Der EU-Ausstieg Großbritanniens wird teuer, warnt der Chef der Europäischen Investitionsbank. Trotz des Abflusses von Kapital will Hoyer bis 2030 eine Billion Euro für den Klimaschutz aktivieren.
EIB-Chef Werner Hoyer
„Wir sind in Großbritannien sehr stark vertreten, und diese Investments müssen wir nun absichern.“
Bild: dpa
Frankfurt Der Präsident der Europäischen Investitionsbank (EIB), Werner Hoyer, warnt davor, die Folgen des Brexits zu unterschätzen. „Er bindet unglaublich viele Kräfte. Ich halte den Brexit in der Sache für einen Fehler, eine Dummheit, an der wir noch lange knabbern werden“, sagte der Deutsche im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Für sein Institut, die Förderbank der EU, werde der Austritt Großbritanniens teuer. „Unser Hauptproblem ist der Abfluss von britischem Kapital.“ Rechne man den Ausfall der britischen Haftungsverpflichtung hinzu, verliere die EIB 40 Milliarden Euro an Kapital, erklärt der frühere FDP-Politiker. „Würden die anderen Mitglieder im Fall des Brexits nicht wie jetzt vereinbart den britischen Anteil ausgleichen, müssten wir unsere jährliche Kreditvergabe halbieren. Das wäre eine Katastrophe.“
Den Klimawandel nennt Hoyer „eine entscheidende Herausforderung unserer Zeit“. Für den Übergang zu einer klimaneutralen Gesellschaft gelte: „Die knappen öffentlichen Mittel reichen bei weitem nicht aus.“
Daher müsse privates Kapital organisiert werden. Binnen zehn Jahren plane die EIB im Rahmen ihrer vor kurzem verabschiedeten neuen Klimastrategie, zehn Billionen Euro öffentlichen wie privaten Kapitals für grüne Projekte einzusetzen. Rein fossile Energieprojekte will die EIB ab 2022 nicht mehr finanzieren.
Von der neuen EU-Kommission unter Ursula von der Leyen (CDU) erwartet Hoyer verstärkte Investitionen in Afrika. 2100 würden dort 2,8 Milliarden Menschen mehr leben als heute. „Wenn wir nicht wollen, dass ein großer Teil von ihnen sein Heil in Europa sucht, müssen wir attraktive Perspektiven für die Menschen vor Ort schaffen“, mahnt er.
Herr Hoyer, wie sehr treibt Sie der EU-Austritt Großbritanniens um?
Der Brexit ist seit vier Jahren ein großes Thema für die EIB wie für alle EU-Institutionen. Leider. Er bindet unglaublich viele Kräfte. Ich halte den Brexit in der Sache für einen Fehler, eine Dummheit, an der wir noch lange knabbern werden.
Was bedeutet die Entscheidung für die EIB?
Der Brexit bringt für die EIB einige Umbrüche mit sich. Zum einen verlieren wir unseren privilegierten Status in Großbritannien. Da unsere Assets künftig nicht mehr durch einen EU-Vertrag geschützt sind, müssen wir unser Engagement neu mit den Kreditnehmern absichern.
Wie viele Assets halten Sie aktuell in Großbritannien?
Wir haben dort ungefähr 55 Milliarden Euro investiert, in Verkehrsinfrastrukturprojekte, in Krankenhäuser, in energetische Gebäudesanierung, in alternative Energien bis hin zu Windrädern in der Nordsee. Wir sind in Großbritannien sehr stark vertreten, und diese Investments müssen wir nun absichern. Aber da mache ich mir keine größeren Sorgen, das ist eine handwerkliche Aufgabe.
Also hat der Brexit keine längerfristigen Folgen für die EIB?
Ganz im Gegenteil! Großbritannien war ein sehr starker Partner auf vielen uns wichtigen Politikfeldern, etwa bei den Themen Innovationsförderung, bei der Digitalisierung und in der Entwicklungszusammenarbeit. Hier werden uns die Briten schmerzlich fehlen. Und dann gibt es noch ein ganz praktisches Problem: Wir haben bei der EIB gut 300 Mitarbeiter mit britischem Pass. Diese haben zum Teil Jahrzehnte ihres Lebens in das europäische Projekt investiert und fühlen sich nun von der eigenen Regierung im Stich gelassen. Für die Mitarbeiter, die jahrelang für die EIB und das europäische Projekt loyal gearbeitet haben, ist das eine große Belastung, was wir anerkennen und so gut es geht auffangen. Verlassen muss die EIB niemand. Wer bereits lange für uns arbeitet und keine silbernen Löffel klaut, bleibt auch nach dem Brexit bei uns.
