Ein internationales Netzwerk soll mehr als zwei Milliarden Euro erbeutet haben. Diverse Behörden ermitteln. Im Fokus steht eine Bank in Mainz.
Royal Courts of Justice
Im Zuge des Steuerbetrugs fror das englische Gericht Dutzende von Konten ein.
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Düsseldorf So viel Sarkasmus begegnet Steuerfahndern selten. Monatelang waren die Ermittler aus Kopenhagen schon einer internationalen Gruppe auf der Spur, die ihrem kleinen Staat einen Steuerschaden in Milliardenhöhe zugefügt hatte. Sie verfolgten komplizierte Geldströme, die von Dänemark nach Deutschland, England, Kanada, Luxemburg und Malaysia führten. Dann stießen sie auf eine Gesellschaft im US-Bundesstaat Delaware: die Raubritter LLC.
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. LLC steht für Limited Liability Company. Die Raubritter arbeiteten mit beschränkter Haftung. Allein diese Firma soll in Dänemark 9,3 Millionen Euro aus der Steuerkasse veruntreut haben.
Der Mann, der sie vor genau sechs Jahren ins Handelsregister eintragen ließ, heißt Adam LaRosa. Er gab vor, es handele sich um einen amerikanischen Pensionsfonds. Tatsächlich war die Raubritter LLC nicht mehr als eine Briefkastenfirma, gegründet, um europäische Steuerzahler auszusaugen. Von ihrer Sorte betrieb der heute 48-jährige Amerikaner noch 23 andere.
LaRosa ist damit Teil eines Skandals, der als größter Steuerraubzug der Wirtschaftsgeschichte Finanzfahnder und Staatsanwälte in aller Welt beschäftigt. Die Beute waren „Erstattungen“ für Kapitalertragsteuern, die gar nicht gezahlt worden waren. LaRosa und andere erfanden nach Behördenangaben mehr als 300 Pensionsfonds, um sich damit allein in Dänemark und Belgien um mehr als zwei Milliarden Euro zu bereichern.
Ein Partner LaRosas wusch Hunderte von Millionen bei einer Bank in Norddeutschland. Nun arbeiten Behörden aller drei Länder zusammen. Außerdem gibt es Ermittlungen in Großbritannien und den USA.
Trotz des ungeheuren Schadens war Adam LaRosa der Öffentlichkeit bisher völlig unbekannt. Er schloss sein Jurastudium an der renommierten Seton Hall Law School im US-Bundesstaat New Jersey mit einem Doktortitel ab und bildete sich dann an der noch renommierteren New York University Law School fort zum Spezialisten für Steuerrecht.
Seine berufliche Karriere begann LaRosa bei der Beratungsgesellschaft KPMG. Später übersah er beim US-Versicherer Prudential die Abteilung Global Tax Compliance. LaRosa war damit für die Einhaltung von Steuergesetzen zuständig, nicht für ihr Biegen und Brechen.
Zuletzt arbeitete LaRosa bei der US-Gesellschaft Vale Insurance Partners – aber nicht nur. Er besitzt einen Weinhandel und führt eine Firma für Sportfischerei. Bis zu zwanzig Mal im Jahr steht LaRosa auf Fahrten an der US-Atlantikküste am Steuer eines seiner vielen Boote, nimmt an Rennen teil und schreibt Artikel für Fachmagazine. Er spendet seiner Universität größere Summen und engagiert sich ehrenamtlich als Vizepräsident der Stiftung Hope for Children.
Wie kam dieser Mann vom Pfad der Tugend ab? Ermittler beschuldigen LaRosa nicht nur des Steuerbetrugs, sondern auch der Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation. LaRosa äußert sich dazu nicht. Fest steht, dass er ab 2012 begann, Pensionsfonds zu gründen – wenn auch nur auf dem Papier.
LaRosas wichtigster Partner bei diesen Aktivitäten heißt Sanjay Shah. Auch er startete seine Karriere einst bei KPMG. 1970 als Sohn indischer Eltern in London geboren, wurde Shah Wirtschaftsprüfer. Sein beruflicher Weg führte von der US-Bank Merrill Lynch über Morgan Stanley, Credit Suisse und ING bis zur Rabobank. 2009 verlor er durch die Finanzkrise seinen Job. Dann machte er sich selbstständig. Es entstand die Firma Solo Capital.
Nach Erkenntnissen von Fahndern war Solo Capital auch hierzulande Dreh- und Angelpunkt eines Milliardenbetrugs. Hier bediente sich Shah des sogenannten Cum-Ex-Handels, bei dem der Fiskus ebenfalls um Kapitalertragsteuern gebracht wurde. Shah war nicht der Einzige, der diese Methode anwandte – deutschen Steuerfahndern liegt eine Liste von 130 beteiligten Banken und Investoren aus aller Welt vor. Geschätzter Gesamtschaden in Deutschland: zwölf Milliarden Euro.
