PremiumSinkende Bewertungen auf dem M&A-Markt eröffnen neue Einstiegsmöglichkeiten. Doch die Vielzahl der Käufe aus dem Ausland birgt auch eine Gefahr.
Geschäftsleute in Frankfurt
Großes Interesse an deutschen Start-up-Firmen.
Bild: Bloomberg
Frankfurt Käufer aus dem Ausland haben das Potenzial deutscher Jungunternehmer aus dem Technologiesektor längst erkannt. Sie halten daher gezielt nach Kandidaten Ausschau und greifen bei attraktiven Firmen zu.
Laut einer Studie der Unternehmensberatung EY (Ernst & Young) über den M&A-Markt wurden im vergangenen Jahr insgesamt 203 Start-ups in Deutschland übernommen – so viel wie nie zuvor. Im Jahr davor betrug die Zahl der Zukäufe noch 171. Zwei von drei Deals gingen dabei von ausländischen Investoren aus.
Wird der Zusammenbruch der kalifornischen Silicon Valley Bank (SVB) in den USA an diesem Trend etwas ändern? Es ist der größte Kollaps einer Bank seit der Finanzkrise 2008. Weil das Institut auf die Finanzierung von Technologiefirmen spezialisiert war, stehen auch Start-up-Firmen unter Druck.
Es sei klar, dass der schnelle und starke Zinsanstieg zu neuen Risiken und Instabilitäten auf den Finanzmärkten führen könne, räumt Thomas Prüver, Partner bei EY, ein. „Die Start-ups mit ihrem hohen Finanzierungsbedarf könnten womöglich stärker von diesen Herausforderungen betroffen sein als andere Unternehmen“, räumt er ein. Kurzfristig sehe er aber keine Auswirkungen auf den Start-up-M&A-Markt, so der Experte.
Dafür gibt es nach Ansicht von Experten zwei Gründe. Zum einen ermöglichen sinkende Bewertungen Übernahmen zu niedrigeren Preisen, zum anderen verfügen etablierte Konzerne über hohe Reserven, um Käufe zu tätigen.
Am M&A-Markt für Start-ups spielten 2022 erstmals Käufer aus dem europäischen Ausland mit 78 (Vorjahr: 51) Transaktionen eine größere Rolle als US-Unternehmen, die insgesamt 53 (Vorjahr: 59) deutsche Jungunternehmen kauften oder sich an ihnen beteiligten. Die übrigen sieben internationalen M&A-Transaktionen entfielen 2022 auf Unternehmen aus Asien, der Anteil stieg von drei auf fünf Prozent.
Insgesamt 65 Deals mit Beteiligung deutscher Jungunternehmen gingen auch von Deutschland aus, am häufigsten von Unternehmen aus Berlin und München.
Zu den wichtigsten Transaktionen zählte etwa die Übernahme des Lieferdienstes Gorillas durch den türkischen Wettbewerber Getir. Das Berliner Flottenmanagement-Start-up Vimcar (Software & Analytics) wurde von Battery Ventures gekauft. Der Straßenverkehrstechnik-Spezialist Yunex Traffic ging an die italienische Gesellschaft Atlantia und das Insurtech Simplesurance an Allianz X, eine Einheit der Allianz für Digital-Investments.
Dass sich US-Unternehmen weiterhin sehr für den deutschen Markt interessieren, zeigt das Beispiel von 3D Systems. Der US-Konzern erwarb Kumovis. Das deutsche Start-up ist mit raumfähiger 3D-Drucktechnologie und Software bekannt geworden. 3D Systems hat noch ein weiteres deutsches Start-up übernommen, und zwar die dp polar GmbH. Dieses Jungunternehmen hat sich auf 3D-Druckverfahren spezialisiert im Zusammenhang mit industrieller Massenfertigung.
2022 war für die Start-up-Unternehmen ein herausforderndes Jahr. Die Zinswende der Notenbanken, die Konjunktureintrübung und das Auslaufen von Coronahilfen führten dazu, dass die Bewertungen der Unternehmen nach unten korrigiert wurden. Die Profitabilität rückte stärker in den Vordergrund, nicht mehr so sehr das Wachstum.
Hinzu kam, dass es 2022 keinen einzigen Börsengang eines deutschen Start-ups gab. 2021 hatte es noch vier IPOs und fünf Fusionen mit Börsenmänteln (Spacs) gegeben.
Da Börsengänge derzeit als Exit-Möglichkeit für Investoren ausfielen, rückten M&A-Transaktionen stärker in den Fokus, sagt EY-Partner Prüver. Zudem seien einige Jungunternehmen, die Probleme hatten, frisches Kapital zu erhalten, zu Übernahmekandidaten geworden.
Blick auf Frankfurt
Ausländische Konzerne kaufen Start-ups, um von der Dynamik der jungen Unternehmen zu profitieren.
Bild: AP
Die Anzahl der Übernahmen stieg deshalb im Vergleich zum Rekordjahr 2021 noch einmal kräftig. Das sei ein deutliches Zeichen dafür, „wie wettbewerbsfähig hiesige Start-ups und ihre Ideen und Geschäftsmodelle im internationalen Vergleich sind“, so Prüver. Gleichzeitig sei dieser Trend aber auch ein Alarmzeichen für die Politik, denn durch die Übernahmen fließe viel Innovationspotenzial aus Deutschland ab.
Besonders groß war das Interesse an Firmen, die digitale Lösungen erarbeiten und anbieten: Von den mehr als 200 M&A-Transaktionen fanden 66 (33 Prozent) im Bereich Software und Analytics statt.
Hinter diesem Sammelbegriff verbergen sich oft Lösungen aus dem Bereich Künstliche Intelligenz (KI), nach denen insbesondere US-Investoren Ausschau halten. 30 Transaktionen (15 Prozent) wurden im Bereich E-Commerce vollzogen.
Ein weiterer Fokus von Investoren liege auf Nachhaltigkeit und hier insbesondere auf Klimatechnologien, erklärt Julian Riedlbauer, Partner bei der Beratungs- und Investmentgesellschaft GP Bullhound. Im vergangenen Jahr seien weltweit mehr als 50 Milliarden US-Dollar in Climate-Tech-Start-ups investiert worden.
Inzwischen fließe weltweit ein Viertel jedes investierten Venture-Dollars in Klimatechnologien. Zahlreiche VC-Fonds hätten sich auf das Thema Klima spezialisiert. Viel Potenzial gäbe es auch im Segment Defence, also Verteidigung. Die Nato habe letztes Jahr einen Eine-Milliarde-Euro-Fonds angekündigt, um in Early-Stage-Defence-Tech-Unternehmen zu investieren. Allerdings bleibt nach Ansicht der Experten abzuwarten, wie sich der SVB-Zusammenbruch auf alle Marktsegmente auswirkt.
„Von der Dynamik junger Unternehmen, ihren innovativen Geschäftsideen und alternativen Arbeitsweisen und Abläufen zu profitieren – das sind sicherlich die Hauptgründe für etablierte Unternehmen, wenn sie Start-ups kaufen“, betont E&Y-Experte Prüver. Umgekehrt profitierten natürlich auch die Jungunternehmen von der Zusammenarbeit mit etablierten Unternehmen, deren Marktwissen und Finanzkraft.
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