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17.05.2022

11:32

Handelsblatt Insight

Alexander Wynaendts – So tickt der künftige Aufsichtsratschef der Deutschen Bank

Von: Michael Maisch, Yasmin Osman

Wenige kennen den Niederländer, der künftig die Deutsche Bank kontrolliert. Der Neue versucht sich schon vor seiner Wahl zu profilieren, auch gegenüber dem selbstbewussten Vorstandschef.

Noch ist der Niederländer nicht gewählt, aber er muss sich bereits gegen Kritik wehren. Aegon, Marc-Steffen Unger [M]

Alexander Wynaendts, der designierte Aufsichtsratschef der Deutschen Bank

Noch ist der Niederländer nicht gewählt, aber er muss sich bereits gegen Kritik wehren.

Frankfurt So richtig ernsthaft begann die Operation Deutsche Bank für Alexander Wynaendts im vergangenen Februar. Gespräche mit dem Vorstand, Reisen nach London und New York, wo die Investmentbanker sitzen, die noch immer für die Gewinne des größten deutschen Geldhauses sorgen. Treffen mit den Aufsehern und den wichtigsten Aktionären. Nur bei Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und im Kanzleramt hat der designierte Aufsichtsratschef noch nicht vorbeigeschaut.

Der Diplomatensohn weiß, wie wichtig das Protokoll ist. Erst einmal kommt die Hauptversammlung am 19. Mai, auf der sich der 61-Jährige als Mitglied jenes Aufsichtsrats zur Wahl stellt, der ihn kurz darauf auf seiner ersten Sitzung zum neuen Vorsitzenden des Kontrollgremiums bestimmen soll. Dann erst folgt der Antrittsbesuch bei der Politik. So sieht zumindest der Plan aus.

Rund sechs Monate ist es her, seit der scheidende Aufsichtsratschef Paul Achleitner den Kandidaten für seine eigene Nachfolge vorgestellt hat. Von einer Überraschung zu sprechen wäre eine Untertreibung.

Kaum einer in der Frankfurter Finanzszene hatte Wynaendts auf dem Schirm. Hochrangige Manager der Bank witzelten über den „vielleicht wichtigsten Import aus den Niederlanden seit dem Showmaster Rudi Carrell“. Solch flapsige Bemerkungen drücken nicht gerade Respekt aus. Und auch außerhalb der Bank hielt sich die Begeisterung in Grenzen: „Wenn man uns gefragt hätte, eine Liste mit 50 möglichen Achleitner-Nachfolgern aufzustellen, hätte dieser Name vermutlich nicht draufgestanden“, lästerte das renommierte Analysehaus Autonomous.

Die entscheidenden Fragen sind auch heute, wenige Tage vor der geplanten Wahl des Niederländers in den Aufsichtsrat, noch nicht abschließend beantwortet: Ist ein Manager, der das sehr spezielle Verhältnis der Deutschen zur Deutschen Bank nur aus der Entfernung kennt, der den entscheidenden Teil seiner Karriere beim niederländischen Versicherer Aegon zugebracht hat und der seinen neuen Job ohne Hausmacht antritt, der Richtige, um das Geldhaus endgültig zu stabilisieren? Kann Wynaendts Deutsche Bank? Kann er einen Vorstand im Zaum halten, der nach ein paar guten Quartalen schon wieder vor Selbstbewusstsein strotzt?

Opposition vom Großinvestor

Die Fondsgesellschaft Union Investment hat ihre Antwort bereits gefunden. Der genossenschaftliche Großinvestor will auf der Hauptversammlung gegen Wynaendts stimmen.

Fondsmanagerin Alexandra Annecke begründet das mit der Ämterhäufung des Niederländers, der in drei weiteren Boards sitzt – dazu später mehr. Aber Annecke beklagt auch die mangelnde Erfahrung mit der deutschen Corporate Governance.

Die Fondsmanagerin kritisiert, dass Wynaendts zu viele Ämter innehat. Union Investment

Alexandra Annecke

Die Fondsmanagerin kritisiert, dass Wynaendts zu viele Ämter innehat.

Ihr Fazit: „Die Deutsche Bank verlangt von uns Aktionären einen großen Vertrauensvorschuss.“ Und das bei einem Institut, das nach den Irrungen und Wirrungen der vergangenen Jahre „noch lange nicht auf Autopilot“ laufe. Letzteres weiß auch Wynaendts.

