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15.09.2020

04:00

Interview

Bankenpräsident Peters zum Wirecard-Skandal: „Die Hauptverantwortung tragen die Wirtschaftsprüfer“

Von: Andreas Kröner, Michael Maisch

PremiumHans-Werner Peters fordert nach der Wirecard-Affäre eine Reform der Finanzaufsicht, härtere Regeln für Wirtschaftsprüfer – und mehr Wachsamkeit von den Geldhäusern.

BdB: Hans-Werner Peters über den Schaden, den Wirecard hinterlassen hat Johannes Arlt/laif

Hans-Walter Peters

Der Präsident des Privatbankenverbands BdB fordert im Zuge des Wirecard-Skandals Konsequenzen.

Der Betrugsskandal beim Zahlungsdienstleister Wirecard hat dem Finanzplatz Deutschland und der Aktienkultur schweren Schaden zugefügt. Hans-Walter Peters, Präsident des Privatbankenverbands BdB, fordert deshalb Konsequenzen. „Es darf kein Stein auf dem anderen bleiben“, sagt er im Handelsblatt-Interview. Wirecard hatte im Juni Luftbuchungen in Milliardenhöhe eingeräumt und wenig später Insolvenz angemeldet.

Die Hauptverantwortung dafür tragen aus Sicht von Peters die Wirtschaftsprüfer, die die Abschlüsse des Konzerns jahrelang absegneten. Für sie müsse es deshalb „schärfere Regeln“ geben. Darüber hinaus plädiert Peters für eine Reform der Finanzaufsicht. „Wenn es kritische Presse- oder Analystenberichte zu Unternehmen gibt, die vom sogenannten Mainstream abweichen, müssen die Behörden dem unverzüglich nachgehen“, fordert der Manager, der im Hauptberuf Chef der Hamburger Privatbank Berenberg ist. „Für solche Fälle brauchen wir eine schnelle Eingreiftruppe, die Ermittlungen aufnehmen und vor Ort Prüfungen vornehmen kann.“

Den Bankensektor, der Wirecard jahrelang Kredite gewährt hatte, rief Peters zu mehr Wachsamkeit auf. „Eine Lehre für die gesamte Branche ist, dass man selbst Nachforschungen anstellen sollte, wenn es Zweifel an der Solidität eines Unternehmens gibt, und sich nicht nur auf das Urteil Dritter verlassen sollte.“ Und: „Wenn man als Bank das Geschäftsmodell eines Unternehmens nicht versteht, sollte man keine Risiken eingehen.“

BdB-Präsident Peters wählt seine Worte zum Verhalten der Banken im Wirecard-Skandal mit Bedacht, schließlich handelt es sich dabei um ein sensibles Thema. Einige Geldhäuser wie die BayernLB haben den Zahlungsdienstleister schon seit Jahren kritisch beäugt und ihm keine Darlehen gewährt. Andere Institute vergaben Kredite in dreistelliger Millionenhöhe und müssen deshalb nun hohe Abschreibungen vornehmen.

Offen hat bisher keine Bank über ihre Fehler im Wirecard-Skandal gesprochen, was auch juristische Gründe hat. Neben der Vertraulichkeit von Kundenbeziehungen wollen sich die Institute selbst nicht angreifbar machen. Zudem erwägen einige Banken, ihrerseits Schadensersatzsprüche geltend zu machen, beispielsweise gegen den langjährigen Wirecard-Bilanzprüfer EY.

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Peters, Sie haben den Posten als Bankenpräsident im April abgegeben. Jetzt müssen Sie wegen des Rücktritts von Commerzbank-Chef Martin Zielke noch einmal für einige Monate einspringen. Freuen Sie sich über die unverhoffte Verlängerung?
Wenn man so freundlich gefragt wird, kann man eigentlich nur mit Ja antworten. Aber im Ernst: Ich habe den Verband vier Jahre lang geführt, ich kenne alle Beteiligten und alle wichtigen Themen. Ich denke, das sind die wesentlichen Gründe, warum sich der Vorstand für mich entschieden hat, als man kurzfristig einen Nachfolger für Herrn Zielke suchen musste.

