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20.02.2023

12:37

Bundesbank-Monatsbericht

Tarifabschlüsse: Spürbare Zweitrundeneffekte auf Inflation absehbar

Die Experten rechnen mit einer schrumpfenden deutschen Wirtschaft und mit einer Rezession in diesem Winter. Die hohen Tarifabschlüsse verstärken die Inflation.

Die Tarifverhandlungen haben einen Einfluss auf die Inflation in Deutschland, berichtet die Bundesbank. IMAGO/aal.photo

Verdi-Streikende

Die Tarifverhandlungen haben einen Einfluss auf die Inflation in Deutschland, berichtet die Bundesbank.

Berlin, Frankfurt Die hohen Tarifabschlüsse verstärken der Bundesbank zufolge die Inflation in Deutschland. „Spürbare Zweitrundeneffekte auf die Preise sind absehbar“, heißt es in dem Montag veröffentlichten Monatsbericht. „Sie tragen dazu bei, dass die Inflationsrate über einen längeren Zeitraum deutlich über dem mittelfristigen Ziel von zwei Prozent für den Euroraum bleiben wird.“ Experten der Bundesbank rechnen dahingehend, dass die deutsche Wirtschaft zu Jahresbeginn erneut schrumpfen und damit eine Rezession einleiten wird.

Viele Ökonomen befürchten, dass die Unternehmen wegen höherer Personalkosten ihre Verkaufspreise weiter anheben könnten. Solche sogenannten Zweitrundeneffekte wiederum dürften die Inflation anheizen. „In den jüngsten Tarifabschlüssen sind die Auswirkungen der hohen Preissteigerungsraten bereits klar erkennbar“, warnt die Bundesbank.

Die Tarifverdienste seien im vergangenen Herbst zwar weiterhin moderat gestiegen. „Die jüngsten Tarifabschlüsse fielen allerdings erneut deutlich höher aus als in den vorangegangenen Jahren“, so die Bundesbank. Auffällig sei zudem, dass in einigen Branchen zusätzlich steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämien vereinbart worden seien.

In einzelnen Branchen seien dazu laufende Tarifverträge außerplanmäßig nachverhandelt worden. „Auch die Lohnforderungen fallen im historischen Vergleich derzeit ungewöhnlich hoch aus“, heißt es im Monatsbericht. In diesem Jahr würden zudem die alten, moderaten Tarifabschlüsse aus der Zeit vor der hohen Inflation auslaufen.

„In den kommenden Monaten wird sich die Inflationsrate voraussichtlich weiter verringern“, erwartet die Bundesbank. So falle im März der kräftige Anstieg der Energiepreise im Vorjahr aus der Berechnung der Rate. „Der zugrunde liegende Preisauftrieb dürfte aber in den nächsten Monaten von einem außerordentlich hohen Niveau aus nur zögerlich zurückgehen“, heißt es zugleich. Im Januar lag die Teuerungsrate bei 8,7 Prozent.

Gewerkschaft Verdi fordert Lohnausgleich

Die Reallöhne in Deutschland sind im vergangenen Jahr wegen der höchsten Inflation seit Bestehen der Bundesrepublik in Rekordtempo gefallen. Sie sanken um durchschnittlich 4,1 Prozent, nachdem es bereits in den beiden vorangegangenen Corona-Krisenjahren jeweils ein Minus von 0,1 und 1,1 Prozent gegeben hatte.

Gewerkschaften fordern daher einen Ausgleich. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi etwa verlangt für die Beschäftigten der Deutschen Post 15 Prozent mehr Gehalt. In drei Wochen soll Klarheit herrschen, ob es zu einem Arbeitskampf kommt.

Die Zweitrundeneffekte auf die Inflation tragen dazu bei, dass die deutsche Wirtschaft zum Jahresbeginn erneut schrumpfen wird. Nach den Prognosen der Bundesbank wird Deutschland damit in eine Rezession abrutschen.

