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24.01.2023

04:00

Finanzsektor

Rentable Devisengeschäfte und hohe Zinsmargen – Ukrainische Banken arbeiten „ohne Unterbrechung“

Von: Daniel Imwinkelried

PremiumGemessen an elf Monaten Krieg geht es dem ukrainischen Finanzsektor erstaunlich gut, berichtet der Österreicher Gerhard Bösch, der die größte Bank des Landes leitet. Doch die Zeit läuft gegen ihn.

Die größte Bank der Ukraine erwartet für 2022 ähnlich hohe Gewinne wie 2021. Reuters

Privatbank in Kiew

Die größte Bank der Ukraine erwartet für 2022 ähnlich hohe Gewinne wie 2021.

Wien Obwohl es täglich Bombenangriffe gibt, die Energieversorgung ständig zusammenbricht und ausländische Investoren dem Land den Rücken gekehrt haben, geht es dem Finanzsektor der Ukraine vergleichsweise gut. „Ich bin nach wie vor nicht dahintergekommen, was dafür genau das Rezept ist“, scherzt Gerhard Bösch, der die größte ukrainische Bank leitet, die Privatbank.

Grund für die Resilienz des ukrainischen Finanzsektors ist ein Mentalitätswandel, in dessen Folge seit Mitte der 2010er-Jahre zahlreiche, einst korrupte Banken geschlossen wurden. Zudem können sich die Institute auf traditionell hohe Zinsmargen stützen.

Jedoch arbeitet die Zeit gegen die Finanzhäuser. Und die Banken müssen schauen, dass sie ihre Bilanzen gesund genug halten, um den Wiederaufbau finanzieren zu können.

Der 65-jährige Bösch kommt aus dem österreichischen Vorarlberg. Eigentlich übernahm er im Sommer 2021 die Leitung der Privatbank, um sie fit zu machen für die Privatisierung. Nun aber ist er damit beschäftigt, die Bank von Kiew aus durch den Krieg zu navigieren. Die Privatisierung muss warten – Investoren halten sich von dem kriegsversehrten Land ohnehin vorerst fern.

Der Name der Privatbank ist irreführend. Bei dem Institut handelt es sich weder um einen Vermögensverwalter, noch befindet es sich in privatem Eigentum. Vielmehr ist die Privatbank mit rund 18 Millionen Kunden die größte Retailbank der Ukraine und nach der Zwangsverstaatlichung 2016 in Staatsbesitz.

Zuvor war der Oligarch Ihor Kolomoiski der Haupteigentümer der Privatbank. Er hatte sie jedoch für eigene Zwecke missbraucht, und als das Finanzministerium das Institut unter seine Fittiche nahm, klaffte eine riesige Finanzlücke von 5,5 Milliarden Dollar in der Bilanz.

Russische Cyberangriffe abgewehrt

Wie schwierig das aktuelle Umfeld für die Privatbank und andere Finanzinstitute ist, zeigen makroökonomische Daten: Im Dezember lag die Jahresinflation der Ukraine bei 26,6 Prozent, die Wirtschaftsleistung ist im Gesamtjahr 2022 wohl um einen Drittel geschrumpft.

Wirtschaftlich ist das Land zerrüttet, und je länger der Krieg dauert, desto mehr Ukrainer sind von Verarmung bedroht. Die Ersparnisse vieler Menschen schwinden, was sie dazu zwingt, den Konsum einzuschränken.

Schon in der Woche vor dem Großangriff gab es Cyberattacken. Gerhard Bösch, Vorstandsvorsitzender Privatbank

Um den Zustand des ukrainischen Finanzsystems zu bewerten, gibt es vor diesem Hintergrund zwei Aspekte. Kurzfristig: Funktionieren die Dienstleistungen technisch noch? Mittelfristig: Sind die Banken in der Lage, die materiellen Verluste des Kriegs zu schultern?

Als Russland im Februar 2022 die Ukraine überfiel, befürchteten viele Beobachter, dass die IT-Infrastruktur zusammenbrechen werde. Auch den Bankensektor hätte das lähmen können. „Schon in der Woche vor dem Großangriff gab es Cyberattacken“, erinnert sich Bösch. Man habe sie aber abgewehrt.

Andere Banken haben die gleichen Erfahrungen gemacht. Die Cyberangriffe im Frühjahr seien einmalig gewesen, sagt Gunter Deuber, Research-Chef der Wiener Raiffeisenbank International (RBI), die in der Ukraine ein Retailinstitut betreibt. Etwas Ähnliches habe man noch nie erlebt.

Doch das Finanzsystem hat die Angriffe überlebt. „Die Erfahrungen aus der Pandemie von 2020 und 2021 halfen uns“, sagt Bösch im Rückblick. In jener Zeit habe man fast alle Mitarbeiter mit Laptops ausgestattet.

