Der Chef der niederländischen Großbank ING spricht über die Geldwäscheaffäre des Instituts, bedrohte Banker-Jobs und die Attacken der großen Internetkonzerne.
Ralph Hamers
Der CEO der niederländischen ING, hier bei der Handelsblatt Jahrestagung Banken im Umbruch, sieht ernste Defizite bei seiner Bank.
Bild: Marc-Steffen Unger für Handelsblatt
Frankfurt Der Chef der niederländischen Großbank ING, Ralph Hamers, räumt Versäumnisse beim Kampf gegen die Geldwäsche ein: „Die Untersuchung hat gezeigt, dass ING in den Niederlanden ernste Defizite bei der Umsetzung von Regeln zur Bekämpfung von Finanzkriminalität hatte“, sagte Hamers im Interview mit dem Handelsblatt.
ING habe seine „Rolle als Wächter, der verhindert, dass Kriminelle das Finanzsystem missbrauchen, nicht gut genug erfüllt“. Hamers betonte aber auch, dass die Bank „rigorose Maßnahmen“ ergriffen habe, um eine Wiederholung zu verhindern.
Die Behörden warfen dem größten Finanzdienstleister der Niederlande mangelnde Kontrollen von Kundenkonten vor. Kunden hätten dadurch jahrelang ING-Konten für kriminelle Aktivitäten nutzen können. Die Bank musste eine Strafe von 775 Millionen Euro bezahlen, und der Finanzvorstand räumte seinen Posten.
Auch zur Diskussion um sein Gehalt äußerte sich der Chef des Geldhauses, das als einer der Vorreiter bei der Digitalisierung der Branche gilt. Hamers Vergütung sollte von zwei auf drei Millionen Euro steigen – ein Plus von 50 Prozent, aber nur ein Zehntel dessen, was Bankchefs an der Wall Street verdienen und auch deutlich unter dem Durchschnitt in Europa.
Nach heftigen Protesten in den Niederlanden kassierte der Aufsichtsrat den Plan wieder. Nach Hamers Meinung zurecht: Der Aufsichtsrat müsse bei seiner Entscheidung über ein Gehaltspaket alle Interessengruppen berücksichtigen, dabei seien „klar Fehler begangen“ worden. Der Aufsichtsrat habe seine Entscheidung korrigiert, „und ich glaube das ist eine gute Lösung“ sagte Hamers.
Bei internationalen Übernahmen will sich Hamers zurückhalten. „Das ist ganz sicher nicht unserer Top-Priorität. Stattdessen will ING organisch wachsen, indem das Institut sein Modell einer Digitalbank in neue Märkte exportiert. „Wir bauen solche Plattformen in Spanien, Italien, Frankreich und in Tschechien auf“, erläuterte Hamers. In Deutschland will ING zur Universalbank werden, von Sparprodukten bis zu Versicherungen.
Herr Hamers, in den Niederlanden gab es eine hitzige Diskussion um Ihr Gehalt. Die Vergütung sollte von zwei auf drei Millionen Euro steigen – ein Plus von 50 Prozent, aber immer noch deutlich unter dem Durchschnitt in Europa. Am Ende kassierte der Aufsichtsrat aufgrund des öffentlichen Drucks den Plan. Wie sehen Sie die Diskussion?
Wenn der Aufsichtsrat eine Entscheidung über ein Gehaltspaket fällt, das gesellschaftlich akzeptabel, aber auch wettbewerbsfähig ist, dann muss er alle Interessengruppen berücksichtigen. Dabei wurden klar Fehler begangen, sonst wäre die Aufregung in der niederländischen Gesellschaft nicht so groß gewesen.
Sind Sie mit dem Ausgang zufrieden?
Der Aufsichtsrat hat seine Entscheidung korrigiert, und ich glaube, das ist eine gute Lösung.
Geldwäschethemen sind weltweit ein zentrales operatives Risiko für Banken. In Europa scheinen sie aber besonders betroffen. Beispiele gibt es etliche.
Für Aufregung sorgte auch die Verwicklung in einen Geldwäscheskandal. ING musste nicht nur eine Strafe von 775 Millionen Euro bezahlen, auch der Finanzvorstand musste seinen Posten räumen. Was ist schiefgelaufen?
