Sanjay Shah ist Philanthrop, Finanzprofi – und mutmaßlich Europas größter Steuerbetrüger. Staatsanwaltschaften in etlichen Ländern ermitteln.
Sanjay Shah
Shah und zwei Amerikaner sind die Hauptverdächtigen im größten Steuerskandal, den es in Dänemark je gab.
Bild: Youtube Screenshot
Düsseldorf Manchmal, wenn ihm danach ist, erzählt Sanjay Shah rührende Geschichten. Der Mann, der seiner Frau zum 43. Geburtstag eine Hermés-Handtasche für 125.000 Euro schenkte, erinnert sich dann an seine bescheidenen Anfänge. Seine Kindheit in einem Londoner Vorort, wo seine Familie zu viert eine Wohnung mit einem Schlafzimmer teilte. Seinen ersten Stundenlohn als Zeitungsjunge – zwölf Pfund pro Woche. Und an das Jahr 2003, als seine Frau schwanger war, Shah eine riesige Hypothek aufgenommen hatte und seinen Job als Investmentbanker verlor.
Er musste seinen prächtigen Mercedes ML gegen einen billigen Toyota eintauschen. Shah: „Mein Stolz war verletzt. Ich habe mich gefragt, was die Nachbarn wohl denken.“ So redselig ist er selten. Shah, der im Zentrum der Ermittlungen eines Milliardenskandals steht, wollte dem Handelsblatt nicht eine einzige Frage beantworten. „Tut mir leid, ich kann nicht mit Ihnen sprechen, aus offensichtlichen Gründen“, schreibt Shah aus seinem Domizil in Dubai. Mit dem Magazin „The National“ aus Abu Dhabi plauderte Shah dafür ausführlich über sein Leben und gab sogar Finanztipps.
Mit sieben richteten ihm die Eltern ein Konto ein. „Sie erklärten mir, wie das Bankwesen funktionierte und lehrten mich, nie über meine Verhältnisse zu leben.“ Diesem Rat sei er weitgehend gefolgt. Zwar könne er ab und an ein kleines Vermögen im Restaurant ausgeben, nehme sich aber oft sein Essen mit zur Arbeit. Was er jungen Menschen rate? Sparen, sparen, sparen. Sein größter Fehler sei der Kauf einer Jacht gewesen, für eine Million Pfund und mit endlosen Folgekosten. Shah: „Sie steht zum Verkauf, aber keiner will sie haben.“
Ein Mitarbeiter von State Street soll Kontakte zu wichtigen Cum-Ex-Akteuren gehabt haben. Nun ist das Unternehmen im Visier der Behörden.
Ob es am Namen liegt? „Cum-Ex“ hat Shah die Jacht getauft. Manche mögen das höhnisch finden. Hinter dem Begriff verbirgt sich eine Methode, Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch zu handeln. Die Papiere werden dabei so hin- und hergeschoben, dass die Finanzämter durcheinandergeraten und eine nur einmal erhaltene Quellensteuer auf Dividenden mehrfach erstatten. Der Schaden soll allein für den deutschen Steuerzahler zwölf Milliarden Euro betragen. Shah, damals noch mit seiner Firma Solo Capital in London aktiv, gilt als maßgeblicher Strippenzieher.
Shah schweigt zu solchen Vorwürfen. Sein Sprecher Jack Irvine sagt, es gebe nichts zu sagen, und beschwert sich stattdessen über die lange Ermittlungsdauer. Seit mehr als 900 Tagen stünden die Vorwürfe nun im Raum. „Verzögertes Recht ist verweigertes“ Recht, mahnt Irvine. Er habe im Übrigen den Eindruck, dass die dänischen Politiker, die gegen Shah poltern, gar nicht wissen, wovon sie reden. „So weit ich sehen kann, sind die Feinheiten des Steuersystems ein Mysterium für diese Leute“, sagt Irvine. Dabei habe er doch immer eine hohe Meinung vom dänischen Staat gehabt.
So viel Selbstbewusstsein ist in der Cum-Ex-Szene üblich. Viele Jahre lang griffen Finanzjongleure in Europas Steuerkassen. Manager, die an dem Spiel ohne Risiko nicht teilnahmen, galten als Dummköpfe. Mehr als hundert Banken beteiligten sich an dem Aktienhandel auf Kosten der Allgemeinheit, in Deutschland sogar Landesbanken, die damit ihre öffentlichen Eigentümer schädigten. Als die Finanzämter die Erstattung verweigerten, reagierten die Akteure nicht mit Reue, sondern mit Protest. Das sei nun mal so, hieß es aus London, Frankfurt oder Paris. Wer sich an Cum-Ex störe, verstehe das System nicht.