Was nicht bleibt, ist das britische Geld.
Das ist richtig. Unser Hauptproblem ist der Abfluss von britischem Kapital. Die EIB verfügt als öffentliche Bank nur über sehr wenig Eigenkapital. Alle EU-Mitgliedsstaaten zusammen haben knapp 17,5 Milliarden Euro eingezahlt. Allein Großbritannien hat hiervon drei Milliarden Euro beigesteuert, die wir nun in zehn Jahresraten zurückzahlen werden. Das bekommen wir hin, es gibt aber noch eine andere Herausforderung …
… die da wäre?
Was uns mehr schmerzt ist der Ausfall der britischen Haftungsverpflichtung für die EIB. Zusammen mit dem eingezahlten Kapital verlieren wir damit 40 Milliarden Euro. Und da wir nur das Zweieinhalbfache unseres Kapitals verleihen dürfen, reduziert sich unser maximaler Ausleihspielraum mit dem Brexit um 100 Milliarden Euro. Bei einer Bilanzsumme von knapp 600 Milliarden Euro haben wir diesen fast ausgeschöpft. Würden die anderen Mitglieder im Fall des Brexits nicht wie jetzt vereinbart den britischen Anteil ausgleichen, müssten wir unsere jährliche Kreditvergabe halbieren. Das wäre eine Katastrophe, vor allem für jene Länder, die uns dringend brauchen.
Von den Investitionshilfen profitieren auch die Mitgliedsstaaten in Osteuropa. Ihnen wird gerne vorgehalten, sich aus den EU-Töpfen zu bedienen, im Gegenzug aber das europäische Projekt politisch auszubremsen. Ist diese Kritik gerechtfertigt?
Wenn diese Kritik einer Spaltung zwischen Ost- und Westeuropa das Wort redet, finde ich sie nicht gerechtfertigt. Wir sehen am Beispiel Großbritannien, dass ein altgedientes EU-Land nun die Klinke in die Hand nimmt, obwohl es über Jahrzehnte stark von der Union profitiert hat. Diese Aussicht ist nicht gerade erhebend.
Der Brexit ändert doch aber nichts an der konfrontativen Linie mancher Oststaaten?
Es stimmt, manche Länder tragen politische Konflikte mit der EU aus – Polen, Ungarn, Rumänien zum Beispiel in Fragen der Rechtsstaatlichkeit. Gleichzeitig machen diese Länder aber ökonomisch, technisch und ökologisch deutliche Fortschritte. Das hält das europäische Projekt bei allen Differenzen auch in Zukunft attraktiv, und daran sollte auch den Westeuropäern gelegen sein. Polen ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Was das Land aus den Möglichkeiten gemacht hat, die es durch den EU-Beitritt gewonnen hat, kann sich mehr als sehen lassen.
Früher hat die EIB Straßen und Schienen gefördert, damit Europa zusammenwächst. Nun reden Sie über Digitalisierung, Klimaprojekte und die Förderung afrikanischer Unternehmerinnen. Verzettelt sich die Bank?
Nein, überhaupt nicht. Erstens investieren wir weiter in Infrastruktur, kleine und mittelständische Unternehmen und das klassische Geschäft. Zweitens müssen wir uns über einen Punkt klar werden: Welchem Oberziel dient unsere Arbeit? Wir haben ein Hauptproblem in Europa: Wir müssen unsere Produktivität steigern und unsere Wettbewerbsfähigkeit erhalten. Von herausragender Bedeutung sind daher Investitionen in Innovation, in Forschung und Entwicklung und in die Bildung. Da hapert es. In den letzten 15 Jahren haben die EU-Staaten hier 1,5 Prozentpunkte ihres Sozialprodukts jedes Jahr weniger investiert als unsere Wettbewerber in Asien und Nordamerika. Angesichts der tektonischen Verschiebungen der globalen Machtverhältnisse müssen wir mehr tun. Letztendlich geht es um unsere Selbstbehauptung in einer globalisierten Welt, und für die brauchen wir mehr Wettbewerbsfähigkeit.
Klingt nach einem altbekannten marktliberalen Ansatz. Wie passt dazu die Förderung von Geschlechtergleichberechtigung?
Sehr gut. Europa muss mehr tun für die Gleichberechtigung von Frauen, und auch die Bank muss dazu beitragen. Das heißt, dass wir bei Neueinstellungen innerhalb der EIB dafür sorgen, dass Frauen faire Chancen bekommen. Und das bedeutet für unsere Kreditvergabe, dass wir Projekte fördern, die das Gendergleichgewicht stärken.
… auch in Afrika?
