Der Chef des genossenschaftlichen Fondsanbieters Union Investment spricht über den Spardruck, Zukäufe – und eine große Peinlichkeit im eigenen Haus.
Hans Joachim Reinke
Der Fondschef sucht aktiv nach passenden Zukäufen für sein Haus.
Bild: Union Investment
Frankfurt Für das eigentlich erfolgsverwöhnte genossenschaftliche Fondshaus Union Investment war 2020 ein schwieriges Jahr. Und das lag nicht nicht an der Corona-Pandemie.
Erst kollabierte im Sommer der Zahlungsanbieter Wirecard, bei dem auch Union-Fonds investiert waren und für die Anleger am Ende einen Schaden von 243 Millionen Euro verbuchten – Geld, das der Vermögensverwalter nun zurückhaben möchte. „Wir werden gegen das Unternehmen und seine Verantwortlichen klagen“, kündigt Vorstandschef Hans Joachim Reinke im Interview mit dem Handelsblatt an. Und dann wurde im September ein Fondsmanager des Hauses wegen mutmaßlichen Insiderhandels inhaftiert.
„Menschlich hat mich der Vorfall tief erschüttert“, sagt Reinke. „So etwas passt nicht zu unserer Firmenkultur.“ Union Investment gehe zwar von einem Einzelfall aus, lasse die internen Kontrollsysteme aber auch noch einmal von Experten überprüfen.
Im Tagesgeschäft läuft es nach Reinkes Worten gut. Es gebe zwar eine Corona-Delle, aber Union Investment habe unter dem Strich im bisherigen Jahresverlauf trotzdem noch elf Milliarden Euro bei den Kunden eingesammelt. 2019 hatten Anleger Union Investment noch netto 19 Milliarden Euro neues Kapital anvertraut.
Gut die Hälfte des neuen Geldes von Privatanlegern werde in diesem Jahr bereits in nachhaltige Produkte investiert. Reinke sieht darin einen Trend, der sich beschleunigt.
In Sachen Zukäufe interessieren den Union-Investment-Chef vor allem Anbieter alternativer Anlagen, die in der Nullzinswelt immer wichtiger werden. „Zum Beispiel im Segment Private Debt, also Kreditfonds.“
Herr Reinke, Ihre Gesellschaft machte vor knapp drei Monaten Schlagzeilen, weil einer Ihrer Fondsmanager des Insiderhandels beschuldigt und deshalb verhaftet wurde...
Vor krimineller Energie ist niemand gefeit. Menschlich hat mich der Vorfall tief erschüttert. So etwas passt nicht zu unserer Firmenkultur. In unserem Geschäft geht es letztlich um Vertrauen.
Wie ist der aktuelle Stand? Der inzwischen von Ihnen suspendierte Fondsmanager soll ja über Monate hinweg über seine privaten Depots verbotene Geschäfte betrieben und dabei rund neun Millionen Euro „erbeutet“ haben.
Das ist ein laufendes Verfahren. Der Beschuldigte ist unseres Wissens vor Kurzem aus der Untersuchungshaft entlassen worden.
Die Ermittlungen wurden durch die Finanzaufsicht Bafin ausgelöst, weil Depotbanken die auffälligen Transaktionen auf den privaten Depots des Fondsmanagers bemerkt und dies gemeldet hatten. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Frankfurt. Und die Bafin geht der Sache weiter nach?
Ja, wir haben alle nötigen Informationen an die Aufsicht geliefert. Es geht um unser internes Kontrollsystem, um Depots und um Transaktionen, die von unseren Mitarbeitern laut Vorschrift an die Compliance gemeldet werden müssen. Die Bafin war damit zufrieden, es gab keine Nachfragen.
Was wird denn von dem prekären Thema übrig bleiben? Ein solcher Vorfall macht doch etwas mit den Menschen in der Umgebung des Beschuldigten?
