Viele Filialbanken dünnen ihr Netz an Zweigstellen aus. IT-Lösungen und Kooperationen können helfen, Kunden zu binden und weitere Erlösquellen zu erschließen.
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Kreditinstitute mit Vor-Ort-Präsenz schmieden Allianzen über Branchengrenzen hinweg.
Bild: rawpixel on Unsplash
Köln Es ist ein Kahlschlag: 240 von 790 Filialen will die Commerzbank noch in diesem Jahr schließen, Ende 2022 sollen nur noch 450 Standorte übrig sein. Anfang Juli gab das Frankfurter Institut bekannt, welche Zweigstellen es trifft. In einigen Bundesländern fällt mehr als die Hälfte der Niederlassungen weg.
Es ist die Folge eines Wandels im Kundenverhalten, der die Filialbanken hart trifft. Laut einer Umfrage des IT-Branchenverbands Bitkom erledigen mittlerweile 80 Prozent der Kunden ihre Bankgeschäfte online. Im vergangenen Sommer waren es noch 73 Prozent.
Vier von zehn Onlinebanking-Nutzern suchen gar keine Filialen mehr auf. Allerdings: Es gibt auch eine nicht unerhebliche, vor allem ältere Kundengruppe, für die die Filiale weiter von großer Bedeutung ist. 48 Prozent der Befragten gaben an, sie würden ihre Bank wechseln, wenn die Zweigstelle vor Ort geschlossen würde. Die Banken stehen hier also vor einer Gratwanderung, um unterschiedliche Ansprüche zu bedienen.
Dass das nicht immer gelingt, zeigt eine aktuelle Kundenbefragung: In einem für das Handelsblatt erstellten Ranking zur Servicequalität von Finanzdienstleistern landete die Gruppe der Filialbanken auf dem vorletzten Platz. Ganz oben stehen Smart-Payment-Anbieter – mit Paypal als „Bester Dienstleister“. Für die Studie hat das Kölner Analyseinstitut Servicevalue 48.000 Kundenurteile zu Finanzdienstleistern aus 17 Kategorien gesammelt.
Die digitale Transformation ihrer Kerngeschäfte bedeutet für die Filialbanken mehr als eine reine Onlineverlagerung: „Wenn Prozesse analog schlecht waren, sind sie digital immer noch schlecht“, sagt Nils Köhler, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters GBS Gesellschaft für Banksysteme. Es geht um eine umfassende Neuorientierung an den Bedürfnissen der Kunden. Man müsse diesen Lust darauf machen, ein Bankprodukt zu kaufen – und den Weg dahin möglichst einfach gestalten.
Auch intern müssten die Prozesse nicht nur digitalisiert, sondern auch vereinfacht und vereinheitlicht werden. „Heute tragen Bankmitarbeiter oft die gleiche Information in verschiedene Systeme ein“, erläutert Köhler. Bei der Kundenberatung sei es vor allem wichtig, dass diese auf allen Kanälen funktioniere – also egal ob in der Filiale, per Video, Mail, Chat oder über soziale Medien. „Auf jedem Kanal muss es schnelle Antworten geben – und die Bank sollte immer wissen, welche Kommunikation auf welchem Kanal bereits stattgefunden hat.“
Doch auch die eigentlichen Geschäftsstrategien ändern sich. „Der Wandel muss vor allem in den Köpfen stattfinden“, erläutert Claus-Peter Praeg, Bankenexperte beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation.
Die Digitalisierung verlaufe in den Banken oft zu einfallslos: „Sie schauen ausschließlich auf die Kostenseite, schließen Filialen und bauen Stellen ab – und hoffen dann, dass Algorithmen das kompensieren können.“ Dabei seien neue Technologien nur ein kleiner Teil des Wandels.
Durch das Niedrigzinsumfeld funktionieren alte Geschäftsmodelle nicht mehr, die Deutschen sind zudem wenig aktienaffin. Die Banken stehen also vor der Herausforderung, neue Erlösquellen aufzutun. Gleichzeitig müssen sie Kosten senken – am teuersten sind Infrastruktur und Personal.