Gerade in Afrika ist das ein wichtiges Thema mit großem Potenzial. Der technologische Quantensprung, der dort gerade stattfindet – ich sage nur Smartphones und digitale Kommunikation – macht sich besonders in jenen Gesellschaftsteilen bemerkbar, die bisher kaum am Produktionsprozess teilgenommen haben. Mittelstandsförderung in Afrika mithilfe moderner Technologien kommt vor allem Frauen zugute. Diese sind oft die besseren und nachhaltigeren Unternehmerinnen.
Ist der Finanzsektor der richtige Hebel, um eine nachhaltige Wirtschaftsweise zu fördern – oder überfordert man hier die Kapitalmärkte?
Das glaube ich nicht. Der Klimawandel ist eine entscheidende Herausforderung unserer Zeit. Daher muss unser Ziel sein, möglichst klimaneutral zu investieren. Als Ökonom und Banker sage ich, es macht für eine öffentliche Förderbank nur Sinn, Projekte zu finanzieren, die auch langfristig Erträge einfahren. Wenn ich weiß, dass ein Investment in ein Kohlekraftwerk vielleicht für zehn Jahre die Energiesicherheit garantiert, aber in 15, 20 oder 30 Jahren zu einem Abschreibungsbedarf in unseren Bilanzen führt, dann ist es unverantwortlich. Das Projekt abzulehnen, wäre dann ein rein ökonomisches Gebot.
Wie sehen Sie die Rolle der EIB bei der Ausgestaltung des „Green Deal“, des ökologischen Umbaus der EU, wie ihn die neue Kommission beschlossen hat?
Von der Leyen hat die EIB im Rahmen des europäischen ,Grünen Deals' gebeten, der Finanzmotor für den ökologischen Wandel zu werden. Dies ist ein Vertrauensbeweis für die Bank und wir nehmen die Rolle natürlich gerne an.
Welche Investitionsschwerpunkte wollen Sie hier setzen?
Bisher haben wir vor allem Maßnahmen finanziert, die den Klimawandel eindämmen sollen, etwa erneuerbare Energien, den Ausbau von nachhaltigen Transportmitteln oder auch die energetische Sanierung von Gebäuden. In Zukunft wollen wir uns stärker auf die Anpassung an veränderte klimatische Bedingungen und auf die Entwicklung klimarelevanter Technologien konzentrieren. Deshalb werden wir auch mehr in Forschung investieren als bisher. Wir arbeiten derzeit an einer Roadmap, die genauer darlegen wird, wie wir unsere Klimainvestitionen bis 2025 am besten aufstellen.
Das klingt hübsch, aber wie sieht Ihre neue Klimastrategie konkret aus?
Auf klimafreundliche Investitionen achten wir in der Bank ja schon lange. Allein seit 2012 haben wir 150 Milliarden Euro in Projekte gesteckt, die Treibhausgasemissionen senken und helfen, mit den Folgen des Klimawandels umzugehen. Damit gehören wir zu den weltweit größten Geldgebern in diesem Bereich. Jetzt planen wir, binnen zehn Jahren eine Billion Euro für Investitionen in den Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit zu aktivieren. Bis 2025 sollen zudem 50 Prozent unserer Finanzierungen dem Klimaschutz dienen. Das heißt aber nicht, dass wir mit der anderen Hälfte Projekte finanzieren, die unseren Planeten zerstören: Ab Ende des kommenden Jahres werden alle Aktivitäten der EIB an den Zielen des Pariser Klimaabkommens ausgerichtet sein, und von 2022 an werden wir keine Energieprojekte finanzieren, die ausschließlich auf fossilen Energieträgern beruhen.
Die Entscheidung der EIB, aus der Finanzierung fossiler Energieprojekte auszusteigen, war politisch umstritten.
Der Übergang zu einer klimaneutralen Gesellschaft wird ohne massive Investitionen nicht zu bewältigen sein. Die knappen öffentlichen Mittel reichen bei weitem nicht aus. Deshalb müssen wir öffentliche Gelder einsetzen, um privates Kapital zu mobilisieren. Die neue Europäische Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen versteht das gut.
Mit welchem Gegenwind rechnen Sie?
Eine der größten Herausforderungen bei dieser Energiewende wird es sein, sie so zu organisieren, dass sie für Länder und Regionen, deren Wirtschaft jetzt noch besonders stark von fossilen Brennstoffen abhängt, fair wird. Das sind derzeit etwa zehn EU-Staaten. Aber wir sind zuversichtlich, dass wir in Zusammenarbeit mit der Kommission Wege finden, auch diese Aufgabe zu bewältigen.