Es wirkte wie ein Rückfall in die schlechte alte Zeit. Am 29. April rückten Fahnder der Staatsanwaltschaft, des Bundeskriminalamts und Beamte der Finanzaufsicht Bafin bei der Deutschen Bank ein, um eine Durchsuchung zu starten. Wieder einmal ging es um mögliche Schlampereien bei der Geldwäschebekämpfung.

Hintergrund der Aktion: Geschäfte des ehemaligen syrischen Vizepräsidenten Rifaat al-Assad. Der war zwar offenbar kein Kunde der Deutschen Bank, aber im Rahmen seines Korrespondenzbankengeschäfts soll das Geldhaus doch an Zahlungen des Assad-Clans beteiligt gewesen sein.

Wynaendts sieht die Durchsuchungen als Indiz, dass die Bank noch lange nicht da ist, wo sie sein will, berichten Insider. Dass es noch erhebliche Defizite bei der Bekämpfung von Finanzkriminalität gibt, zeigt auch ein Blick auf die Vorstandsvergütung. Dort spielen bei den langfristigen Boni Fortschritte bei der Bekämpfung der Finanzkriminalität und die Verbesserung des Kontrollumfelds eine Rolle. Diese beiden Ziele wurden 2021 nur zu 42 beziehungsweise 50 Prozent erreicht.

Mehr zur Hauptversammlung der Deutschen Bank:

Der Niederländer nimmt offenbar ein Wort in den Mund, das in den Zwillingstürmen an der Frankfurter Taunusanlage nach all den selbst verschuldeten Skandalen der vergangenen Jahre und ihrer ebenso schmerzhaften wie teuren Aufarbeitung beinahe tabu ist: Kulturwandel.

Zwei Vorstandsgenerationen vor Christian Sewing hatte sich die Doppelspitze Anshu Jain und Jürgen Fitschen diesen Wandel auf die Fahnen geschrieben. Sechs Werte – von Integrität über Kundenorientierung bis hin zu Partnerschaft – dachten sich die Bankchefs aus. Und weil die Zahl so gut passte, ließen sie die sechs Prinzipien auf Würfel drucken – Kulturwandel als Glücksspiel.

Wenig später musste Jain nach einer katastrophalen Hauptversammlung gehen, und der neue Chef John Cryan tauschte auf mehr oder minder sanften Druck der Aufseher 2015 beinahe das gesamte Topmanagement aus. Jetzt spricht Wynaendts also schon wieder von Kulturwandel und davon, dass es um einen Austausch der DNA gehe, der nicht in ein oder zwei Jahren zu schaffen sei. Da dürften sich viele in der Führungsetage der Bank schon weiter gewähnt haben. Dieser Konflikt zwischen „Jetzt ist auch mal gut“ und „Wir fangen doch gerade erst an“ dürfte Wynaendts’ Start bei der Deutschen Bank prägen.

Selbst- und Fremdbild klaffen auseinander

Dass Selbst- und Fremdbild bei der Deutschen Bank noch längst nicht immer zusammenpassen, zeigte sich auch bei den Zahlen für das erste Quartal. Offiziell trat Vorstandschef Sewing bei deren Verkündung Ende April gar nicht in Erscheinung, Quartalszahlen sind etwas für Finanzvorstand James von Moltke.

Aber jeder, der sich mit dem Vorstandschef in diesen Tagen unterhielt, spürte den Stolz, dass die Bank unter dem Strich 1,1 Milliarden Euro verdient hatte, das beste Ergebnis seit neun Jahren. Und das trotz der ökonomischen Verwerfungen durch den Ukrainekrieg. An der Börse sackte der Kurs an diesem Tag dennoch um fünf Prozent ab. Die Investoren waren von den Kosten verschreckt worden, die höher lagen als erwartet.

Insgesamt steht Wynaendts hinter Sewings Strategie, auf die klassische Stärke der Bank im Geschäft mit Anleihen, Devisen und Derivaten zu setzen und gleichzeitig die stabileren Bereiche, vor allem das Geschäft mit Unternehmenskunden, auszubauen. Aber der Niederländer habe klargemacht, dass nicht nur der kulturelle, sondern auch der ökonomische Umbau noch lange nicht zu Ende sei, berichten Insider. Die Bank müsse in Wynaendts’ Augen konstant gute Ergebnisse liefern, und das über einen langen Zeitraum, um das gerade erst zurückgewonnene Vertrauen zu sichern.

