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04.12.2020

16:35

IT-System

Was hinter der Kooperation von Deutscher Bank und Google steckt

Von: Yasmin Osman, Michael Maisch

Die Deutsche Bank erhofft sich von der Zusammenarbeit mit dem IT-Riesen Google einen Innovationsschub, der ihr auch beim Umbau des Instituts helfen soll.

Das größte deutsche Geldhaus verlagert seine IT-Systeme in die Google-Cloud. dpa

Gebäude der Deutschen Bank in Frankfurt

Das größte deutsche Geldhaus verlagert seine IT-Systeme in die Google-Cloud.

Frankfurt Lange ist die Deutsche Bank für den Zustand ihrer IT-Systeme belächelt worden. Der frühere Chef des Instituts, John Cryan, bezeichnete ihren Zustand einst als „lausig“. Doch für Erneuerungen großen Stils hätten die im Vergleich zur US-Konkurrenz bescheidenen Budgets der Frankfurter nicht gereicht. Nun soll eine Kooperation mit dem Internetriesen Google dieses Manko ausbügeln.

Am Freitag unterzeichneten beide Unternehmen eine Kooperationsvereinbarung mit zehnjähriger Laufzeit. Angekündigt hatten die Konzerne die Zusammenarbeit bereits im Sommer. Der Vertrag sieht nicht nur die Verlagerung der IT-Systeme der Deutschen Bank in die Google-Cloud vor, sondern legt auch die Basis für die gemeinsame Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen.

Die Deutsche Bank ist nicht das einzige Institut, das die Google-Cloud nutzt. Das Besondere der Vereinbarung ist die Kooperation bei der Produktentwicklung. Bis die ersten Gemeinschaftsprojekte marktreif sind, wird es allerdings noch eine Weile dauern: Die Vorbereitungsarbeiten und die Abstimmung mit den Aufsehern werden sich bis ins zweite Halbjahr 2021 ziehen.

Bernd Leukert, IT-Chef der Deutschen Bank und einer der Architekten der Vereinbarung, spricht von einem „neuen Kapitel“ für die Bank. Das Handelsblatt hat sich von Leukert und dem Vertriebschef von Google Cloud, Robert Enslin, erklären lassen, was sich beide Seiten von der Zusammenarbeit versprechen.

Warum wollen so viele Banken in die Daten-Cloud?

Durch die Verlagerung in die Cloud bekommen die Nutzer einen internetbasierten Zugriff auf Speicherplatz, Rechenleistung und Anwendungssoftware. Auf die Daten in dieser „Wolke“ können die Nutzer von überall zugreifen. Speicherplatz und Rechenleistung können je nach Bedarf erhöht oder reduziert werden. So müssen Unternehmen nicht mehr ständig IT-Leistung für Spitzenlasten vorhalten, was ein großer finanzieller Vorteil sein kann.

In der Regel greifen Banken dabei auf die Dienste spezialisierter Cloud-Anbieter wie Google, Amazon oder Microsoft zurück. Der Vorteil: Die Technologie wird von den Anbietern stets auf den neuesten Stand gebracht. Solche permanenten Investitionen wären für die meisten Banken zu teuer. Die historisch gewachsene, meist veraltete IT vieler traditioneller Geldhäuser gilt als großer Wettbewerbsnachteil gegenüber neuen Anbietern wie Fintechs oder Neo-Banken, die über modernere Systeme verfügen.

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Welchen Vorteil zieht die Deutsche Bank aus der Vereinbarung?

Der Deutschen Bank geht es aber um mehr als um eine Verlagerung ihrer IT-Systeme in die Cloud. Sie erhofft sich dadurch auch neue Möglichkeiten bei der Entwicklung von Dienstleistungen. Denn wer Technologien wie Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen oder Big Data verwenden will, benötigt enorme Datenkapazitäten.

Google stellt dem Institut seine Möglichkeiten zur Verfügung. „Die Zusammenarbeit mit Google ermöglicht unseren Entwicklern den Zugriff auf die neueste Technologie und quasi unbegrenzte Rechnerpower – und sie entlastet unsere eigenen Entwickler von vielen administrativen Aufgaben“, erläutert Leukert. Beide Seiten bringen ihre Entwickler mit ein – die Deutsch-Banker tragen das Finanz-Know-how bei, die Google-Leute die Kapazitäten des Internetriesen.