Ja, klar. Nur so viel: Wir haben uns nichts vorzuwerfen. Dennoch haben wir unser gesamtes Kontrollwerk von der internen Revision überprüfen lassen. Außerdem lassen wir diese Abläufe auch noch einmal von einem Wirtschaftsprüfer überprüfen.
Wirecard
Union Investment wird gegen den insolventen Zahlungsdienstleister seine Verantwortlichen klagen.
Bild: AFP
Ein großes Thema war dieses Jahr der Bilanzbetrug beim einstigen Dax-Konzern Wirecard. Die Fondsgesellschaft DWS klagt auf Schadensersatz in Höhe von mehr als 600 Millionen Euro. Was macht Union Investment?
Wir hatten unsere Bestände frühzeitig abgebaut – das hat sich schadensmindernd ausgewirkt. Für unsere Sondervermögen geht es um 243 Millionen Euro. Wir werden gegen das Unternehmen und seine Verantwortlichen klagen. Weitere Klageoptionen prüfen wir derzeit.
Wie viel ist da noch herauszuholen?
Das ist unklar.
Kommen wir zu den Kapitalmärkten: Wie verändert die Corona-Pandemie den Blick auf Aktien?
Mit der Aussicht auf mehrere Impfstoffe gibt es einen Regimewechsel an den Aktienbörsen. Die bisherigen Gewinner, etwa Technologie- und Gesundheitswerte, wurden eher verkauft. Die bisherigen Verlierer, Zykliker wie Energie- und Finanzwerte, wurden wieder gekauft. Aber den echten positiven wirtschaftlichen Effekt werden wir in Deutschland erst 2022 spüren.
Union-Investment-Hochhaus in Frankfurt
Das Fondshaus hat im bisherigen Jahresverlauf elf Milliarden Euro bei den Kunden eingesammelt.
Bild: dpa
Und die Reaktionen der Notenbanken und Regierungen auf die Pandemie, die großen Rettungspakete?
Die waren nötig. Das gilt auch für den EU-Aktionsplan für den Umbau zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Die Zinsen werden extrem niedrig bleiben. Das heißt in Summe: Aktien bleiben die Favoriten. Unser Dax-Ziel für das nächste Jahr sind 14.000 Punkte. Bei den Anleihen sind höher verzinste Papiere von Firmen oder aus den Schwellenländern noch am interessantesten.
Welche Folgen haben der Wahlausgang in den USA, der Brexit und der Handelsstreit mit China?
Die Wall Street kann mit Joe Biden gut leben, auch weil er für einen nachhaltigen Umbau der Wirtschaft steht. Große Steuerhöhungen und ein großes Ausgabenpaket der Regierung sind unwahrscheinlich. Beim Thema Brexit gibt es immerhin die Chance auf einen rudimentären Handelsvertrag zwischen der EU und Großbritannien. Der große Konflikt mit China wird uns allerdings erhalten bleiben.
Beim Thema Geldanlage rückt die Nachhaltigkeit immer stärker in den Fokus, also das Einbeziehen ökologischer und sozialer Aspekte in die Investmententscheidung. Wie wirkt sich das in Ihrem Geschäft aus?
Anleger haben uns in diesem Jahr bis Ende Oktober netto rund elf Milliarden Euro neues Kapital anvertraut. Das institutionelle Geschäft lief etwas gedämpft mit 3,5 Milliarden Euro, weil Firmen in der Coronakrise Liquidität brauchen und es abgezogen haben. Aber es kamen rund 7,3 Milliarden Euro Anlagegelder von Privatkunden. Gut die Hälfte davon floss in nachhaltige Fonds.
Ist das schon der breite Trend, von dem seit Jahren gesprochen wird?
Es sieht so aus: Im Jahr 2018 war unser Anteil der Neuzuflüsse in nachhaltige Fonds für private Anleger acht Prozent. Im vergangenen Jahr waren es 40 Prozent, 2020 sind es 52 Prozent. Andere große Anbieter berichten von einer ähnlichen Entwicklung.
