Es gibt erste Anzeichen, dass Verbraucher wegen der hohen Inflation Zahlungsprobleme haben. Das zeigt sich auch bei einer speziellen Kreditform.
Tanja Birkholz
Die Schufa-Chefin registriert aktuell einen deutlich Anstieg der Negativmeldungen. Das heißt, das mehr Menschen in Zahlungsschwierigkeiten geraten.
Frankfurt Nach etlichen Warnungen aus Politik und Finanzbranche gibt es nun erste Daten dafür, dass Verbraucherinnen und Verbraucher vermehrt in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Bei der Wirtschaftsauskunftei Schufa ist die Zahl sogenannter Negativmeldungen zuletzt deutlich gestiegen.
„Wir sehen einen Anstieg von 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr“, sagte Schufa-Chefin Tanja Birkholz am Dienstagabend vor Journalisten. Das gilt für die vergangenen acht Wochen gegenüber demselben Zeitraum 2021. Im Gesamtjahr 2021 gab es vergleichsweise geringe Zahlungsprobleme. Gegenüber 2019, also vor der Coronakrise, beträgt das Plus aktuell fünf Prozent.
Ein negativer Schufa-Eintrag entsteht, wenn Kreditnehmer offene Forderungen nicht begleichen und es zu einem gerichtlichen Mahnverfahren kommt. Will ein Verbraucher einen Kredit abschließen, ein Auto kaufen oder eine Wohnung mieten, machen Banken, Einzelhändler oder Vermieter in der Regel einen Bonitätscheck bei der Auskunftei, die 1927 als „Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung“ gegründet wurde. Laut Birkholz gibt es täglich 300.000 Bonitätsanfragen, an Spitzentagen sogar eine Million.
„Was wir feststellen, ist, dass es den Menschen zunehmend schwerfällt, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten“, hatte Birkholz schon auf dem Banken-Gipfel des Handelsblatts gesagt. „Da braut sich etwas zusammen“, wiederholte sie nun ihre Warnung.
Die Zahl der Kreditanfragen ist gemäß Schufa-Daten binnen eines Jahres um 16 Prozent gestiegen. Die abgeschlossenen Kreditverträge nahmen um acht Prozent zu. In der Differenz zeigt sich: Diese Verbraucher haben keinen Kredit bewilligt bekommen.
Bankauszug mit negativem Kontostand
Angesichts der aktuellen Preissteigerungen kommt ein Teil der Haushalte in Deutschland an seine finanziellen Grenzen.
Bild: dpa
„Die Relation verschlechtert sich“, sagte die frühere Commerzbank-Managerin. Es komme nun darauf an, wie die staatlichen Maßnahmen wirken würden.
Angesichts der aktuellen Preissteigerungen – gerade auch bei Grundnahrungsmitteln – kommt ein Teil der Haushalte in Deutschland an seine finanziellen Grenzen. Im September lag die Inflation bei zehn Prozent.
Warnungen vor deren Folgen gibt es seit einigen Wochen. Die Zunahme der Schufa-Meldungen ist nun ein erster handfester Hinweis, dass mehr Menschen ihre Aufwendungen nicht bestreiten können.
Das zeigt sich auch bei einer speziellen Kreditform: Einige Kreditinstitute registrieren, dass vermehrt Kunden den Dispokredit nutzen. Er wird in der Regel beim Girokonto eingeräumt, ist aber mit hohen Zinsen verbunden.
In einer Handelsblatt-Umfrage unter 15 großen Privat- und Genossenschaftsbanken sowie Sparkassen erklärten sechs Geldhäuser, dass die Inanspruchnahme des Dispos zumindest leicht oder vereinzelt höher sei als zuvor, wobei der Dispo seit Ausbruch der Coronapandemie generell relativ wenig genutzt wurde.
Sieben Banken stellten indes keine Veränderungen bei der Disponutzung fest. Nicht alle befragten Banken machten Angaben dazu.
Die meisten der befragten Geldhäuser melden weitaus weniger Einlagenzuflüsse als im Vorjahr. Teils ist der Zuwachs eingebrochen oder stagnierte zuletzt sogar.
Die Kreissparkasse Köln beispielsweise erklärte: „Die Einlagenzuwächse unserer Privatkunden liegen bis Ende August 2022 deutlich unterhalb der Entwicklung im Vorjahr. Auch ist die Inanspruchnahme der Dispositionskredite in den letzten Monaten kontinuierlich angezogen. Beides deutet darauf hin, dass das frei verfügbare Einkommen der Privathaushalte sinkt.“
Zahlen der bundesweit 360 Sparkassen hatten bereits darauf hingewiesen, dass ein Teil der Deutschen seine Ersparnisse aufzehrt. Die Guthaben der Kunden erhöhten sich im ersten Halbjahr 2022 lediglich noch um 600 Millionen Euro. Die Sparkassen sind Marktführer im Geschäft mit privaten Kunden.
