecard-Manager. dpa

Gerichtssaal in der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim

In dem Hochsicherheitssaal der JVA München-Stadelheim beginnt am Donnerstag der Strafprozess gegen drei ehemalige Wirecard-Manager.

Düsseldorf Kurz vor Beginn des mit Spannung erwarteten Wirecard-Prozesses gibt es eine überraschende Wendung. Nach Informationen des Handelsblatts hat das Landgericht München I zwei forensische Psychiater als Sachverständige bestellt. Sie sollen Stephan von Erffa begutachten, den ehemaligen Chefbuchhalter von Wirecard.

Ein Sprecher bestätigte dem Handelsblatt, die Ärzte seien engagiert, um „während der Hauptverhandlung zu den von der Kammer für erforderlich gehaltenen Fragen Stellung zu nehmen“.

Sollte sich herausstellen, dass von Erffa im mutmaßlichen Tatzeitraum psychisch beeinträchtigt war, könnte dies eine mögliche Schuld ausschließen oder mildern. Beobachter erwarten ein kurzes Statement der Anwältin von Erffas zu Prozessbeginn. Vorher wollte sie sich nicht äußern.

Wirecard-Prozess beginnt Donnerstag

Bei den Sachverständigen handelt es sich um Norbert Nedopil und Kolja Schiltz. Nedopil arbeitet an der Universitätsklinik München in der Forensischen Psychiatrie, Schiltz leitet die Abteilung. Beide äußerten sich auf Anfrage nicht zu ihrer Rolle in Deutschlands größtem Wirtschaftsstrafprozess.

Schiltz war bereits im Juli Sachverständiger beim Prozess gegen den „Messerstecher von Würzburg“, der in der bayerischen Stadt im Sommer 2021 drei Frauen getötet und neun weitere Passanten verletzt hatte. Der Täter kam nach seiner Verurteilung nicht ins Gefängnis, sondern in die Psychiatrie.

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Am Donnerstag beginnt der Prozess gegen Wirecards ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Markus Braun. Mit ihm angeklagt sind von Erffa sowie Oliver Bellenhaus, der ehemalige Statthalter des Konzerns in Dubai.

Dem Trio wird im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch Wirecards im Sommer 2020 unter anderem gewerbsmäßiger Bandenbetrug, Untreue sowie Bilanzfälschung vorgeworfen. Bellenhaus gab jahrelange Bilanzfälschungen zu und belastete Braun sowie von Erffa schwer. Braun weist sämtliche Vorwürfe zurück, von Erffa fast alle.

Wirecard galt einmal als große deutsche Technologiehoffnung. Der Zahlungsdienstleister stieg 2018 in den Börsenindex Dax auf und war zeitweise Deutschlands wertvollster Finanzkonzern. Im Juni 2020 brach das Unternehmen zusammen, weil sich ein angebliches Milliardenvermögen auf Konten auf den Philippinen nicht auffinden ließ.

Der Angeklagte Bellenhaus sagte der Staatsanwaltschaft, das zu diesen Milliarden gehörige Geschäft sei weitgehend gefälscht. Wegen seines Geständnisses gilt Bellenhaus in dem Prozess als Kronzeuge.

Gläubiger von Wirecard blieben auf Rechnungen in Höhe von 3,1 Milliarden Euro sitzen. Wirecard-Aktionäre verloren 24 Milliarden Euro. Die Staatsanwaltschaft ermittelte fast 20 Monate lang, führte 450 Vernehmungen und stellte 80 Rechtshilfeersuchen – unter anderem an Singapur, Belarus und die Philippinen.

Im März 2022 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage, im September ließ die vierte Strafkammer des Landgerichts München um den Vorsitzenden Richter Markus Födisch die Anklage zu. Für den Prozess sind zunächst 100 Verhandlungstage bis Ende 2023 angesetzt. Prozessbeobachter rechnen mit vielen weiteren Terminen.

Verhandelt wird in einem 17 Millionen Euro teuren, 270 Quadratmeter großen und fünf Meter unter der Erde liegenden Hochsicherheitsgerichtssaal auf dem Gefängnisgelände der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim.

Braun und Bellenhaus sitzen seit zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft. Auch von Erffa war zwischenzeitlich hinter Gittern. Seit Sommer 2021 ist er gegen Auflagen auf freiem Fuß.

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