Gemessen am gesamten Anlagekapital ist der Anteil geringer. Was erwarten Sie für Ihr Kundenvermögen?
Von unserem gemanagten Vermögen von aktuell 377 Milliarden Euro sind 57 Milliarden Euro ausdrücklich nachhaltig gesteuert. Bei institutionellen Kunden ist es schon jeder vierte Euro, bei Privatkunden nicht einmal jeder zehnte. Aber das wird sich ändern. In den nächsten Jahren werden die Privatkunden zu der heutigen Quote der Großanleger aufschließen.
Aktien bleiben die Favoriten. Unser Dax-Ziel für das nächste Jahr sind 14.000 Punkte. Union-Investment-Vorstandschef Hans Joachim Reinke
Was macht Sie da so sicher?
Für einen Schub dürfte eine neue Vorschrift sorgen: Voraussichtlich ab dem ersten Quartal 2022 müssen die Finanzberater nach den neuen EU-weiten gesetzlichen Vorgaben ihre Kunden auf dieses Thema ansprechen. In rund fünf Jahren wird der überwiegende Teil des Geldes in der Branche nachhaltig gemanagt werden.
Die Europäische Union will den Umbau zu einer ‚grünen‘ Wirtschaft vorantreiben. Mit der Klassifizierung nachhaltiger Aktivitäten, Stichwort Taxonomie, wurde in diesem Jahr der erste Schritt gemacht. Wie bewerten Sie das als großer Investor?
Wir begrüßen das. Denn damit wird ein europaweit einheitlicher Standard für Nachhaltigkeit geschaffen. Bisher ist für die Unternehmen die eigene Einordnung in diese Kategorisierung aber freiwillig: Das müsste verbindlich sein. Mein zweiter Einwand: Die Regeln stellen nur auf Klimafragen ab. Es fehlt also beispielsweise der ganze soziale Bereich. Gerade Privatanleger halten die damit verbundenen Fragen für am wichtigsten – das ergeben Befragungen immer wieder. Das EU-Regelwerk ist also unvollständig – es muss dringend ausgebaut werden.
Die meisten Unternehmen sind in diesem Sinne nicht ‚grün‘ oder ‚braun‘, sondern irgendwo dazwischen. Was heißt das in der Praxis für einen Vermögensverwalter?
Ein Problem ist schon die ungenügende Datenlage bei vielen Unternehmen. Aber in der Tat gibt es viele ‚braune‘ Unternehmen und Branchen. Um etwas zu erreichen, darf man diese aber nicht stigmatisieren. Wir als aktiver Investor versuchen, auf diese Firmen einzuwirken und bei ihrer Transformation zu einem nachhaltigeren Geschäftsmodell mitzuarbeiten. Unsere Manager sprechen jedes Jahr mit Vertretern von etwa 4000 Unternehmen, davon geht es bei rund 500 ausschließlich um Nachhaltigkeit.
Kritiker wenden ein, der grüne Hype lade Unternehmen oder Anbieter von Nachhaltigkeitsprodukten zum Übertünchen von Defiziten ein, Stichwort Greenwashing.
Nachhaltigkeit ist natürlich eine große Mode. Wir als Union Investment praktizieren das allerdings bereits seit drei Jahrzehnten. Aber wir waren als Fondshaus des genossenschaftlichen Bankenverbundes auch vorgeprägt: Viele Kirchenbanken sind ebenfalls genossenschaftlich organisiert. Bei der Verwaltung von Geldern dieser Kunden spielen nachhaltige Vorgaben von jeher eine wichtige Rolle.
Sie sind unter den Fondshäusern der größte Anbieter von Riester-Sparverträgen für die Altersvorsorge. Kritiker sehen das Projekt als gescheitert an, und Sie?
