Im Steuerskandal um Dividendentricks ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln gegen einen Manager der Deutsche-Börse-Tochter Clearstream.
„The Cube“, Firmensitz der Deutschen Börse
Ermittler durchsuchten die Zentrale der Börse in Eschborn.
Bild: Deutsche Börse AG
Frankfurt, Düsseldorf Der Steuerskandal erreichte die Deutsche Börse in den frühen Morgenstunden des 7. September 2017. Ein ganzer Trupp Ermittler rückte in der Mergenthalerallee 61 in Eschborn an. Dort befindet sich das würfelförmige Glasgebäude „The Cube“, die Zentrale der Deutschen Börse.
Deren Tochter Clearstream zählt weltweit zu den größten Anbietern von Wertpapierdiensten und verwahrt für Kunden Vermögenswerte von rund 13 Billionen Euro. Pro Jahr wickelt Clearstream mehr als 100 Millionen Transaktionen ab. Einige davon riefen die Staatsanwaltschaft Köln auf den Plan.
Die Strafermittler vom Rhein bilden die Speerspitze im Kampf gegen den größten Steuerskandal der Republik. Cum-Ex nannten sich die Geschäfte, mit denen mehr als hundert Banken für sich und ihre vermögenden Kunden Aktien auf Kosten der Steuerzahler handelten. Papiere im Milliardenvolumen wurden dabei so hin- und hergeschoben, dass die Finanzämter durcheinanderkamen.
So erstatteten sie mehr Kapitalertragsteuern, als überhaupt abgeführt worden waren. Der Schaden für den Fiskus wird auf zwölf Milliarden Euro geschätzt. Nun hat die Staatsanwaltschaft Köln ein Bußgeldverfahren gegen Clearstream eingeleitet. Ein Mitarbeiter der Börsentochter wird als Beschuldigter in dem Milliardenskandal geführt.
Die Wertpapiere, mit denen auf Kosten der Allgemeinheit getrickst wurde, lagen auch in den Depots von Clearstream. Gleich zwei Manager mussten deshalb im Sommer 2016 nach Berlin reisen: vor den Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages. Dort forschte man nach den Ursachen und inneren Abläufen der Steueraffäre. Die Deutsche-Börse-Tochter Clearstream, dachten sich die Politiker, müsse als Verwahrer von zahlreichen involvierten Wertpapieren doch einiges wissen.
Musste sie nicht, verneinte einer, der es wissen musste. Am 23. Juni 2016 sagte Michael Papenfuß vor dem Untersuchungsausschuss aus. Der Chief Operating Officer von Clearstream arbeitete schon seit 1995 in dem Unternehmen, das damals noch Deutscher Kassenverein AG hieß. Seine berufliche Laufbahn führte ihn durch eine Vielzahl von Management-Positionen – Papenfuß kannte sich ohne Frage aus. Doch Cum-Ex, sagte Papenfuß, war bei der Clear‧stream kaum ein Thema.
Die Politiker waren skeptisch. Sie fragten vor allem nach dem Kenntnisstand bei Clearstream zu sogenannten Leerverkäufen beim Cum-Ex-Handel. Damit verkauften Händler Aktien, die sie noch gar nicht hatten – eine Methode, mit der sich die Erstattung von Kapitalertragsteuern nicht nur verdoppeln ließ, sondern gewiefte Beteiligte noch ein Vielfaches mehr aus der Steuerkasse herauskitzelten. Was wusste Clearstream davon?
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Nicht viel, sagte der Mann, der gern farbenfrohe Fliegen zum Anzug trägt. Zwar gäbe es bei Clear‧stream seit 2002 Kenntnis von Cum-Ex-Handel. Einzelne Transaktionen seien für das Unternehmen aber nicht nachvollziehbar gewesen, geschweige denn habe man Leerverkäufe erkennen können.
2009 habe sich Clearstream „intensiver mit dem Thema Leerverkäufe beschäftigt“ und darauf „ein bisschen mehr Augenmerk“ gelegt. Warum das alles so lange gedauert habe, fragte Ausschussmitglied Hans-Ulrich Krüger (SPD). Papenfuß fiel keine rechte Erklärung ein. Davor habe man wohl „aus einer anderen Brille draufgeguckt“.
Es war die falsche Brille, meint heute die Staatsanwaltschaft Köln. Sie hat Unterlagen gesichtet. Insbesondere ein Gesprächsprotokoll vom 19. Februar 2007 soll das Institut belasten. Danach trafen sich Mitarbeiter von Clearstream mit Vertretern der britischen Großbank Barclays und diskutierten technische Abläufe von Cum-Ex-Transaktionen.
