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01.07.2019

03:55

Negativzinsen

Draghis Zins-Schock bedroht Banken – und könnte für Kunden teuer werden

Von: Michael Maisch, Elisabeth Atzler

Noch niedrigere Zinsen würden deutsche Banken Hunderte Millionen Euro kosten. Die Politik der EZB birgt die Gefahr, dass Privatkunden die Zeche zahlen.

EZB: Mario Draghis Zins-Schock bedroht Banken imago images / imagebroker

Europäische Zentralbank in Frankfurt

Die Geldpolitik der Notenbank führt zu hohen Belastungen für die europäischen Banken.

Frankfurt Es war eine böse Überraschung für Europas Banken. Eigentlich hatten sich die Geldhäuser auf eine Normalisierung der Geldpolitik eingestellt. Doch in den vergangenen Monaten wurde angesichts der wachsenden Konjunkturängste immer klarer, dass die Wende ausbleiben würde.

Es kam noch schlimmer: In seiner Rede im portugiesischen Sintra kündigte Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), an, dass die Geldpolitik noch lockerer werden dürfte. Mittlerweile geht die Mehrheit der von der Nachrichtenagentur Bloomberg befragten Volkswirte davon aus, dass die EZB ihre bereits auf einem Rekordtief liegenden Einlagenzinsen für Banken im September noch einmal um zehn Basispunkte auf minus 0,5 Prozent senken wird.

Sehr viel schlimmer könnte es für die Banken nicht kommen. „Die Aussagen des EZB-Präsidenten haben uns erschreckt, eine Zinssenkung halte ich für völlig sinnlos“, klagt Hans-Walter Peters, Präsident des Verbandes der privaten Banken BdB. Der BdB warnt, dass eine weitere Zinssenkung die deutschen Banken Hunderte Millionen Euro kosten werde. Er fürchtet, dass am Ende die Bankkunden die Zeche bezahlen müssen: „Ich persönlich könnte mir vorstellen, dass viele Banken auf Dauer nicht mehr umhin können, die zusätzlichen Belastungen auch in der Breite an Privatkunden weiterzugeben, aber natürlich muss das jedes Institut selbst entscheiden“, sagte Peters dem Handelsblatt.

Nicht nur die privaten Banken, auch Sparkassen und Genossenschaftsbanken befürchten, dass weitere Zinssenkungen die Verbraucher treffen könnten: „Wir haben bereits heute eine verheerende Zinssituation, deren Ende nicht absehbar ist. Wenn die EZB diesen Kurs noch verschärft, würde das nicht nur den ganzen Finanzsektor hart treffen, sondern vor allem die Sparerinnen und Sparer“, sagt Peter Schneider, Präsident der Sparkassen in Baden-Württemberg.

„Das extreme Zinsumfeld reißt in der privaten Altersvorsorge der Bürgerinnen und Bürgern gravierende Lücken auf“, warnt Marja Kolak, Präsidentin des Bundesverbandes der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken. Die seit fünf Jahren andauernde Negativzinspolitik dürfe nicht zum „new normal“ werden.

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Kolak befürchtet eine „spürbare Belastung der Ertragslage der Banken“, sollte die Europäische Zentralbank noch einmal die Zinsen senken. Damit ist sie nicht allein: Erst vor Kurzem warnte Felix Hufeld, der Chef der deutschen Finanzaufsicht Bafin, vor einer schnelleren und härteren Bereinigung des Bankenmarktes, sollte die EZB ihre Zinsen weiter senken.

Der BdB hat ausgerechnet, dass der bisherige Einlagenzins von minus 0,4 Prozent die europäischen Banken in diesem Jahr voraussichtlich 7,5 Milliarden Euro kosten wird. Sollte der Zins auf minus 0,5 Prozent sinken, würde die Belastung um knapp zwei Milliarden Euro steigen. Für die deutschen Banken belaufe sich die aktuelle Last durch den Minuszins auf rund 2,3 Milliarden Euro im Jahr, bei einer Zinssenkung würden weitere 600 Millionen Euro fällig.