Viele reden von „Green Finance“. Wie unterscheiden Sie echtes Engagement von Schaufensterprojekten, dem „Greenwashing“?
Nachhaltigkeit muss in der DNA des Finanzsystems verankert sein. Dazu muss Europa zuerst einmal definieren, was unter nachhaltig zu verstehen ist. Das Herzstück des EU-Plans ist, ein einheitliches Klassifikationssystem für grüne Tätigkeiten zu entwickeln. Die EIB hilft bei dieser Definition. Immerhin waren wir die Ersten, die 2007 grüne Anleihen aufgelegt haben, inzwischen ein Markt von 850 Milliarden Dollar. Aber dieser Erfolg birgt das Risiko, Akteure anzuziehen, die das Label missbrauchen und Technologien finanzieren, die alles andere als grün sind. Bessere Transparenz und Leitlinien sind daher enorm wichtig, auch über die europäischen Grenzen hinaus.
Kann Europa seinen Rückstand bei wichtigen Zukunftstechnologien gegenüber den USA und China noch aufholen?
Wir müssen uns ehrlich machen: Wir haben den Wettlauf in einigen Bereichen bereits verloren. Wenn ich mir die großen Onlinekonzerne anschaue, sehe ich nur wenige europäische Spieler. Auf der anderen Seite haben wir aber riesige Potenziale, etwa im Bereich künstlicher Intelligenz, in der Medizintechnik und bei grünen Antrieben. Wollen wir diese Chancen nutzen, müssen wir jetzt massiv investieren.
Mit „wir“ meinen Sie aber sicher nicht die EIB allein. Was müssen private Investoren leisten?
Um das klar zu sagen: Bei allen unseren großen Zielen, von der Innovation bis zur nachhaltigen Entwicklung, gilt, dass wir sie mit Steuerzahlergeld allein niemals erreichen werden. Der Umbau Europas wird nur gelingen, wenn wir dem Privatsektor interessante Beteiligungsangebote machen. Wir beschäftigen in der EIB viele Naturwissenschaftler und Ingenieure, ein absolutes Alleinstellungsmerkmal. Diese können potenziellen Investoren erklären, warum unsere Finanzierungen in komplexen Bereichen sinnvoll sind. Zusätzlich müssen wir Privatinvestoren stärker dazu ermuntern, an der Seite der öffentlichen Hand zu agieren, wodurch sie auch in riskantere Projekte investieren können. Das war das Ziel des Juncker-Plans…
… der Investitionsoffensive der letzten EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker. Juncker wollte die unterschiedlichen Lebensverhältnisse innerhalb der EU durch Investments angleichen. Hat das funktioniert?
Der Juncker-Plan hat zumindest die Investitionsschwäche in Europa nachhaltig reduziert. Und mir als Marktwirtschaftler war das Instrument schlicht sympathisch: Statt weitere EU-Subventionen zu verteilen, wurden öffentliche Mittel in eine Garantiefazilität eingebracht. 26 Milliarden Euro kamen aus dem EU-Budget, 7,5 Milliarden Euro von der EIB. Mit dieser geringen Summe haben wir in den letzten fünf Jahren die Investitionstätigkeit in Europa um 500 Milliarden Euro angekurbelt – aufgrund des Einstiegs privater Akteure und durch Projekte, die so sonst nicht zustande gekommen wären. Das war ein großer Erfolg. Dennoch hinterlässt auch die Juncker-Kommission Politikfelder, die stärker bearbeitet werden müssen.
Welche Leerstellen muss die neue Kommission unter Ursula von der Leyen füllen?
Ich erwarte, dass sie die großen strategischen Themen in den Blick nimmt, also Innovation und Wettbewerbsfähigkeit, den Klimawandel und die Entwicklungszusammenarbeit. Wir sehen schon heute, dass in Afrika und Lateinamerika riesige Probleme wachsen, die wir nicht verschlafen dürfen. Die EU wird am Ende dieses Jahrhunderts nicht einmal mehr fünf Prozent der Weltbevölkerung stellen. Dafür werden in Afrika vier Milliarden Menschen leben, 2,8 Milliarden mehr als heute. Wenn wir nicht wollen, dass ein großer Teil von ihnen sein Heil in Europa sucht, müssen wir attraktive Perspektiven für die Menschen vor Ort schaffen. Eine Abschottung Europas wird nicht funktionieren.
Herr Hoyer, vielen Dank für das Interview.
Mehr: Eine Klimabank bietet enorme Chancen für Europa, meint Gastkommentator Caio Koch-Weber, Beiratsvorsitzender der European Climate Foundation und ehemaliger Staatssekretär im Bundesfinanzministerium.
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