Der entscheidende Vorteil der regionalen Filialbanken sind die langjährigen und umfassenden Kundenbeziehungen vor Ort. Claus-Peter Praeg, Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation
Oft wird der Rotstift daher zuerst bei den Filialen angesetzt, die immer weniger besucht werden. „Viele Banken wissen sich nicht anders zu helfen, als Gebühren einzuführen oder zu erhöhen“, sagt Praeg. Damit entferne man sich aber vom Kunden, statt diesen mit neuen Angeboten an sich zu binden.
Ein Modell für die Zukunft könnten sogenannte regionale Ökosysteme sein. „Der entscheidende Vorteil der regionalen Filialbanken sind die langjährigen und umfassenden Kundenbeziehungen vor Ort“, sagt Praeg. Dies müssten die Banken stärker nutzen – und beispielsweise digitale, regionale Plattformen schaffen, um unterschiedliche Akteure zu vernetzen und neue Angebote zu generieren.
Wenn jemand ein Haus baue, brauche er nicht nur eine Baufinanzierung der Bank, sondern auch Bau- und Handwerksfirmen. Da solche lokalen Unternehmen häufig ebenfalls Kunden der Filialbank seien, könne sie als Vermittler auftreten.
Neben den privaten Bankkunden würden die Betriebe in der Region profitieren, sagt auch IT-Experte Köhler: Häufig hätten diese eine unzureichende Onlinepräsenz und wenig Softwarewissen. Die Bank könne hier ihre Technologie bereitstellen und den Unternehmen eine attraktive Präsenz im Netz bieten. Man schaffe ein „digitales, regionales Einkaufszentrum“.
Das sei zwar eine technologische Herausforderung, da ganz unterschiedliche Inhalte synchronisiert und auf dem aktuellen Stand gehalten werden müssten – etwa beim Bestand von Waren. Doch für die Filialbanken ist es eine Möglichkeit, die digitale Transformation zu bewältigen und gleichzeitig die Präsenz vor Ort zu erhalten oder sogar auszubauen. Noch sind solche Bank-Plattformen wenig verbreitet.
Die spanische Bank Santander ist in Deutschland im vergangenen Oktober mit der Mobilitätsplattform Autobörse.de an den Start gegangen, auf der sich Händler von Neu- und Gebrauchtwagen und Endkunden treffen sollen. Integriert ist mit „Santander Kredit“ aber auch ein Finanzierungsrechner, mit dem Kunden von der Bank auf Wunsch ein unverbindliches Angebot inklusive Vorab-Bonitätscheck erhalten. So verbindet die Bank ihre Kernkompetenzen mit neuen Angeboten – und tritt als eine Art Makler auf.
Vielen Geldinstituten fehlt es aber selbst noch an der Überzeugung, den digitalen Wandel bewältigen zu können. Laut einer Studie des Softwareunternehmens Fico aus dem November 2020 glauben nur vier Prozent der Führungskräfte klassischer Banken, beim Onlineservice ein Niveau erreichen zu können, das die Kunden aus anderen Branchen gewohnt sind.
Ein entscheidender Baustein könnte hier die verstärkte Analyse von Kundendaten sein. Doch im sensiblen Banking-Umfeld können solche Informationen nicht ohne Weiteres genutzt werden – die Kunden müssen hier aktiv zustimmen.
Entscheidend ist, welchen Nutzen diese daraus ziehen könnten. „Wer einen klaren Mehrwert für sich erkennt, wird auch bereit sein, seine Daten herauszugeben“, sagt Forscher Praeg. Das könnte etwa dann der Fall sein, wenn die Bank dem Kunden anhand der Daten Tipps zum Geldsparen gibt.
Geht es um die Analyse großer Datenmengen, kann auch Künstliche Intelligenz ihre Stärken ausspielen. Mithilfe von maschinellem Lernen erkennt der Computer Strukturen und Wiederholungen in Daten und kann daraus Handlungsempfehlungen ableiten.