Firmen zahlen bereits Strafzinsen

Einer Studie des Finanz-Start-ups Deposit Solutions zufolge haben Europas Banken in den Jahren von 2016 bis 2018 bereits 18 Milliarden Euro an negativen Zinsen an die EZB bezahlt. Deutschland war davon überproportional betroffen. Allein 5,7 Milliarden Euro kamen von den heimischen Geldhäusern.

Trotz dieser Belastung berechnet bislang nur ein Bruchteil der deutschen Geldhäuser seinen privaten Kunden einen Strafzins auf dem Giro- oder Tagesgeldkonto, meist ab einem hohen Betrag – zum Beispiel bei Einlagen von mindestens 100.000 Euro oder ab der Grenze von 500.000 Euro.

Die Aussagen des EZB-Präsidenten haben uns erschreckt, eine Zinssenkung halte ich für völlig sinnlos. Hans-Walter Peters BdB-Präsident

Das Vergleichsportal Verivox zählt insgesamt gut 20 Banken und Sparkassen, die entweder einen Strafzins von meist 0,4 Prozent verlangen, eine extra Gebühr oder eine Kombination aus beidem. Darunter sind vor allem Genossenschaftsbanken, aber auch die größten Sparkassen, die Hamburger Sparkasse und die Berliner Sparkasse. Erst vergangene Woche kündigte zudem die Naussauische Sparkasse aus Wiesbaden an, dass sie ab dem 1. Juli ein Verwahrentgelt von 0,4 Prozent für Guthaben ab 500.000 Euro auf Giro- oder Tagesgeldkonten erhebt.

Es gibt aber auch Geldhäuser, die Strafzinsen wieder abgeschafft haben. Die Sparkasse Köln hatte im Frühjahr 2017 erklärt, sie berechne für einige wenige vermögende Privatkunden Minuszinsen, kurz darauf kippte sie die Entscheidung wieder. Auch die Hamburger Volksbank nahm wieder Abstand von Strafzinsen für reichte Privatkunden. Firmenkunden und Großanleger dagegen sind längst daran gewöhnt, dass sie für hohe Einlagen einen Strafzins berappen müssen.

Während viele Banken sich scheuen, negative Zinsen von ihren Privatkunden zu fordern, sind sie bei einer zweiten Methode, die Belastungen durch die EZB-Politik weiterzugeben, weniger zurückhaltend. Erst vor drei Jahren haben viele Geldhäuser die Preise für Girokonten erhöht. Etliche Banken berechnen für bestimmte Dienstleistungen, die zuvor umsonst waren, eine Gebühr. Ein Beispiel ist die SMS-TAN, mit der Kunden im Onlinebanking eine Überweisung freigeben. In bestimmten Kontomodellen zahlen die Kunden auch für Barabhebungen am Geldautomaten.

Die große Welle der Gebührenerhöhungen kam zwar bereits im Jahr 2016. Aber auch im vergangenen Jahr sind die Provisionserträge von Volks- und Raiffeisenbanken sowie der Sparkassen um gut vier Prozent – mehr als 500 Millionen Euro – gestiegen, wie das Analysehaus Barkow Consulting berechnet hat. Der Großteil davon dürfte auf höhere Gebühren zurückgehen – für private wie für gewerbliche Kunden. 

Weitere Kostenwelle droht

Jetzt könnte den Kunden eine weitere Kostenwelle drohen: „Die Banken müssen schon sehr widerstandsfähig sein, um die Gebühren nicht zu erhöhen. Ich rechne damit, dass weitere Banken bald Gebühren für private Kunden wie für Firmenkunden anheben werden. Sie haben nicht viele andere Möglichkeiten, um auf die Niedrigzinsen zu reagieren“, meint Barkow-Geschäftsführer Peter Barkow. Außerdem habe sich gezeigt, dass die letzte Runde der Gebührenerhöhungen nicht zu einer Kundenflucht geführt habe. Stefan Lamprecht vom Berater Sopra Steria Consulting rechnet „eher kurz- als mittelfristig“ mit Gebührenanhebungen der Geldhäuser.