Die Krise und der Wohlstandsverlust kommen in der Mittelschicht an, die bislang nicht gewohnt war, Transferleistungen in Anspruch zu nehmen, und das zum Teil sogar abgelehnt hat. Helmut Schleweis, Sparkassenpräsident
Im gleichen Zeitraum 2021 waren den Sparkassen noch 25 Milliarden Euro zugeflossen – daraus ergibt sich jetzt ein Rückgang um 98 Prozent. Im ersten Halbjahr 2020 hatten die Mittelzuflüsse sogar noch bei fast 30 Milliarden Euro gelegen. Während der Coronakrise waren die Einlagen besonders stark angeschwollen, weil viele Menschen sicherheitshalber und aufgrund der geltenden Beschränkungen mehr gespart hatten.
Sparkassenpräsident Helmut Schleweis fürchtet, dass künftig 60 Prozent der deutschen Haushalte mit ihren monatlichen Einkommen ihre Ausgaben nicht mehr bestreiten können – oder sogar ins Minus rutschen. Das bedeute, dass auch Menschen mit einem Haushaltsnettoeinkommen von 3600 Euro betroffen sind, rechnete er kürzlich vor. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung verweist darauf, dass allerdings schon zuvor fast 40 Prozent der Menschen in Deutschland kein nennenswertes Vermögen hatten und nicht systematisch sparen konnten.
Der Chef des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) schließt nicht aus, dass der Kreis der Betroffenen künftig größer wird. „Die Krise und der Wohlstandsverlust kommen in der Mittelschicht an, die bislang nicht gewohnt war, Transferleistungen in Anspruch zu nehmen, und das zum Teil sogar abgelehnt hat.“
Diese Woche hatte auch das Bundesverbraucherschutzministerium Alarm geschlagen. „Wir sehen mit Sorge, dass die gestiegenen Preise auch die Überschuldungsrisiken insbesondere für einkommensschwächere Haushalte erhöhen können und auch Privatinsolvenzen zunehmen könnten.“
Im Falle einer Überschuldung können Schuldner den Forderungen ihrer Gläubiger weder mit ihrem Vermögen noch mit erwartetem Einkommen nachkommen. Als Privatperson kann man in dieser Situation Privatinsolvenz anmelden.
Auch bei der Baufinanzierung wird große Zurückhaltung deutlich. Die Nachfrage nach privaten Immobilienkrediten habe in den vergangenen Monaten „merklich nachgelassen“, sagt der baden-württembergische Sparkassenpräsident Peter Schneider am Mittwoch. Sie sei in den vergangenen Tagen teilweise fast zum Stillstand gekommen. „Für viele Haushalte stellen sich zunehmend existenzielle Fragen.“
Zuletzt war die Schufa wegen eines Bieterwettstreits in die Schlagzeilen geraten, den Volksbanken und Sparkassen zu ihren Gunsten entschieden haben. So stockten Sparkassen und Genossenschaftsbanken ihren Anteil an der Schufa auf mehr als 50 Prozent auf. Sie halten zusammen knapp 55 Prozent an der Auskunftei und verhindern damit, dass der schwedische Finanzinvestor EQT die Kontrolle beim Wiesbadener Unternehmen übernimmt.
Ende Juni war bekannt geworden, dass die Genossenschaftliche Finanzgruppe ihren Anteil an der Wirtschaftsauskunftei von 20,5 auf 27,2 Prozent ausgebaut hatte. Die deutschen Sparkassen haben ihren Anteil an der Schufa nur leicht erhöht. Sie halten nun 27,3 Prozent an dem Datendienstleister.
EQT hatte im Herbst 2021 mit der französischen Großbank Société Générale vereinbart, deren Beteiligung von zehn Prozent an der Schufa zu übernehmen, und wollte darüber hinaus weitere Anteile aufkaufen. Der Wert der Schufa wurde damals auf zwei Milliarden Euro taxiert. Sparkassen und Genossenschaftsbanken haben als Bestandsaktionäre jedoch Vorkaufsrechte für die Beteiligung der französischen Großbank – und haben diese nun zumindest teilweise genutzt.
Im vergangenen Jahr stieg der Umsatz der Schufa um neun Prozent auf 249 Millionen Euro. Die Schufa erhält von Kreditinstituten und Händlern eine Art Gebühr, wenn diese Auskünfte über die Bonität von Darlehensnehmern einholen.
Der Jahresüberschuss erhöhte sich von 45 Millionen Euro auf 48 Millionen Euro. Als Ausschüttung an die Eigentümer sind laut Jahresabschluss gut 41 Millionen Euro vorgesehen.
Kritik an der Schufa entzündet sich bisher immer wieder daran, dass Verbraucherinnen und Verbraucher nicht verstehen, wie ihr sogenannter Score-Wert bei der Schufa genau zustande kommt. Daher gibt es die Forderung, dass die Firma hier transparenter wird.
Die Schufa hat mittlerweile angekündigt, dass sie Entstehen und Zusammensetzung des Score-Werts deutlicher machen will. „Wir müssen uns ändern“, sagte Birkholz. Für das Jahr 2024 kündigte die Firmenchefin eine Smartphone-App an, mit deren Hilfe man den eigenen Schufa-Score simulieren kann, zum Beispiel wenn man zusätzlich Verträge oder neue Kredite dort angibt.
Erstpublikation: 05.10.22, 14:12 Uhr.
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