Die Untersuchung hat gezeigt, dass ING in den Niederlanden ernste Defizite bei der Umsetzung von Regeln zur Bekämpfung von Finanzkriminalität hatte. Wir haben unsere Rolle als Wächter, der verhindert, dass Kriminelle das Finanzsystem missbrauchen, nicht gut genug erfüllt. Deshalb haben wir rigorose Maßnahmen ergriffen, um eine Wiederholung zu verhindern. Die Menschen können von uns erwarten, dass wir tun, was wir können, um Geldwäsche und Korruption zu bekämpfen.
Nicht nur ING kämpft mit solchen Vorwürfen. Haben Banken und Aufseher in Europa genug getan, um Geldwäsche zu verhindern?
Dieses Thema betrifft ganz klar auch andere Banken, aber wir sind für unsere eigenen Maßnahmen verantwortlich.
Lassen Sie uns über Digitalisierung sprechen. Viele etablierte Banken haben Angst, dass Internetkonzerne wie Amazon oder Google in großem Stil ins Bankgeschäft einsteigen könnten. Zu Recht?
Unsere Kunden leben mehr und mehr in einer virtuellen Welt, die von Smartphones dominiert wird. Sie kaufen bei Amazon ein, kommunizieren über Facebook und buchen ihre Taxifahrten bei Uber. Als Bank muss man dort sein, wo die Kunden sind, also muss man mit diesen Plattformen verbunden sein. Für die großen Technologiefirmen ist es nur ein kleiner Schritt, diesen Gedanken umzudrehen.
Das heißt?
Wenn die Internetkonzerne ihren Kunden perfekten Service liefern wollen, dann müssen sie Zahlungsdienste und Verbraucherkredite mit einem einfachen Wischen auf dem Display oder mit einem Fingerabdruck anbieten.
Also werden die Internetriesen direkte Wettbewerber für die Banken?
Ich bin sicher, dass sie das wollen. Einige sind ja bereits da, Amazon und Alibaba bieten eigene Verbraucherkredite an. Die Frage ist also nicht, ob sie ins Geschäft der Banken eindringen, sondern, wie schnell sie dort wachsen werden.
Und was können die Banken tun, um ihr Geschäft zu schützen?
Es gibt unterschiedliche Wege zu reagieren. Der erste: Stelle sicher, dass du derjenige bist, der die Zahlungen abwickelt oder den Kredit gewährt. Oder man baut seine eigene Plattform auf. Dann muss man allerdings die Kunden dazu bringen, sich aus dem perfekten Umfeld, das ihnen die Internetriesen bieten, zu verabschieden. Um das zu erreichen, braucht man eine sehr starke Marke, und man muss die Produkte anderer Anbieter ins Sortiment nehmen. Es wird nicht gelingen, alle Kundenbedürfnisse nur mit den eigenen Angeboten zu befriedigen.
Aber es gibt nur ein Facebook, ein Google und ein Amazon, längst nicht alle Banken werden es schaffen, ihr eigenes Ökosystem aufzubauen. Was passiert mit dem Rest?
Sie haben recht, die Plattformökonomie führt zu „The winner takes it all“-Geschäftsmodellen, weil der Mehrwert normalerweise mit der Zahl der Nutzer wächst. Nicht alle Banken haben dafür die richtige Größe, die nötige Finanzkraft oder die richtige Kultur. Das ist ein weiterer Grund, der für eine Konsolidierung in der Branche spricht.
Was heißt das für die einzelnen Banken?
Viele werden sich nach einer neuen Strategie umschauen müssen, vielleicht als reiner Produktlieferant oder als Lieferant von Technologie.
Der Vorstand Koos Timmermans verlässt die niederländische Großbank. Sie wurde wegen zu laxer Kontrollen zu einer hohen Strafe verdonnert.
Was passiert mit den klassischen Bankern? Werden sie zunehmend durch Softwareingenieure ersetzt?