Sanjay Shah ist Philanthrop, Finanzprofi – und mutmaßlich Europas größter Steuerbetrüger. Staatsanwaltschaften in etlichen Ländern ermitteln.
Shah bestätigt eine Beteiligung, verbittet sich aber Vorwürfe deswegen. „Wir haben nichts Illegales gemacht, wir haben nur Marktopportunitäten ausgenutzt“, sagte er der dänischen Börsenzeitung. „Deutsche Anwälte haben mir erzählt, dass viele Leute mit diesen Geschäften viel Geld verdienten. Es war, als ob sie Lastwagen in ein Lagerhaus fahren und sie 24 Stunden am Tag mit Bargeld befüllen.“
Das Lagerhaus war das Finanzamt. Legal oder nicht – Shah fuhr mit. Als das in Deutschland nicht mehr funktionierte, zog Shah weiter. Den größten Reibach machten er, LaRosa und ein dritter Geschäftspartner in Belgien und Dänemark. Ermittler in beiden Ländern arbeiten seit drei Jahren den Schaden auf, den das Trio anrichtete. In Belgien wurde laut Ermittlungsakten ein Schaden von 500 Millionen Euro verursacht.
In Dänemark waren die Partner mit Gesellschaften wie der Raubritter LLC noch erfolgreicher, hier betrug ihre Beute 1,7 Milliarden Euro. Und erneut gab es Helfer aus Deutschland.
„Schwierig, kompliziert, nicht lösbar. Wenn Sie das schon öfters gehört haben, sollten Sie mit uns sprechen“: So lautet die Kundenansprache auf der Website der North Channel Bank in Mainz. In normalen Zeiten mögen diese Worte vielversprechend wirken. Jetzt, da die selbstbewusste Bank Staatsanwälte im Haus hat, klingen sie verdächtig.
Die erste Durchsuchung war vor einem Jahr. Beamte der Staatsanwaltschaft Koblenz reagierten auf ein Rechtshilfeersuchen aus Kopenhagen. Als sie die Geschäftsräume der North Channel Bank in einem der Mainzer Bonifazius-Bürotürme betraten, brachten sie eine lange Wunschliste mit.
Sie wussten schon, dass 27 angebliche Pensionsfonds Konten bei der North Channel Bank führten. Jetzt forderten sie die Herausgabe von Notizen, Rechnungen, Sitzungsprotokollen und Verträgen. Außerdem fragten sie die Bank nach ihrer Eigentümerstruktur.
Nun gibt sich das Mainzer Geldhaus gern als traditionsreich. „Keine Standard-Fragen. Keine Standard-Antworten. Keine Standard-Bank. Seit 1924“ – so die Eigenwerbung. Die Realität ist komplizierter. Tatsächlich wurde die Bank 1924 gegründet – aber nicht in Mainz und mit dem Namen North Channel Bank, sondern in Berlin als Bankhaus Oswald Kruber. Vom 1. Januar 2000 an gehörte sie zur Hornblower Fischer AG.
Dies war kein glücklicher Eigentümerwechsel. Die Frankfurter Bank Hornblower Fischer blickte zwar auf eine 125-jährige Geschichte zurück, wurde aber 2002 von Alexander Falk übernommen. Dessen Vater Gerhard hatte die berühmten Falk-Pläne erfunden, die früher in kaum einem deutschen Auto fehlten. Alexander Falk verkaufte die Familienfirma, stieg ins Internetgeschäft ein und scheiterte spektakulär.
Damit brach auch Hornblower Fischer zusammen. Nach der Insolvenz der Mutter wurde das Bankhaus Kruber verkauft. Im September 2004 zahlte die amerikanische Ocwen Financial Corporation 7,25 Millionen Euro. Fünf Jahre später reichten die Amerikaner das Bankhaus Kruber ihrerseits weiter an eine neue Gesellschaft: Oban.
Von allen Eigentümern der Bank ist sie die geheimnisvollste. Ihre Hintermänner sind noch immer unklar. Beim Kauf des Bankhauses Kruber nannte Oban nicht einmal ihren Namen und gab den Deutschen einen neuen: North Channel Bank. Danach ging es sprunghaft aufwärts. Lag die Bilanzsumme 2009 bei 30 Millionen Euro, waren es 2012 schon 183 Millionen Euro. Der Jahresüberschuss stieg von 2011 bis 2016 um das 16-Fache auf fast elf Millionen Euro. Das gelang auch dank einer neuen Kundengruppe: US-Pensionsfonds.
Luftnummern, sagen heute Ermittler. Hinter den mehr als 300 Briefkastenfirmen standen weder Pensionäre, noch waren sie je im Besitz der Aktien, die sie zu handeln vorgaben. Alles Weitere sind logische Ableitungen: Ohne Aktien gab es keine Dividenden, ohne Dividenden keine Steuern, die darauf abgeführt wurden.