Die Kooperation soll sich bezahlt machen. Als Google und die Deutsche Bank im Juli eine erste Absichtserklärung veröffentlichten, war am Markt zu hören, dass das Frankfurter Geldhaus über die Vertragslaufzeit mit einen kumulierten Gewinneffekt vor Zinsen und Steuern (Ebit) von mehr als einer Milliarde Euro aus der Partnerschaft rechnet. „Ich bin sicher, wir werden weitere lukrative Ideen entwickeln“, sagt Leukert jetzt.

Erstmals will der Internetriese gemeinsam mit einer Bank Finanzprodukte entwickeln. Reuters

Das Logo von Google

Erstmals will der Internetriese gemeinsam mit einer Bank Finanzprodukte entwickeln.


Welchen Vorteil zieht Google aus der Vereinbarung?

Im Cloud-Markt ist Google mit weitem Abstand zu den Top-Spielern die Nummer drei. Die Analysefirma Canalys schätzte den Marktanteil von Google Cloud im Februar auf sechs Prozent, weit hinter Amazons AWS mit 32 Prozent und Microsofts Azure mit 17 Prozent. Um Marktanteile zu gewinnen, hat Thomas Kurian, seit Ende 2018 Googles Cloud-Chef, die Finanzbranche als einen der Zielmärkte definiert. Bislang hatte Google unter den globalen Banken nur die britische HSBC als Großkunden. Das macht den Deal mit der Deutschen Bank auch für Google wertvoll.

Natürlich verdient Google Cloud auch Geld. Zum einen zahlt die Deutsche Bank für die Nutzung der Cloud, also für die verbrauchten Rechner- und Speicherkapazitäten. Wir haben eine Mindestnutzung vereinbart. Aber da wir mehr und mehr Dienstleistungen erschaffen, könnte dieses Nutzungsvolumen wachsen, und dafür wird Google bezahlt“, erläutert Enslin. Außerdem will die Deutsche Bank von ihr entwickelte Anwendungen auf dem Google Cloud Marketplace anbieten, wo die Google-Kunden anderen Cloud-Nutzern gegen Gebühr Anwendungen zur Verfügung stellen. „Wenn die Deutsche Bank dort etwas verkauft, dann teilen wir diese Erlösströme“, erklärt Enslin.

Wem gehören die gemeinsam entwickelten Finanzprodukte?

Eine entscheidende Frage, wenn es um die Erlöse aus der Kooperation geht. „Die entwickelten Dienstleistungen gehören der Deutschen Bank. Sie sind für die Deutsche Bank gebaut, zusammen mit der Deutschen Bank“, stellt Google-Manager Enslin klar. Der Internetkonzern verdient also nur mit, wenn die Bank die gemeinsam entwickelten Produkte auf dem Marketplace vertreibt.

Ist es klug, die eigenen Innovationen anderen zu verkaufen?

Nur warum sollte die Deutsche Bank ihren mühsam erworbenen Innovationsvorsprung im Zweifel der Konkurrenz zur Verfügung stellen? „Wir haben über diese Frage im Vorstand ausführlich diskutiert“, räumt Bankmanager Leukert ein. Er betont, dass das Geldhaus die Hoheit über die gemeinsamen Entwicklungen behält und frei darüber entscheiden kann, welche Lösungen es über den Market Place auch anderen Unternehmen anbietet und welche es für sich behalten will.

Doch nicht jedes Produkt ist wettbewerbsentscheidend: „Es gibt sicherlich Services, bei denen Banken enger zusammenarbeiten könnten, zum Beispiel, wenn es nicht um exklusive Produktangebote geht, erklärt er. „Wir wollen solche Lösungen, die wir für die Deutsche Bank und die Postbank entwickeln, über den Market Place auch mit anderen Unternehmen teilen.“

Im September 2019 wechselte der Wirtschaftsinformatiker von SAP zur Deutschen Bank und wurde dort zum 1. Januar 2020 in den Vorstand berufen. SAP SE

Bernd Leukert

Im September 2019 wechselte der Wirtschaftsinformatiker von SAP zur Deutschen Bank und wurde dort zum 1. Januar 2020 in den Vorstand berufen.

Gibt es schon konkrete Anwendungsbeispiele für den Google-Deal?