„Die Wirtschaftsleistung dürfte im ersten Quartal 2023 abermals geringer als im Vorquartal ausfallen“, heißt es in dem am Montag veröffentlichten Monatsbericht. Ende 2022 war Europas größte Volkswirtschaft nach einem robusten Wachstum im Sommer bereits um 0,2 Prozent geschrumpft. Bei zwei Negativ-Quartalen in Folge wird von einer Rezession gesprochen.

Die Industrieproduktion starte von einem gedrückten Niveau ins Jahr, während die Exporteure mit einer sinkenden Auslandsnachfrage kämpften. Auch dürfte sich die Baukonjunktur angesichts gestiegener Zins- und Materialkosten weiter abkühlen. „Außerdem bleibt die Inflation hoch und schmälert weiter die Kaufkraft der privaten Haushalte“, so die Ökonomen der deutschen Bundesbank. „Der private Verbrauch dürfte also auch zu Jahresbeginn 2023 sinken.“

BIP wird auf das Gesamtjahr zurückgehen

Auch für den Rest des Jahres verbreitet die Bundesbank nicht gerade viel Optimismus. „Im weiteren Jahresverlauf könnte es zwar langsam wieder aufwärtsgehen“, so Notenbank, die dann etwa ein Anziehen der Exporte erwartet. „Eine wesentliche Verbesserung ist aber noch nicht in Sicht.“

Auch im Gesamtjahr dürfte das Bruttoinlandsprodukt „wohl leicht zurückgehen“, allerdings nicht so stark wie im Dezember befürchtet. Damals hatte die Bundesbank ein kalenderbereinigtes Minus von 0,5 Prozent vorhergesagt. Die Bundesregierung und auch einige Ökonomen halten inzwischen ein leichtes Wachstum für möglich.

Die Bundesbank warnt vor Risiken auf dem deutschen Wohnungsmarkt. obs

Immobilienmarkt

Die Bundesbank warnt vor Risiken auf dem deutschen Wohnungsmarkt.

Die Bundesbank erwartet zudem ein höheres Staatsdefizit. „Insgesamt gesehen dürften die Ausgaben deutlich stärker steigen als die Einnahmen“, erwartet sie. „Dazu trägt bei, dass die hohe Inflation unter anderem die staatlichen Sachkäufe sowie Investitionen weiter verteuert.“

Zudem dürften die Ausgaben für Verteidigung und Klimapolitik deutlich zulegen. „Bei den staatlichen Einnahmen lässt der Boom der Gewinnsteuern im Vorjahr hingegen erwarten, dass sie nun deutlich langsamer wachsen.“ 2024 dürften vorübergehende Stützungsmaßnahmen wie Strom- und Gaspreisbremse zwar wieder auslaufen. Allerdings mache der Bund nach seiner mittelfristigen Finanzplanung „noch deutliche Defizite in seinen Extrahaushalten, vor allem in den Fonds für Klimapolitik und Bundeswehr“.

Derweil herrscht auf dem Wohnungsmarkt keine Preisübertreibung, wie die Bundesbank in ihrem Monatsbericht mitteilte. In den Städten lagen die Wohnimmobilienpreise 2022 immer noch zwischen 25 und 40 Prozent über dem gerechtfertigten Niveau, berichtete das Geldhaus und berief sich auf aktuelle Schätzergebnisse.

Risiken auf dem deutschen Immobilienmarkt

Der kräftige Preisauftrieb habe noch bis zur Jahreshälfte angehalten. Danach sei es infolge der hohen Inflation und gestiegener Finanzierungskosten zu Preisrückgängen gekommen. „Angesichts der in der ersten Jahreshälfte noch kräftigen Preissteigerungen waren Wohnimmobilien in Deutschland im Jahresmittel etwa ebenso stark überbewertet wie zuvor“, schrieben die Bundesbank-Experten.

Die deutsche Notenbank warnt schon seit längeren vor den Risiken auf dem deutschen Immobilienmarkt. Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Buch hatte bei der Vorstellung des Finanzstabilitätsberichts im November darauf hingewiesen, dass zwar mehr und mehr Haushalte erwarteten, dass die Immobilienpreise nicht weiter ansteigen werden. Dennoch gebe es keine Hinweise auf einen Abbau von Überbewertungen.

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