Vor allem soll es dabei um sogenannte „Over-the-Counter-Tradings“ gegangen sein – also Geschäfte abseits der Börse und Leerverkäufe. Die Beteiligten besprachen, wie Clear‧stream vorging, wenn man durch den Verkäufer ausdrücklich über einen Leerverkauf informiert wurde.
Die Tochter der Deutschen Börse, die sich bisher als Unbeteiligter an den Deals zulasten der deutschen Steuerzahler gab, wäre demnach mehr als eine bloße Abwicklungsplattform. Bei Befragungen der Staatsanwaltschaft bezeichneten Beteiligte Clearstream als „Spinne im Netz“. Ohne sie seien Cum-Ex-Transaktionen schwer möglich gewesen – und kostenlos arbeitete Clearstream auch nicht.
Stattdessen legten Mitarbeiter sogar Hand an, wenn es mit dem dubiosen Aktienhandel haperte. Nachdem der Cum-Ex-Handel jahrelang ohne jede Einschränkung lief, versuchte der Gesetzgeber ab 2006, Grenzen zu setzen. Der Handel über inländische Finanzdienstleister wurde unterbunden. Als Barclays um Rat fragte, soll Clearstream-Mitarbeiter Thomas R. auf seine Kollegen in Luxemburg verwiesen haben. Man könne doch den Handel über die dortige Clearstream-Gesellschaft abwickeln.
Mindestens seit 2007 soll Thomas R. dann Cum-Ex-Transaktionen mittels Leerverkäufen über ausländische Banken aktiv unterstützt haben. Er unterhielt dabei den Ermittlungen zufolge engen Kontakt zur Kanzlei Berger Steck & Kollegen. Deren Steueranwälte galten als führende Köpfe in Sachen Cum-Ex und berieten zahlreiche Mandanten. Thomas R. fungierte als eine Art Ausguck.
Anfang Februar 2008 telefonierte der Clearstream-Mitarbeiter mit einem Berger-Steck-Anwalt, der seinem Chef umgehend eine E-Mail schickte: Die Konstellation des Leerverkaufs über ausländische Kreditinstitute sei nun leider bekannt, habe sein Clearstream-Kontakt mitgeteilt.
Es sei geplant, die Cum-Ex-Variante im Rahmen des Zentralen Kreditausschusses – der Interessenvertretung der kreditwirtschaftlichen Spitzenverbände – aufzugreifen. 2008 seien die Leerverkäufe mit der aktuellen Abwicklungstechnik noch nicht feststellbar. Ob der Kniff aber 2009 funktioniert, sei mehr als fraglich.
Für die Staatsanwaltschaft Köln war hier das Maß voll. Auch Beihilfe zur Steuerhinterziehung ist illegal. Die Behörde hat daher ein Bußgeldverfahren gegen Clearstream eingeleitet und Ermittlungen gegen Thomas R. begonnen.
Clearstream hält sich dazu bedeckt. „Aufgrund des frühen Verfahrensstadiums ist es nicht möglich, Zeitpunkt, Ausmaß und Umfang sowie Folgen einer etwaigen Entscheidung vorherzusagen“, sagt eine Sprecherin. Man kooperiere aber mit den zuständigen Behörden.
Große Belastungen erwartet das Unternehmen wegen des Falls offenbar nicht, denn es verzichtete darauf, die Märkte im September in einer Ad-hoc-Mitteilung über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu informieren. Stattdessen vergrub man die Nachricht über das Rechtsrisiko im Geschäftsbericht. Dort räumt das Unternehmen auf Seite 101 ein, dass Clearstream im Rahmen des Ermittlungsverfahrens auch als „mögliche Nebenbeteiligte“ angehört wurde.
Clearstream ist keine klassische Bank. Im Gegensatz zu anderen Geldhäusern hat das Institut somit auch keine Cum-Ex-Geschäfte auf eigene Rechnung betrieben. Dennoch hat das Unternehmen reichlich Expertise bei dem Thema: Seit Jahresbeginn ist Theodor Weimer Vorstandschef der Deutschen Börse. Er leitete vorher die Hypo-Vereinsbank (HVB) in München, die als erstes Institut wegen Cum-Ex-Geschäften für Schlagzeilen sorgte.
Weimer war persönlich nicht betroffen, musste aber als Chef die Aufräumarbeiten organisieren. Die HVB zahlte viele Millionen an Steuern zurück, dazu ein Bußgeld. Außerdem beschäftigte die Bank für die interne Aufarbeitung jahrelang teure Anwälte. Alles in allem soll der Schaden bei 300 Millionen Euro liegen. Inzwischen hat die HVB drei ehemalige Vorstände auf Schadensersatz verklagt.
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