Diese Haltung speiste sich aus einer Gewissheit: Finanzbeamte würden das System niemals knacken. Zu kompliziert. Hochbezahlte Steueranwälte taten alles, um den Cum-Ex-Handel hinter einem Gewirr aus Transaktionen zu verschleiern. Jahrelang schleppten sich Verfahren hin, immer wieder blieben die Ermittler stecken. Dann redeten die ersten Kronzeugen.
Eine gemeinnützige Kunstfirma soll mit Hilfe der Münchener Dero Bank 30 Millionen Euro an Steuern hinterzogen haben – mitten in der Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals. Doch die Art der Trickserei ist neu.
Nun scheint der Bann gebrochen. In Deutschland hat die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt die erste Anklage erhoben, der dänische Staat fordert von 212 US-Pensionsfonds 1,65 Milliarden Euro Schadensersatz. Sie sollen nicht mehr als Briefkästen gewesen sein, mit schönen Namen wie Snow Hill, die wiederum mit Firmen wie West Point Derivatives zusammenarbeiteten. Ein Name, der an die berühmte US-Militärakademie erinnert, in Wirklichkeit aber zum Einflussbereich von Sanjay Shah zählen soll. Shah und zwei Amerikaner sind die Hauptverdächtigen im größten Steuerskandal, den es in Dänemark je gab.
Shahs Probleme reichen weit über Dänemark hinaus. Ermittler in London und Brüssel sind in seiner Sache unterwegs, auch Norwegen ist alarmiert. In Deutschland fällt sein Name in einer ganzen Reihe von Verfahren. Shah kaufte sich bei der Varengold Bank ein und transferierte dreistellige Millionenbeträge.
Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt wegen des Verdachts der Geldwäsche. Bei der Dero Bank in München, bei der Shah Aufsichtsratschef war, kam die Methode Cum-Ex zum Einsatz. Die Ausführung war allerdings so krude, dass die Finanzaufsicht die Bank Anfang 2018 unter ein Moratorium stellte, dann meldete sie Insolvenz an. Die Mainzer North Channel Bank bestätigt eine Razzia und sagt auf Fragen zu Shah, sie würde die Ermittler aktiv unterstützen.
Bei den Cum-Ex-Geschäften ließen sich Anleger die einmal gezahlte Kapitalertragsteuer auf Aktiendividenden mit Hilfe ihrer Bank mehrfach erstatten.
Viele Wege, so zeigen die Ermittlungsakten aus halb Europa, führen in der Cum-Ex-Affäre zu Sanjay Shah und seiner Firma Solo Capital. Sie ist inzwischen geschlossen. Insider beschreiben Shah als hyperaktiven Anbahner von Cum-Ex-Geschäften. Außerdem habe er sich früh eine Expertise mit dem elektronischen Datenträgerverfahren DTV angeeignet – eine Schlüsselstelle im Steuerbetrug. Papier wurde von Beamten wenigstens einmal angeguckt, im digitalen Verfahren gingen viele Millionen einfach so durch die Leitung.
Shah habe damals seine eigene DTV-Filer-Nummer für die Erstattungen angeboten, berichtet ein damaliger Geschäftspartner. Die Gebühren für diesen Service sollten 0,5 Prozent der Brutto-Dividenden betragen. Das klingt nicht hoch – bis man sie mit den Milliardensummen multipliziert, die im Cum-Ex-Handel bewegt wurden. Wie viel Geld bei Shah selbst hängen blieb, ist unklar. Im Interview mit „The National“ nannte er 100 Millionen Pfund als sein nächstes Ziel.
Das schafft Spielraum zur Selbstverwirklichung. Shah gibt sich als Philanthrop und buchte für Charity-Veranstaltungen Weltstars wie Prince und Lenny Kravitz. Nebenbei finanziert er Filme. 2017 erhielt das Werk „Under the Shadow“ einen Preis als bestes Debüt. Die Hauptdarstellerin wird von Dschinn verfolgt, teuflischen Geistern, die nicht ablassen wollen. Zumindest dieses Schicksal bleibt Shah erspart. Ihn suchen nur Staatsanwälte.
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