Das halte ich für falsch. Zwar sind 32 Millionen Deutsche für dieses begünstigte Sparen berechtigt, aber nur 16,5 Millionen haben tatsächlich einen Vertrag. Aus dieser Kluft speist sich die Kritik. Mein Gegenargument: Ohne Riester hätten auch die 16,5 Millionen keine Altersvorsorge in dem Bereich. Aber man kann das natürlich noch verbessern, die Branche hat ja einen Vorschlag gemacht. Das Thema Riester ist – wie zu hören – nun konkret auf der Agenda der Bundesregierung.
Sie vertreiben Ihre Produkte vor allem über die Volksbanken und Raiffeisenbanken. Das ist ein Wettbewerbsvorteil gegenüber vielen Konkurrenten, oder?
Unsere Exklusivität den Genossenschaftsbanken gegenüber ist einseitig: Die Volks- und Raiffeisenbanken können unsere Produkte anbieten, müssen aber nicht. Gemessen an ihrem Absatz verkaufen sie mindestens zehn Prozent Produkte anderer Anbieter – der Anteil liegt seit Jahren auf dem Niveau.
Die meisten denkbaren Deals sehen nur auf dem Papier gut aus. Union-Investment-Vorstandschef Hans Joachim Reinke
Engt Sie die Bindung an die Genossenschaftsbanken bei Ihrem Wachstumsziel ein?
Nein, denn das genossenschaftliche Fondsgeschäft hat noch immer Potenzial. Zudem wachsen wir ja auch anorganisch. Wir haben zum Beispiel schon vor über drei Jahren begonnen, schrittweise die Immobiliengruppe ZBI zu kaufen. Wenn wir so etwas machen, muss es sinnvoll sein: Die akquirierte Einheit muss etwas besser oder günstiger als wir anbieten können oder eine Kompetenzerweiterung oder neue Vertriebspotenziale bieten. Aber die meisten Deals scheitern an einem anderen Punkt: Ein potenzielles Übernahmeziel muss zu unserer DNA passen – das ist meist nicht der Fall. Wir haben uns in den vergangenen zehn Jahren 70 mögliche Aufkäufe konkret angesehen. Die meisten denkbaren Deals sehen nur auf dem Papier gut aus.
Also wollen Sie doch nicht zukaufen?
Im Gegenteil, wir wollen. Interessant sind für uns aktuell beispielsweise Anbieter alternativer Anlagen, zum Beispiel im Segment Private Debt, also Kreditfonds.
Wie viel Geld würden Sie ausgeben? Die DZ Bank müsste einem solchen Einkauf ja zustimmen.
Wir haben zumindest keine Ausgabenbeschränkung.
Branchenberichten zufolge würde die französische Bank Société Générale gern ihre Tochter Lyxor Asset Management verkaufen. Wäre Lyxor interessant für Sie?
Wir sind fundamentale, aktive Asset-Manager. Lyxor ist stark bei Indexprodukten. Das passt nicht zu uns.
In der Fondsbranche ist Rationalisierung ein großes Thema. Allianz Global Investors will sich von einem Viertel der Mitarbeiter trennen. Wäre das auch eine Blaupause für Union Investment?
Nein. Effektivität ist die oberste Handlungsdevise. Effizienzen prüfen und heben ist bei uns ein fortlaufender Prozess.
Ist Ihre Netto-Gebührenmarge auch unter Druck wie in der Branche – wo im Mittel nur noch rund 0,3 Prozent des verwalteten Vermögens erreicht werden?
Nein, unsere Marge liegt stabil bei 0,4 Prozent. Und unsere Kosten-Einnahmen-Quote beträgt 65 Prozent – wir sind also effektiv im Branchenvergleich. Wir setzen immer Prioritäten und fragen uns: Auf was wollen wir künftig verzichten?
Und auf was verzichten Sie?
Einige Veranstaltungen finden nicht mehr statt, manche Investitionen lassen wir sein. Wir haben in diesem Jahr 60 Millionen an Kosten eingespart. Gleichzeitig werden wir aber Geld für Zukäufe in die Hand nehmen. Kahlschlag wird es bei uns nicht geben.
Herr Reinke, vielen Dank für das Interview.
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