So lassen sich etwa Transaktionen auf Firmenkonten maschinell auf potenzielle Risiken durchleuchten: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Unternehmen in finanzielle Engpässe gerät? „Auf solche Risiken kann die Bank dann etwa mit einer Anpassung der Kreditlinie reagieren“, sagt IT-Experte Köhler.
Entscheidungen treffen muss am Ende aber immer noch ein Mensch – gerade im stark reglementierten Finanzwesen. „Die Anforderungen ans Risikomanagement sind enorm hoch“, sagt Köhler. Künstliche Intelligenz wird vor allem dort zum Vorteil, wo es um die Effizienz von Prozessen geht. „Was Mitarbeiter früher mühsam von Hand ausgewertet haben, kann heute der Computer übernehmen.“
Der klassische Bank-Sachbearbeiter wird in Zukunft also weniger gebraucht, IT-Fachkräfte dafür umso mehr. Denn ohne das nötige Know-how lassen sich neue Technologien nicht nutzen. Dabei sollten die Institute nicht nur neue Fachkräfte einstellen, sondern durch Kompetenzerweiterungen und Umschulungen auch bei ihren bestehenden Mitarbeitern ansetzen – und diesen neue Chancen bieten. In anderen Branchen, etwa der Autoindustrie, werde das schon vielfach umgesetzt, sagt Bankenforscher Praeg.
Künstliche Intelligenz sei zudem nur so gut wie die Qualität der Daten, mit der sie gefüttert werde. Und gerade bei Kundendaten fehle häufig ein umfassender Blick: Früher hätten die Filialbanken einen Großteil der Daten im persönlichen Gespräch erhalten. Falle dieses weg, werde es schwieriger, die Bedürfnisse einzuschätzen. „Die Frage ist: Wie gut kennt man den Kunden eigentlich noch?“ Umso wichtiger sei es, in Zukunft umfassende Daten der Kunden erheben und nutzen zu können.
Als Auslaufmodell sieht Praeg auch die persönliche Beratung nicht: Es werde immer eine Nachfrage nach einem Gespräch von Mensch zu Mensch geben – allerdings nur noch von einem Teil der Kunden: „Manche erledigen am liebsten alles allein, andere haben gern einen Sparringspartner, der hilft, durch den Finanzdschungel durchzublicken.“
Ein mögliches Modell für die Zukunft sei auch, für gute Beratung Geld zu verlangen. Früher seien Bankberatungen verdeckt über Abschlüsse bepreist worden. Rechne sich das Modell im Marktumfeld nicht mehr, müssten neue Ansätze her. „Steuerberater bezahlt man für ihre Leistung ja auch.“
Um ihre IT-Kompetenzen zu stärken, gehen Banken auch vermehrt Partnerschaften mit Fintechs ein – aus Konkurrenten werden Partner. Der ursprüngliche Ansatz der Finanz-Start-ups sei gewesen, die klassischen Banken abzuschaffen, sagt Praeg.
Von dieser Haltung sei wenig geblieben. „Die Banken sind schwere Tanker, die Fintechs kleine Schnellboote.“ Sie könnten voneinander profitieren, indem etwa Banken digitale Prozesse an Fintechs auslagern. Diese wiederum können vom Kundenstamm der klassischen Banken profitieren – und dem Vertrauen, das die Kunden den etablierten Instituten entgegenbringen.
Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfung PwC gingen Banken und Versicherer in den ersten neun Monaten 2020 mit deutschen Fintechs 245 neue Kooperationen ein. Auch die Commerzbank bemüht sich um Partner. Im April gab das Institut bekannt, gemeinsam mit der Deutschen Börse in das Fintech 360X zu investieren. Das Ziel klingt vielversprechend: neue digitale Marktplätze und Ökosysteme für reale Vermögenswerte wie Kunst oder Immobilien.
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