Der CEO will die Deutsche Bank neu ausrichten. dpa

Christian Sewing

Der CEO will die Deutsche Bank neu ausrichten.

Bei Sewing lässt sich hingegen heraushören, dass er die Bank auf dem Weg Richtung Normalität schon beinahe auf der Zielgeraden sieht: „Wir sind wieder relevant, unsere Kunden vertrauen uns, und unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind so stolz wie seit Jahren nicht mehr, für die Deutsche Bank zu arbeiten“, heißt es im bereits veröffentlichten Skript zu seiner Hauptversammlungsrede.

Wynaendts weiß, dass sich viele Großaktionäre einen starken Gegenpart zu Sewing wünschen, der einigen einflussreichen Investoren inzwischen zu mächtig geworden ist. Diese Kritiker wünschen sich mehr interne Opposition, nachdem viele der zentralen Positionen mit Weggefährten und Vertrauten des Vorstandschefs besetzt sind. In der Bank ist zu hören, dass es bereits die ein oder andere Diskussion gegeben habe, bei der Sewing und sein Chefaufseher in spe aus „unterschiedlichen Blickwinkeln“ argumentiert hätten.

Dass es überhaupt zu diesen Diskussionen kam, ist vor allem Mayree Clark zu verdanken, die als Mitglied des Aufsichtsrats für die Suche nach Achleitners Nachfolger zuständig war. Personalberater hatten den Niederländer schon vor vier Jahren für das Kontrollgremium ins Spiel gebracht, deshalb fand er sich auf der langen Kandidatenliste der ehemaligen US-Investmentbankerin Clark.

Um jeden Anschein von Interessenkonflikten zu vermeiden, hatte Achleitner die Suche an Clark delegiert, doch so ganz konnte sich der Österreicher aus dem Suchprozess offenbar nicht heraushalten. Im Umfeld der Hauptversammlung 2021 ließ der Aufsichtsratschef in vertraulichen Gesprächen fallen, der Name seines Nachfolgers werde auf jeden Fall mit „W“ beginnen.

Damals schien das Buchstabenrätsel leicht zu lösen, schließlich standen mit Deutsche-Börse-Chef Theo Weimer, Ex-Volkswagen-Vorstand Frank Witter und dem früheren PwC-Deutschlandchef Norbert Winkeljohann gleich drei Kandidaten zur Auswahl, die bereits dem Aufsichtsrat der Deutschen Bank angehörten.

Wusste Achleitner bereits sechs Monate vor der Verkündung, dass Wynaendts das Rennen machen wird – was Clarks Suchmandat nachträglich entwerten würde? Oder hatte Achleitner eine Vorliebe für einen anderen, internen Nachfolger? Oder hat er sich einfach nur einen Scherz erlaubt? Solche offenen Fragen sind zumindest eine kleine Hypothek für Wynaendts.

Gradliniger Sanierer oder „wenig inspirierender“ Manager?

Am Ende setzte sich Clarks Favorit durch, und tatsächlich bringt der Niederländer eine ganze Reihe von Qualitäten mit, die ihm in seinem neuen Amt gut zu Gesicht stehen: Wynaendts, der mit seinen Eltern alle paar Jahre umzog, lebte in Moskau, Beirut, Jakarta und Brüssel. Bei ABN Amro in London lernte er das Handwerk der Investmentbanker.

Nach seinem Wechsel zum Versicherer Aegon arbeitete er sich innerhalb eines Jahrzehnts zum CEO empor. Wynaendts führte den Versicherer durch die Finanzkrise, sanierte ihn, baute radikal um, ohne dass es zum Aufstand der Belegschaft kam. Das bescherte ihm den Ruf des gradlinigen Machers mit Fingerspitzengefühl.

Als es darum ging, den Versicherer wieder auf Wachstum zu trimmen, lief es nicht mehr ganz so rund. Für die Analysten des Brokers KBW war Wynaendts’ Kür zum Spitzenkandidaten bei der Deutschen Bank deshalb angesichts seiner „wenig berauschenden Erfolgsbilanz“ bei Aegon „nicht sonderlich inspirierend“.

Nach dem Ende seiner Versicherungskarriere 2020 sammelte der Niederländer Posten, die ihm Pluspunkte auf Clarks Liste bescherten. Er saß im Board des Wall-Street-Riesen Citi. Technologiekompetenz signalisieren die Mandate im Kontrollgremium von Uber und ein Beratungsmandat bei Salesforce. Für die nötige gesellschaftliche Gravitas sorgt der Enkel einer russischen Prinzessin mit seinem Vorsitz im Aufsichtsrat des ehrwürdigen Amsterdamers Rijksmuseums.