Sie übernehmen das Amt in einer kritischen Zeit. Den deutschen Banken geht es nicht gerade glänzend, dazu kommt die Coronakrise. Außerdem erschüttert der Wirecard-Skandal das Ansehen des Finanzplatzes Deutschland. Wie gravierend ist der Ansehensverlust?
Der Wirecard-Skandal hat nicht nur dem Finanzplatz, sondern auch der Aktienkultur in Deutschland großen Schaden zugefügt. Am meisten ärgert mich, dass viele Kleinanleger von den mutmaßlichen Betrügereien so hart getroffen wurden.

Wirecard hat jahrelang Investoren, Banken, Aufseher, Wirtschaftsprüfer und Medien an der Nase herumgeführt. Wer trägt die größte Verantwortung für den Skandal?
Die Hauptverantwortung tragen aus meiner Sicht die Wirtschaftsprüfer. Auf eine testierte Bilanz muss man sich einfach verlassen können. Das ist die Basis für alles Weitere. Darauf haben viele Investoren in Gesprächen mit uns über Wirecard immer wieder verwiesen.

Was bedeutet das für die Konsequenzen aus dem Wirecard-Skandal?
Es darf kein Stein auf dem anderen bleiben. Am wichtigsten sind schärfere Regeln für Wirtschaftsprüfer. Wenn die Prüfer – wie im Fall Wirecard – keinen Zugriff auf alle Daten und Dokumente bekommen, dürfen sie eine Bilanz auch nicht testieren. Zudem ist es bei international tätigen Unternehmen unabdingbar, dass die Abschlussprüfer auch deren Auslandsgeschäft intensiv analysieren. Dass wie bei Wirecard erst nach vielen Jahren herauskommt, dass große Teile des Geschäfts gar nicht existiert haben, darf nie wieder vorkommen.

Der Wirecard-Skandal schade dem Finanzstandort Deutschland, moniert Bankenpräsident Peters. Moment/Getty Images

Frankfurter Skyline

Der Wirecard-Skandal schade dem Finanzstandort Deutschland, moniert Bankenpräsident Peters.

Wo sehen Sie sonst noch Reformbedarf?
Wenn es kritische Presse- oder Analystenberichte zu Unternehmen gibt, die vom sogenannten Mainstream abweichen, müssen die Behörden dem unverzüglich nachgehen. Für solche Fälle brauchen wir eine schnelle Eingreiftruppe, die Ermittlungen aufnehmen und vor Ort Prüfungen vornehmen kann.

Derzeit konzentriert sich die Kritik stark auf die Rolle der Finanzaufsicht Bafin. Zu Recht? 
Die Bafin hat lediglich die Tochter Wirecard Bank AG direkt beaufsichtigt, nicht aber die gesamte Wirecard AG, weil diese nicht als Finanzunternehmen eingestuft war. Deshalb halte ich die Kritik an der Bafin für übertrieben. Sie hatte schließlich nicht die Aufgabe, den Jahresabschluss der Wirecard AG zu prüfen. Ich halte es für völlig unangemessen, sich jetzt auf die Bafin und ihren Präsidenten Felix Hufeld einzuschießen. Das wird der Sache nicht gerecht.

Sie sehen also keinen Reformbedarf bei der Finanzaufsicht?
Das habe ich nicht gesagt. Der Fall Wirecard hat eines klar gezeigt: Technologiefirmen, die im Finanzsektor aktiv sind, müssen von der Bafin genauso streng überwacht werden wie wir Banken. Das heißt, die Bafin muss ihnen auch vor Ort auf den Zahn fühlen können.

Viele deutsche Banken haben Wirecard über Jahre hinweg Kredite gewährt. Was ist da schiefgelaufen?
Einige Institute bereuen rückblickend sicherlich die Kreditvergabe. Pauschale Kritik halte ich aber für unangebracht, schließlich sind die deutschen Banken mit dem Thema sehr unterschiedlich umgegangen. Einige waren bei Wirecard engagiert, andere nicht. Bei Berenberg waren wir da zurückhaltend.

