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23.08.2022

14:12

Inflation

An der finanziellen Grenze: Den Deutschen geht das Geld zum Sparen aus

Von: Dennis Schwarz

Bislang konnten die Bundesbürger durch einen Rückgriff auf Überschüsse ihren Lebensstandard aufrechterhalten. Doch das könnte sich nun ändern.

Düsseldorf IMAGO/Michael Gstettenbauer

Einkaufsstraße in Düsseldorf

Die deutschen Verbraucher leiden unter den Preissteigerungen.

Frankfurt Ob bei Gütern des täglichen Bedarfs wie Nahrungsmitteln, bei Energie oder bei anderen Konsumwaren: Die drastisch gestiegenen Preise schränken den finanziellen Handlungsspielraum der Deutschen immer stärker ein. Ihnen geht das Geld zum Sparen aus.

„Die Sparpolster aus der Coronazeit sind bei vielen Haushalten nunmehr abgeschmolzen“, so der Konjunkturchef des Ifo-Instituts, Timo Wollmershäuser, in einer aktuellen Analyse der Bankbilanzen. Bislang hätten die Deutschen durch einen Rückgriff auf die Überschüsse ihren Lebensstandard aufrechterhalten können.

Doch das könnte sich künftig ändern, wenn das Ersparte aufgebraucht ist. Die Mehrheit der Bundesbürger kommt nach Einschätzung der Sparkassen zunehmend an finanzielle Grenzen.

„Wir rechnen damit, dass wegen der deutlichen Preissteigerung perspektivisch bis zu 60 Prozent der deutschen Haushalte ihre gesamten verfügbaren Einkünfte – oder mehr – monatlich für die reine Lebenshaltung werden einsetzen müssen“, sagte der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV), Helmut Schleweis, der „Welt am Sonntag“. Vor einem Jahr waren laut Sparkassen-„Vermögensbarometer“ lediglich 15 Prozent nicht in der Lage, Geld zurückzulegen.

Dabei waren die Einlagen bei Banken pandemiebedingt zwischen dem zweiten Quartal 2020 und dem ersten Quartal des vergangenen Jahres noch deutlich gestiegen.

Reisen, Restaurantbesuche und andere Freizeitaktivitäten waren nicht oder nur eingeschränkt möglich, sodass viele Haushalte große Sparpolster anlegten. „Legt man die durchschnittliche Sparneigung der fünf Jahre vor Ausbruch der Coronakrise zugrunde, wurden in dieser Zeit gut 70 Milliarden Euro mehr auf den Bankkonten geparkt als üblich“, sagte Wollmershäuser.

Doch diese sogenannten Überschusseinlagen seien bis zum Ende des ersten Quartals 2022 fast vollständig abgebaut worden. Denn die deutschen Verbraucher leiden unter den Preissteigerungen. Zudem bietet sich durch den Wegfall der meisten coronabedingten Einschränkungen wieder die Möglichkeit, mehr Geld auszugeben.

Einlagen bei Sparkassen brechen ein

Im ersten Halbjahr brachen die neuen Einlagen bei den gut 360 deutschen Sparkassen auf 600 Millionen Euro ein. Im gleichen Zeitraum 2021 waren den Sparkassen noch 25 Milliarden Euro zugeflossen.

Auch Volks- und Raiffeisenbanken beobachten einen geringeren Spielraum der Kunden. Der Vorstand des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), Andreas Martin, sagte der „Welt am Sonntag“: „Die hohe Inflation entzieht den Verbrauchern Kaufkraft, dadurch sinkt die Sparfähigkeit.“

Die Inflationsrate lag im Juli bei 7,5 Prozent über dem Vorjahr, nachdem sie im Mai mit 7,9 Prozent den höchsten Stand seit dem Winter 1973/1974 erreicht hatte. Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket drücken derzeit die Teuerung für die Verbraucher, doch diese staatlichen Hilfen laufen am Monatsende aus.

Grafik

Besserung ist demnach nicht in Sicht: Mit Auslaufen der Entlastungsschritte der Regierung erwartet die Bundesbank im Herbst Inflationsraten von rund zehn Prozent. „Zweistellige Inflationsraten wurden in Deutschland das letzte Mal vor über siebzig Jahren gemessen“, sagte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel. Im vierten Quartal 1951 habe die Inflationsrate nach den damaligen Berechnungen bei elf Prozent gelegen.

Im kommenden Jahr sei ebenso keine Entwarnung in Sicht. „Das Thema Inflation wird 2023 nicht verschwinden“, sagte Nagel. Auch Ifo-Konjunkturchef Wollmershäuser prognostiziert für das laufende Jahr weiter kräftig steigende Verbraucherpreise.

Sparpläne werden ausgesetzt

Eine erste Gruppe von Sparern hat ihre Sparverträge deshalb bereits stillgelegt, wie eine Umfrage des Deutschen Instituts für Altersvorsorge (DIA) Anfang August ergab. Rund ein Drittel der etwa 2000 Befragten prüfen zudem, ob sie auf bestehende Vorsorgeverträge verzichten können, um für die Lebenshaltung finanziellen Spielraum zu gewinnen. Ein gewichtiger Anteil der Deutschen fürchtet sogar, im Herbst oder Winter finanzielle Rücklagen auflösen zu müssen, um über die Runden zu kommen.

Auch bei den Sparkassen rechnet man insbesondere im Herbst und Winter mit einer deutlichen Verschärfung der Situation, gerade bei Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen. Die angespannte Lage zeigt sich laut DSGV bereits bei der Überziehung des Girokontos. Wer den sogenannten Dispositionskredit nutze, um kurzfristige Engpässe zu überbrücken, der schöpfe den Rahmen im Durchschnitt inzwischen „deutlich weiter aus“.

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