Im März hat seine Bank zudem alle Daten in die Cloud verschoben – innerhalb von zwei Monaten. Vorher ist eine solche Auslagerung in der Ukraine verboten gewesen. Es sei eine Hauruckaktion gewesen, sagt Bösch. Und: „In Krisenzeiten laufen die Ukrainer zur Hochform auf.“

Die Notenbank der Ukraine (NBU) stützt Böschs Berichte. Der Finanzsektor arbeite ohne Unterbrechung, schrieb sie im Dezember im „Financial Stability Report“. Das Vertrauen der Bevölkerung in das Finanzsystem ist offenbar ungebrochen. Einen sogenannten Bankrun, bei dem Sparer die Schalter stürmen, um Geld abzuheben, hat es bei keinem Institut gegeben, teilweise haben die Spareinlagen jüngst sogar zugenommen.

Reingewinne der Banken steigen

In früheren Krisen war das anders. Seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion im Jahr 1991 erlebte die ukrainische Finanzszene turbulente Zeiten. Gerüchte über undurchsichtige Machenschaften bei den Instituten führten wiederholt zu Bankruns.

2014 begann die NBU aber, im Finanzsektor aufzuräumen. Unzählige Institute hat sie seitdem geschlossen. Zu Beginn der 2020er-Jahre stand das ukrainische Finanzsystem deshalb vor einer Art Neubeginn. „Die Kreditvergabepraxis war zurückhaltend“, erinnert sich Deuber von der RBI.

Davon zehren die Banken heute. So ist der Reingewinn der Privatbank jüngst kontinuierlich gestiegen, im Jahr 2021 um 44 Prozent auf 35 Milliarden Hrywnja (umgerechnet 870 Millionen Euro). Die betriebliche Effizienz lag mit einem Kosten-Ertrags-Verhältnis von 37 Prozent auf einem sehr guten Niveau, keine deutsche Bank erreicht dies auch nur annähernd.

Die Angriffe auf die Energieinfrastruktur der Ukraine belasten alle Unternehmen des Landes. Banken erhöhen ihre Rückstellungen. dpa

Arbeiter an Schalttafel eines Kraftwerks

Die Angriffe auf die Energieinfrastruktur der Ukraine belasten alle Unternehmen des Landes. Banken erhöhen ihre Rückstellungen.

Bösch geht sogar davon aus, dass der Gewinn 2022 etwa ähnlich hoch ausfallen werde wie 2021. Mehr denn je würden die Banken von der traditionell hohen Zinsmarge profitieren.

Mit dem Krieg sind außerdem Fremdwährungen ein gutes Geschäft geworden. Die Banken verdienen gut, wenn geflohene Ukrainer im Ausland Euro, Zloty oder sonst eine Fremdwährung am Geldautomat abheben. Laut der NBU haben die ukrainischen Finanzinstitute in den ersten elf Monaten 2022 im Durchschnitt eine Eigenkapitalrendite von über neun Prozent erzielt.

Der Modus des Wiederaufbaus

Nun richtet sich der Blick auf die mittlere Frist: Wie lange halten Firmen, Privatkunden und Banken den weiteren Krieg aus? Diese Frage ist für die Zukunft der Ukraine zentral.

Das Finanzsystem ist das Rückgrat jeder Wirtschaft, und wenn es nicht mehr funktioniert, wird es für Firmen und Privatpersonen schwierig, ihren Geschäften nachzugehen. Sowohl Unternehmen als auch Banken müssen den Krieg halbwegs solide überleben, damit sie nach Kriegsende in den Modus des Wiederaufbaus wechseln können.

Größte Herausforderung für die Unternehmen seien derzeit die Unterbrechungen in der Stromversorgung, berichtet Anna Derewjanko vom Wirtschaftsverband EBA. „Für die Geschäftswelt begann eine neue Phase“, sagt sie mit Verweis auf Mitte Oktober, als die russische Armee damit begann, die Energieinfrastruktur systematisch anzugreifen.

Spätestens 2024 werden viele Banken wohl frisches Kapital benötigen. Gunter Deuber, Research-Chef der Raiffeisenbank International

Auch die NBU erkennt in den Stromunterbrüchen eine Belastung für die Wirtschaft. Ihre höheren Einnahmen habe die Privatbank daher teils in höhere Rückstellungen investiert, um auf Firmeninsolvenzen vorbereitet zu sein. Alle erkennbaren Risiken seien bilanziert, versichert Privatbank-Chef Bösch.

Doch die Zeit arbeitet gegen die ukrainischen Banken und die Unternehmen. Vor der Ausweitung der Kämpfe im Februar 2022 war der Anteil der notleidenden Kredite von einem hohen Niveau aus rückläufig, dann hat sich der Trend aber abrupt umgekehrt. Laut der NBU sind je nach Währung 30 bis 37 Prozent der Darlehen an kleine und mittlere Unternehmen mittlerweile notleidend.

Die Finanzinstitute hätten Kreditverluste verbucht, das ganze Ausmaß werde sich aber erst mit der Zeit zeigen, erklärt die Notenbank. „Spätestens 2024 werden viele Banken wohl frisches Kapital benötigen“, schätzt Deuber von der RBI.

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