Es gibt mehrere Projekte in so gut wie allen Sparten der Bank. Besonders viele Ideen stammen aus der Unternehmensbank. Die Frankfurter entwickeln gerade ein Instrument, das den Finanzverantwortlichen (Treasurer) der Unternehmen beim Liquiditätsmanagement helfen soll, indem es ihre Cashflows präziser prognostiziert. „Ein aktuell sehr spannendes Thema ist die Vorhersage von Cashflows. In der Unsicherheit der Coronapandemie ist gerade Liquidität für viele Unternehmen extrem relevant. Wir wollen Künstliche Intelligenz einsetzen, um Liquiditätsströme zu analysieren und zukünftige Cashflows vorherzusagen“, berichtet Leukert.

Ähnlich bedeutend ist die Entwicklung von nutzungsbedingten Finanzierungen, im Fachjargon Asset as a Service. „Das heißt, dass Maschinenbauer nicht mehr die Maschine, sondern deren Nutzung verkaufen“, erklärt Leukert. „Wir sehen starkes Interesse von Unternehmen an Asset as a Service.“ Die Entwicklung dieses Geschäftsfelds zählt zu den Herzensanliegen von Unternehmensbank-Chef Stefan Hoops, ist aber komplex. Denn damit die Bank eine solche Finanzierung kalkulieren kann, muss sie zum Beispiel einschätzen können, wie häufig eine Maschine genutzt wird. Voraussetzung dafür ist ein sehr gutes Datenmanagement und -analysen.

Im Investmentbanking will die Deutsche Bank ihre Devisenhandelsplattform Autobahn verbessern. Potenziell profitieren könnten sowohl Investmentbanking wie auch Corporate Banking von Verbesserungen im Risikomanagement, wo das Institut umfangreiche Speicher-, aber auch Rechenkapazitäten nutzt. „Unsere Risikomanagementsysteme verbessern sich laufend. Auch das hat uns geholfen, einen Anstieg der risikogewichteten Aktiva in diesem Feld zu verhindern“, betont Leukert. Und das wiederum spart Kapital.

Der ehemalige SAP-Vorstand wechselte im Frühjahr 2019 zu Google. Google

Robert Enslin

Der ehemalige SAP-Vorstand wechselte im Frühjahr 2019 zu Google.

Daneben dürften das Firmenkundengeschäft und das Investmentbanking auch besonders davon profitieren, wenn sich mithilfe von Künstlicher Intelligenz die Prozesse in der Geldwäscheprävention und der Bekämpfung von Finanzkriminalität verbessern und beschleunigen lassen. Auf diesem Gebiet hatte die Bank in der Vergangenheit wiederholt gepatzt, was zu Ärger mit den Aufsichtsbehörden führte.

In der Privatkundensparte plant die Deutsche Bank, die Nutzeroberfläche bedienerfreundlicher zu machen und Produkte vollständig digital anzubieten.

Was wandert in die Cloud – und wann?

Neue Systeme und gemeinsam mit Google entwickelte neue Finanzdienstleistungen dürften künftig direkt über die Cloud laufen. Wie schnell auch bestehende Anwendungen bis hin zum Kernbankensystem in die Cloud verlagert werden, lässt sich noch nicht genau sagen. Immerhin zur Reihenfolge äußert sich Leukert aber: „Zunächst soll die IT der Privatkundensparte in die Cloud migrieren, dann die der Corporate Bank“, sagt er. Danach will Leukert die einzelnen Datensammlungen innerhalb der Bank konsolidieren und in einem einzigen sogenannten Datensee in der Cloud zusammenfassen. „Der wird natürlich den Datenschutzbestimmungen entsprechen“, betont der Banker. Ziel der Operation ist es, Daten schneller, effizienter und produktiver zu nutzen.

Unter einem „Data Lake“ verstehen IT-Fachleute einen großen Informationsspeicher, der Daten aus unterschiedlichen Quellen im Rohformat aufnimmt und an einer Stelle bündelt. Auf Basis solcher zusammengeführter Daten lassen sich Big-Data-Analysen durchführen. Ein Data Warehouse ist ebenfalls ein großer Informationsspeicher, doch die Daten werden dort nicht im Rohformat, sondern in bestimmten Formaten oder Strukturen übernommen. Dadurch lassen sich die Daten nicht so flexibel analysieren wie im Datensee.