Immer mehr Banker werden einen Technologie-Hintergrund haben. Das sieht man schon heute in der Führung vieler Institute. Während der Phase der Transformation versuchen wir bei ING, klassische Bankerqualifikationen mit technologischen Fähigkeiten zusammenzubringen. Deshalb haben wir eine agile Organisationsform gewählt. Das heißt, wir haben uns vom Silodenken verabschiedet und setzen stattdessen auf kleine Teams, in denen alle möglichen Qualifikationen zusammenkommen, vom Marketing über Compliance bis zur Technologie.
Werden sich klassische Banker an diese neue Welt anpassen können?
Das hängt vom Startpunkt der Bank ab. ING ist seit langer Zeit ein von der Technologie getriebenes Unternehmen. Wenn Sie allerdings eine traditionelle Bank sind, wird es schwierig, Schalterangestellte zu Softwareingenieuren umzuschulen. Die Veränderungsgeschwindigkeit ist so schnell, dass wir uns darüber klar sein müssen, dass wir einige Mitarbeiter auf eine Zukunft außerhalb der Bankbranche vorbereiten müssen. Und genau das tun wir bei ING.
Wie geschieht das?
In unserem Heimatmarkt, den Niederlanden, sind wir eher eine traditionelle Bank. Dort bitten wir unsere Mitarbeiter die Pläne für ihre Personalentwicklung in drei verschiedenen Kategorien zu bewerten. Die erste: Wie bleibe ich fit für meinen derzeitigen Job? Die zweite: Wie kann ich mich für eine andere Stelle bei ING qualifizieren? Und die dritte: Wie stelle ich sicher, dass ich die nötigen Fähigkeiten habe, um einen Job außerhalb von ING zu finden? Jede Trainingsmaßnahme für unsere Mitarbeiter muss allen drei verschiedenen Kategorien gerecht werden.
Sie haben einmal geschätzt, dass die digitale Reform in etwa die Hälfte der Jobs im Privatkundengeschäft kosten könnte. Bleiben Sie dabei?
Die digitale Transformation bedeutet nicht, dass die Zahl der Mitarbeiter bei den Banken automatisch dramatisch zurückgehen muss. Für traditionelle Banken mag das für eine Weile der Fall sein. Bei ING bauen wir Mitarbeiter in den Märkten ab, in denen wir eher ein traditionelles Geldhaus sind. In anderen Märkten, wo wir uns als Herausforderer ansehen, schaffen wir sehr schnell neue Stellen, weil wir so stark wachsen und neue Qualifikationen brauchen, zum Beispiel Datenanalysten.
Die großen Internetkonzerne sind so etwas wie das Schreckgespenst für Banken. Zu Recht, wie eine neue Studie zeigt – zumindest langfristig.
Wir haben das Thema Konsolidierung des europäischen Bankenmarkts bereits kurz gestreift. Sehen Sie sich dabei als aktiver Spieler?
Unsere Strategie ist es, organisch zu wachsen. Wir ziehen das vor, weil man sich nicht um Altlasten und Herausforderungen durch die Integration kümmern muss. Wenn wir über Zukäufe nachdenken, dann sind wir vor allem an Unternehmen interessiert, die unseren Service ergänzen. Wenn es allerdings auf einem der Märkte, auf dem wir bereits stark vertreten sind, zu Konsolidierung kommt, wird das einen Prozess des Nachdenkens auslösen. Wir werden uns dann fragen, ob wir dort aus eigener Kraft schnell genug wachsen können.
Sie schließen größere Übernahmen also nicht grundsätzlich aus?
Wir schließen gar nichts aus, aber das ist ganz sicher nicht unsere Top-Priorität.
Und wie wollen Sie die ING aus eigener Kraft voranbringen?
Wir haben immer gesagt, dass wir nicht warten wollen, bis sich die Märkte verändern, sondern sie selbst verändern. Wenn man einmal ein Standardmodell für digitales Banking entwickelt hat, dann kann man das quasi in jeden Markt exportieren. Wir bauen solche Plattformen in Spanien, Italien, Frankreich und in Tschechien auf. In Märkten wie Deutschland, in denen wir bereits stark vertreten sind, wollen wir uns zur Universalbank entwickeln, von Sparprodukten bis hin zu Versicherungen.
Herr Hamers, vielen Dank für das Interview.
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