Welche Konsequenzen muss die Bankenbranche aus dem Skandal ziehen?
Für einzelne Institute kann ich nicht sprechen. Aber eine Lehre für die gesamte Branche ist, dass man selbst Nachforschungen anstellen sollte, wenn es Zweifel an der Solidität eines Unternehmens gibt, und sich nicht nur auf das Urteil Dritter verlassen sollte. Darüber hinaus gilt: Wenn man als Bank das Geschäftsmodell eines Unternehmens nicht versteht, sollte man keine Risiken eingehen.

UBS-Verwaltungsratschef Axel Weber fordert als Konsequenz aus dem Wirecard-Skandal stärkere Kontrollrechte für deutsche Aufsichtsräte. Er schlägt vor, dass die interne Revision – die Prüfabteilung einer Bank – künftig an den Verwaltungs- beziehungsweise Aufsichtsrat und nicht an den Vorstand berichtet. Was halten Sie davon?
Die Idee hat ihren Charme. Aber alle Probleme wird man damit auch nicht lösen können. Bei allen Debatten über die Konsequenzen aus dem Fall Wirecard sollte man eines nicht vergessen: Betrug wird man nie völlig verhindern können. Es wird immer Menschen geben, die mit erheblicher krimineller Energie versuchen, andere zu täuschen und Regeln zu unterlaufen.

Lassen Sie uns über Corona und die Folgen für die Banken sprechen. Wie gefährlich ist die Krise für die Branche?
Lassen Sie mich bitte zuerst ein Lob aussprechen. Ich bin wirklich begeistert, wie schnell und entschlossen die deutsche Politik auf die Coronakrise reagiert hat. Völlig zu Recht gab es große internationale Anerkennung für die umfangreichen Programme, die helfen, mit den wirtschaftlichen Folgen der Krise fertigzuwerden. Das ist einer der wichtigsten Gründe, warum die deutsche Wirtschaft bislang vergleichsweise gut durch die Krise kam. Das ist extrem wichtig, auch für den Rest von Europa, denn Deutschland ist die Ankerwirtschaft in der EU.

Begeistern Sie auch die neuen Maßnahmen der Bundesregierung? Viele Ökonomen, aber auch Banker warnen, dass wir durch die Verlängerung der Kurzarbeit und die verlängerte Aussetzung für Insolvenzanträge in eine Zombiewirtschaft abrutschen, in der nicht überlebensfähige Unternehmen künstlich erhalten und wichtige Marktsignale ausgehebelt werden.
Ich glaube, dass wir künftig mehr Differenzierung und eine feinere Steuerung der Hilfen brauchen. Wenn die Konjunktur wie erwartet in Schwung kommt, sollten wir wieder mehr den Kräften des Marktes vertrauen. Falls bestimmte Branchen weitere Unterstützung brauchen, könnte man die Kurzarbeit zum Beispiel auf diese Sektoren beschränken. Aber pauschale Kritik an den Hilfen möchte ich nicht üben.

Viele Volkswirte und Notenbanker befürchten inzwischen, dass der wirtschaftliche Aufschwung nach der tiefen Rezession nur langsam und schleppend verlaufen wird. Muss der Staat in dieser Situation auch über mehr Eigenkapitalhilfen für angeschlagene Unternehmen nachdenken?

Für Teile des Mittelstands könnte das interessant sein. Aber dafür muss es ein ausgereiftes Programm geben, das Missbrauch verhindert. Und ich bin strikt dagegen, dass der Staat im Gegenzug für eine Beteiligung unternehmerische Mitspracherechte einfordert oder Gehaltsobergrenzen für Manager festlegt. Das würde viele Mittelständler abschrecken.