Kaum Zweifel an der Wahl

Trotz der Opposition von Union Investment gibt es kaum Zweifel, dass Wynaendts in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank rücken wird und ihn das Kontrollgremium nach der Hauptversammlung zu seinem Vorsitzenden wählt. Die beiden großen Aktionärsberater Glass Lewis und ISS haben die Personalie durchgewinkt, nur der kleinere Berater Ivox kritisiert die Ämterhäufung.

Und Wynaendts hat seine Fans: Mit ihm „beginnt für die Deutsche Bank eine neue Ära. Wir halten ihn für den richtigen Mann an der Aufsichtsratsspitze. Er hat das Potenzial, die neue Strategie mit voranzutreiben“, lobt Andreas Thomae, Portfoliomanager bei Deka Investment.

Wer sich mit Wynaendts unterhält, der erlebt einen ruhigen, sehr klar argumentierenden Manager. Der Mann mit dem freundlichen, rosigen Gesicht und dem markanten Seitenscheitel kennt seine Stärken, aber er ist auch bereit, seine Schwächen zu analysieren.
Dazu gehört eine Herausforderung, die nichts mit seiner fachlichen Qualifikation zu tun hat. Wie alle internationalen Topmanager der Deutschen Bank muss er sich der Gretchenfrage stellen: „Wie hältst du’s mit der deutschen Sprache?“

Das ist weit mehr als ein kulturelles Problem. Die Satzung der Bank schreibt bislang vor, dass der Aufsichtsratsvorsitzende die Hauptversammlung führt, es sei denn, er ist verhindert. Für Wynaendts bedeutet das, dass er eigentlich am 17. Mai 2023 ein Aktionärstreffen auf Deutsch leiten, die Fußangeln der komplexen Governance-Regeln vermeiden und aufsässige Anteilseigner befrieden muss.

In zwölf Monaten kann der polyglotte Niederländer, der sechs Sprachen spricht, eine Menge lernen. Aber in Finanzkreisen heißt es, dass noch unklar sei, ob Wynaendts im nächsten Mai wirklich als Versammlungsleiter ans Rednerpult treten wird. Die Bank habe darüber noch nicht entschieden, ist zu hören.

Die Hauptversammlung des größten heimischen Geldhauses wird in diesem Jahr erneut virtuell stattfinden. Bloomberg

Die Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt

Die Hauptversammlung des größten heimischen Geldhauses wird in diesem Jahr erneut virtuell stattfinden.

Und die Satzung? Lässt sich ändern. Tatsächlich findet sich auf der Tagesordnung des jetzt anstehenden Aktionärstreffens unter Punkt elf ein Antrag, der sich als „Lex Wynaendts“ interpretieren ließe. Die von der Verwaltung vorgeschlagene Änderung würde es der Bank erlauben, die Frage, wer die Hauptversammlung führt, „flexibler“ zu gestalten. Künftig soll der Vorsitzende „oder ein anderes“ von der Kapitalseite mehrheitlich gewähltes Aufsichtsratsmitglied die Versammlung leiten dürfen.

Zur Not hat Wynaendts ja noch seinen Stellvertreter Norbert Winkeljohann, den ihm die Bank vielleicht auch zur Seite gestellt hat, um für solche interkulturellen Fährnisse gewappnet zu sein. Beim Erschließen der Berliner Politik, die für Wynaendts bislang noch unbekanntes Terrain ist, kann der Aufsichtsratschef von Bayer sicher ebenfalls helfen.

Aber so weit ist es noch nicht. Erst einmal steht die Wahl am Donnerstag an. Klar ist, für einen begeisternden Neuanfang an der Aufsichtsratsspitze wird Wynaendts nicht stehen. Die Stimmung ihm gegenüber schwankt irgendwo zwischen verhaltener Zustimmung und milder Ablehnung.

Vielleicht fasst ein Satz von Klaus Nieding, dem Vizepräsidenten der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, die Lage am besten zusammen: „Ich werde seiner Wahl zustimmen. Es ist für mich ein Gebot der Fairness, ihm eine Chance zu geben – und dann werden wir nach einem Jahr sehen, ob er wirklich geeignet ist.“

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