Von einem erklärten Ziel seiner Vorgänger nimmt Leukert nun auch offiziell Abschied: Unter dem früheren Bank-Chef John Cryan wurde einst das Ziel ausgegeben, die ausufernde Zahl von Betriebssystemen zu stutzen. Vor fünf Jahren waren noch 45 Betriebssystemen aktiv, daraus sollten einmal vier werden. Ende 2019 lag die Zahl aber noch bei 24.

Leukert hält sich mit solchen Fragen nicht weiter auf. „Auf die Zahl der Betriebssysteme kommt es in einem Cloud-Umfeld gar nicht mehr wirklich an. Die einzelnen Betriebssysteme lassen sich durch universelle Schnittstellen anbinden. Ich habe dieses Ziel aus unserer Scorecard gestrichen.“

Wie schützt die Deutsche Bank die Daten vor dem Datenkraken Google?

Die großen Internetkonzerne genießen in Deutschland wegen ihres Datenhungers nicht den besten Ruf. Experten gehen deshalb davon aus, dass Datensicherheit und Datenschutz ein zentraler Erfolgsfaktor für das Cloud-Projekt sind. „Das ist vor allem eine kommunikative Herausforderung für die Bank, denn gegenüber Tech-Konzernen wie Google herrscht in der Gesellschaft ein großes Misstrauen in Bezug auf die Datensicherheit“, sagt Silke Finken, Professorin für Innovationsmanagement an der International School of Management (ISM) in München.

Leukert betont: „Unsere Daten in der Google-Cloud werden alle verschlüsselt sein, das gilt sowohl für die Speicherung von Daten wie für ihre Übertragung. Und den Schlüssel dazu werden wir verwalten. Das erhöht die Sicherheit noch zusätzlich.“. Gelagert werden die Kundeninformationen an unterschiedlichen Standorten: „Wir lagern die Daten in der Region, aus der die Kunden jeweils stammen. Aus diesem Grund war für uns auch ein globaler Partner so wichtig, schließlich haben wir Kunden rund um die Welt“, erklärt Leukert.


Warum fiel die Wahl ausgerechnet auf Google?

Die beiden Architekten der Kooperation, der Deutsch-Banker Leukert und Google-Manager Enslin, kennen sich seit rund 20 Jahren, beide arbeiteten einst für das deutsche Softwarehaus SAP. Das sei aber nicht der Grund für die Kooperation: „Wir haben uns mehrere Anbieter intensiv und systematisch angeschaut und am Beispiel konkreter Anwendungsfälle die Zusammenarbeit getestet“, erzählt Leukert. „Bei Google waren die Ergebnisse – vor allem, was gemeinsame Innovationen angeht – mit Abstand am überzeugendsten. Wir konnten dort schnelle Fortschritte auch in Fällen sehen, in denen wir mit anderen Partnern schon mehrere Monate gearbeitet hatten.“ Dass er Google „insbesondere bei Datenanalyse und Künstlicher Intelligenz“ für „technologisch führend“ hält, hatte Leukert dem Handelsblatt bereits im Juli gesagt.

Eine eigene Cloud, wie sie etwa die Bank of America mit IBM entwickelte, hätte sich die Deutsche Bank nicht leisten können. Diese Option wurde einmal geprüft und dann verworfen. „Wir sind schnell zu dem Ergebnis gekommen, dass eine eigene Cloud zu teuer ist. Als Bank könnten wir nie so viel in die Weiterentwicklung der Technologie investieren wie die Tech-Konzerne“, sagte Leukert im Sommer.

Warum ausgerechnet die Deutsche Bank – und ist der Deal exklusiv?

Der enge Draht zum IT-Chef der Deutschen Bank war laut Google-Manager Enslin nicht ausschlaggebend dafür, dass Google mit der Deutschen Bank ins Geschäft kam. „Bernd und ich kennen uns seit 20 Jahren. Wir vertrauen einander und sind sehr offen.“ Der entscheidende Punkt sei aber gewesen, dass die Kultur und die Richtung, in die sich die Führung und die Mitarbeiter der Deutschen Bank entwickelten, sehr gut mit Google zusammenpassen würden. Er betont, dass die enge Kooperation mit der Deutschen Bank eine Besonderheit bleiben soll. „Der Deal ist sehr strategisch für uns, wir schließen nicht viele solche Vereinbarungen ab, im Finanzsektor ist es die erste ihrer Art und exklusiv für die Deutsche Bank.“

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