Bei allen Debatten über Wirecard sollte man eines nicht vergessen: Betrug wird man nie völlig verhindern können. Hans-Walter Peters (BdB-Präsident)

Aber ist es nicht selbstverständlich, dass Miteigentümer auch mitentscheiden wollen?
Während der Finanzkrise ist die US-Regierung den Banken mit Eigenmitteln beigesprungen - ohne sich übermäßig in die Unternehmenspolitik einzumischen. Mit dieser Lösung sind die USA sehr gut gefahren. Was den deutschen Mittelstand angeht: Durch die Coronakrise sind Unternehmen unverschuldet in Schwierigkeiten geraten. Es geht also nicht darum, Managementfehler zu korrigieren. Der Mittelstand ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, und die meisten Unternehmer wissen sehr genau, was sie tun.

Gilt das auch für Ihre eigene Branche? Wie hart wird die befürchtete Pleitewelle die Banken treffen? Droht eine neue Bankenkrise?
Die Banken sind mit deutlich höheren Kapitalquoten als noch vor einem Jahrzehnt sehr robust aufgestellt. Das zeigen auch die Stresstests der Aufseher. Wenn es nicht zu einem weiteren Lockdown kommt und uns eine massive zweite Ansteckungswelle erspart bleibt, sollten die allermeisten Banken gut durch die Krise kommen.

Der Chef der deutschen Finanzaufsicht, Felix Hufeld, hat gerade gesagt, dass er sich Sorgen um die 20 bis 30 schwächsten Institute macht. Da ist kein einziges privates Geldhaus dabei?
Natürlich sind in einer derart unsicheren Situation absolute Aussagen sehr schwierig. Aber nach jetzigem Stand halte ich die große Mehrzahl unserer Institute für gut gerüstet.

Nicht nur die Staaten, auch die Notenbanken haben auf die Coronakrise reagiert und mit ihrer noch lockereren Geldpolitik Niedrig- und Negativzinsen auf unabsehbare Zeit festgeschrieben. Wie gefährlich ist das für die Banken?
Mich ärgert es sehr, dass wir in diese Krise mit negativen Zinsen gegangen sind. Das schwächt Europas Banken extrem im Vergleich zu den Konkurrenten aus den USA. Während wir seit sechs Jahren rund 30 Milliarden Euro an Strafzinsen an die Europäische Zentralbank überwiesen haben, gab es in den USA nie negative Zinsen. Dort verdienten die Banken im gleichen Zeitraum 75 Milliarden Euro an der Zinsspanne.

Aber hätte es wirklich eine Alternative zur Geldpolitik der EZB gegeben? Wäre ein Auseinanderbrechen der Euro-Zone nicht eine viel größere Katastrophe für die Banken gewesen?
Meiner Meinung nach hätte man die Zinsen schon lange vor der Coronakrise ohne größere Probleme zumindest auf null anheben können. Wir brauchen starke und profitable Banken in Europa und auch in Deutschland. Nur dann kann unsere Branche den Unternehmen so durch die Krise helfen, wie es im Moment nötig ist. Die Negativzinsen sind das größte einzelne Problem für die Banken in der Währungsunion.

Dennoch, eine Änderung der Geldpolitik ist derzeit doch illusorisch.
Das mag sein, aber die EZB könnte und sollte zumindest die Freibeträge für die Banken deutlich erhöhen. Weil die Notenbank derzeit so viel Liquidität in den Markt pumpt, wachsen die Bilanzen der Banken weiter und damit auch die Belastungen durch den Strafzins. Höhere Freibeträge würden zumindest etwas helfen.
Ähnliches gilt übrigens für die Bankenabgabe. Wegen der wachsenden Einlagen droht die Abgabe trotz robusterer Banken um 30 Prozent gegenüber dem ursprünglich veranschlagten Volumen zu wachsen. Das bedeutet eine milliardenschwere Zusatzbelastung gerade für die deutschen Institute. Die Regierung sollte die Summe auf dem alten Stand einfrieren.

Herr Peters, vielen Dank für das Gespräch.

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