Aber auch negative Einlagenzinsen für Privatkunden könnten salonfähig werden, wenn die EZB wirklich mit noch niedrigeren Zinsen ernst macht. „Eine weitere Senkung des Einlagenzinses würden die Banken sofort spüren. Sie versuchen schon, die Kosten zu senken. Aber Einsparungen durch Personalabbau und Filialschließungen wirken nicht sofort, sondern erst mit Verzögerung. Deshalb werden die Banken nicht darum herumkommen, Kosten durch höhere Strafzinsen auch auf Kunden zu überwälzen“, prognostiziert Martin Faust, Bankenprofessor an der Frankfurt School. „Die Möglichkeiten, die zusätzlichen Belastungen über Entgelte und Zinsen weiterzugeben, sind zwar begrenzt. Aber der Druck steigt, sie auszuschöpfen“, meint BdB-Präsident Peters dazu.

Die Postbank hat bereits angekündigt, ihre Gebühren zum ersten Oktober zu erhöhen. In Finanzkreisen ist zu hören, dass auch die Konzernmutter, die Deutsche Bank, im Privatkundengeschäft über „alles nachdenkt“, wenn es um die Preisgestaltung geht. Dagegen versichert die Commerzbank, dass sie „keine Pläne hat, Negativzinsen an unsere vielen Privatkunden weiterzugeben oder deswegen Gebühren auf breiter Front zu erhöhen“. Auch an ihrem kostenlosen Girokonto will sie festhalten.

EZB-Präsident Draghi hatte seine geldpolitische Ankündigung beim Notenbanker-Treffen in Sintra mit der Furcht vor einer anhaltenden Konjunkturschwäche im Euro-Raum in den kommenden Quartalen begründet. Sorgen bereitet den Währungshütern unter anderem die jüngste Schwäche der Industrie. Zudem dämpfen die US-Handelskonflikte und die anhaltende Brexit-Hängepartie die Konjunkturaussichten. Außerdem hat sich die Inflationsrate zuletzt wieder deutlich von der EZB-Zielmarke von knapp unter zwei Prozent entfernt, die die Notenbank als Idealwert für die Wirtschaft anstrebt. In der Euro-Zone verharrte sie im Juni bei 1,2 Prozent, wie die europäische Statistikbehörde Eurostat am Freitag auf Grundlage einer Schnellschätzung mitteilte.

Notenbankchef Draghi hat bereits mehrfach darauf verwiesen, dass die Effekte der Negativzinsen für die Profitabilität der Banken seiner Meinung nach komplex sind und auch stark vom Geschäftsmodell abhängen. Positiv könne sich zum Beispiel auswirken, dass sie das Wachstum stimulieren und dadurch mehr Kredite vergeben werden und weniger Darlehen ausfallen.

Staffelzinsen sollen Banken entlasten

Für die deutschen Banken zählt dagegen vor allem die negative Wirkung auf die Zinsmarge. BdB-Präsident Peters hält noch niedrigere Zinsen für untauglich, um das Wachstum zu beleben. „Die Ursache einer möglichen Konjunkturabkühlung in der Euro-Zone liegt nicht in der Kreditversorgung, sondern in der fehlenden Investitionsbereitschaft.“ Deshalb sei nicht die Geld-, sondern die Fiskalpolitik gefragt. Die Staaten sollten darüber nachdenken, wie sie steuerliche Anreize für Investitionen setzen könnten.

„Es sollte auch im Interesse der Geldpolitik liegen, die schädlichen Auswirkungen der Negativzinsen zu reduzieren“, fordert Sparkassenpräsident Helmut Schleweis. Die Einführung von Staffelzinsen könnte dazu seiner Meinung nach einen Beitrag leisten. Staffelzinsen würden bedeuten, dass die Geldhäuser einen zusätzlichen Freibetrag erhalten, für den die Europäische Zentralbank keinen Minuszins verlangt. Beträgt der Freibetrag das Zehnfache des Mindestreservesolls, würde das die Banken im Euro-Raum jährlich um 4,6 Milliarden entlasten, kalkuliert der Deutsche Sparkassen- und Giroverband.

Ob die EZB Schleweis erhören wird? Das gilt als eher unwahrscheinlich. Viele in der Notenbank lehnen den Staffelzins als zu kompliziert ab, und Draghi machte zuletzt klar, dass die schädlichen Nebenwirkungen der Minuszinsen ihre positive Wirkung auf Wachstum und Inflation nicht untergraben würden.

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