Trotzdem stellten Geldhäuser wie die North Channel Bank den angeblichen Pensionsfonds Steuerbescheinigungen für Gutschriften aus. Und die Finanzämter zahlten. Heute verklagt der dänische Staat auch die Bank. Sie sagt dazu nichts.
So bleiben die Erkenntnisse der Justiz. Zahllose Klagen sind anhängig. 277 der dubiosen Gesellschaften, darunter auch die Raubritter LLC von Adam LaRosa, sind in den USA registriert. Die dänischen Steuerbehörden verklagten LaRosa deshalb in dessen Heimat. „Das dauernde betrügerische Verhalten des Angeklagten zeigt einen hohen Grad moralischer Verkommenheit und mutwillige Unehrlichkeit“, heißt es in der Klageschrift.
Einerseits arbeitete der Raubritter-Fonds mit Solo Capital von Sanjay Shah zusammen, andererseits wurde ein international anerkannter Finanzdienstleister eingeschaltet. Vor allem dänischen, aber auch anderen europäischen Finanzämtern wurde so vorgespielt, dass die Scheinfonds hohe Erstattungsansprüche hatten. Allein die Raubritter LLC stellte zwischen Januar 2013 und August 2014 insgesamt 26 entsprechende Anträge.
Einmal mit ihrer Masche durchgekommen, verloren die Beteiligten alle Hemmungen – schreckten selbst vor logischen Unmöglichkeiten nicht zurück. Bei einer dänischen Aktiengesellschaft stellten sie so hohe Erstattungsanträge, dass sie 2,6 Millionen Aktien hätten besitzen müssen. Das waren aber 1,7 Millionen mehr Aktien, als ausländische Aktionäre theoretisch maximal halten konnten. Aufgrund der irrsingen Verhältnisse tobt in dem Land jetzt eine Debatte um die Sicherheitsvorkehrungen im dänischen Steuersystem.
In Belgien war der Schaden kleiner, aber immer noch erheblich. Allein über die deutsche North Channel Bank beantragten 27 Pensionsfonds 2014 und 2015 Steuergutschriften von 48,3 Millionen Euro. Belgische Behörden ermitteln nun wegen „besonders schweren Betrugs“ gegen eine Vielzahl von Beschuldigten.
Verantwortliche der North Channel Bank sind bislang nicht angeklagt. Allerdings vermutet die Staatsanwaltschaft Brüssel, dass sowohl der Eigentümer der Bank als auch mehrere ihrer Geschäftsführer an der „Einrichtung eines Betrugssystems beteiligt“ sein könnten, wie es in den Ermittlungsunterlagen heißt.
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Das Mainzer Geldhaus fungierte als Depotbank für Aktiengeschäfte, die laut Untersuchung „einem regelmäßigen Muster folgten und für sich gesehen keinen wirtschaftlichen Sinn hatten“.
Der größte Teil der vorgegebenen Transaktionen, vermuten die Ermittler, fand gar nicht erst statt.
Um die angegebenen Nettodividenden in Höhe von 417 Millionen Euro zu erzielen, hätten diese Fonds Aktien im Wert von 24,9 Milliarden Euro besitzen müssen. Ein schwer vorstellbarer Wert für Konten, die erst kurz vor dem ersten Aktiengeschäft angelegt wurden und keinerlei sonstige Guthaben auswiesen. Trotzdem stellte die North Channel Bank Steuergutschriften in Höhe von fast 50 Millionen Euro aus.
Das wirft viele Fragen auf. Die Bank möchte keine davon beantworten. Auch Adam LaRosa, Chef des Raubritter-Fonds, gibt keinen Kommentar.
Als Amerikaner kommt LaRosa bald vor Gericht, sein Partner Sanjay Shah hat es besser. Der Brite lebt seit Jahren außerhalb der Reichweite europäischer Staatsanwälte in Dubai, gibt sich dort als Philanthrop und fliegt Weltstars für Wohltätigkeitskonzerte ein. Über seinen Sprecher Jack Irvine lässt Shah ausrichten, er habe sich nichts vorzuwerfen, im Übrigen arbeite der Rechtsstaat in Europa viel zu langsam.
Dabei kommt er ihm schon näher. Dem Handelsblatt liegt eine sogenannte „Freezing Injunction“ des High Courts of Justice in London vor. Das Gericht ordnet darin an, die Konten von 47 Personen und Gesellschaften einzufrieren, die Sanjay Shah nahestehen oder von ihm kontrolliert werden. Viele davon befinden sich in Großbritannien, andere in Australien, Dubai, Luxemburg und auf den Seychellen. Auch eigene Konten von Shah sind betroffen.
Shahs Sprecher Irvine kündigte an, der Investor werde bald erklären, warum die Betrugsvorwürfe unzutreffend seien. Die Sicherungsmaßnahmen würden Shah kaum treffen. „Es ist zwar sehr viel Geld eingefroren“, sagt Irvine. „Aber Herr Shah hat Reserven, die für viele, viele Jahre reichen.“
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