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16.02.2023

12:23

Wirecard-Prozess

Wie Markus Braun die letzten Tage vor der Insolvenz erlebte

Von: Christian Schnell, Michael Verfürden

Der ehemalige Wirecard-Chef weist in seiner Aussage vor Gericht auch am Donnerstag alle Vorwürfe zurück – und begründet, warum Vorstand Jan Marsalek vor der Ablösung gestanden habe.

Der frühere Wirecard-Vorstandschef sieht sich im größten Betrugsfall der deutschen Wirtschaftsgeschichte als Opfer. dpa

Markus Braun

Der frühere Wirecard-Vorstandschef sieht sich im größten Betrugsfall der deutschen Wirtschaftsgeschichte als Opfer.

München Der langjährige Wirecard-Vorstandschef Markus Braun hat im Prozess um den milliardenschweren Betrugsskandal erneut alle Vorwürfe zurückgewiesen. Richter Markus Födisch brachte Braun am Donnerstag jedoch mehrfach in Bedrängnis und warf ihm vor, seinen Fragen auszuweichen: „Sie haben nun in sehr vielen Worten das Gleiche wie vorher gesagt, nämlich gar nichts.“

Födisch konfrontierte Braun beim Prozess vor dem Landgericht München unter anderem mit Aussagen aus seinen Vernehmungen. Der ehemalige Wirecard-Chef hatte sich gegenüber Ermittlern etwa als Kapitän bezeichnet, der nicht kommen sah, dass sein Schiff „auf einen Eisberg“ zusteuerte. Födisch interpretierte dieses Sprachbild so, dass Braun eine Straftat eingeräumt hat.

Braun bemühte sich um Einordnung. „Innerhalb von sieben Tagen ist meine Welt komplett zusammengebrochen. Ich musste zutreffend für mich prüfen, ob mir etwas entgangen war“, sagte der Manager. Seine Aussagen seien ein authentischer Einblick in seine damalige Emotionalität gewesen. Heute habe er „einen klareren Blick auf das, was passiert ist, und würde es auch anders formulieren“.

Braun sei nun auch klar, dass es unterschiedliche Faktoren gegeben habe, wieso Probleme nicht entdeckt worden seien. Dennoch gab der Manager zu: „Ich habe die Gleichung falsch gelesen, in dem Sinne habe ich versagt.“ Mit Fahrlässigkeit habe all das aber nichts zu tun. Braun: „Es ist nie zu mir eskaliert worden, dass aus den Konten Geld geflossen ist. Ich hätte es damals nicht für möglich gehalten, dass mir so was passiert.“

Wirecard war im Juni 2020 in die Insolvenz gerutscht, nachdem der Konzern zugeben musste, dass ein angebliches Milliardenvermögen auf Treuhandkonten nicht auffindbar war. Braun sitzt seit mehr als zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Untreue, Bandenbetrug, Bilanzfälschung und Marktmanipulation vor.

Wirecards ehemaliger Dubai-Statthalter hat seinen Ex-Chef Markus Braun schwer belastet. dpa

Oliver Bellenhaus

Wirecards ehemaliger Dubai-Statthalter hat seinen Ex-Chef Markus Braun schwer belastet.

Vor Gericht verantworten müssen sich neben Braun auch der ehemalige Chefbuchhalter Stephan von Erffa und Oliver Bellenhaus, einst Wirecard-Statthalter in Dubai. Bellenhaus kommt dabei eine Doppelrolle zu: Er ist nicht nur Angeklagter, sondern auch der Kronzeuge, auf den die Ermittler ihre Vorwürfe stützen. Bellenhaus hat Braun schwer belastet.

Am Donnerstag wehrte sich der frühere Wirecard-Chef zunächst gegen den Vorwurf der Marktmanipulation. Unternehmen müssen ihre Aktionäre mit Mitteilungen unverzüglich über Ereignisse informieren, die eine erhebliche Auswirkung auf den Aktienkurs haben könnten. Die Staatsanwaltschaft wirft Braun vor, mit einer solchen Ad-hoc-Mitteilung irreführende Signale gesendet zu haben.

Konkret geht es dabei um die KPMG-Sonderprüfung, die Wirecard im Oktober 2019 in Auftrag gegeben hatte. Die Prüfer monierten in ihrem Bericht an den Aufsichtsrat, dass KPMG keinen Beleg dafür finden konnte, dass Wirecards angeblich besonders ertragreiches Drittpartnergeschäft wirklich existierte. Die Drittpartner wickelten angeblich Geschäfte ab, für die der Konzern keine eigene Lizenz besaß.

Wirecard schrieb als zentrale Aussage in seiner Ad-hoc-Mitteilung vom 22. April: KPMG habe keine Belege für die öffentlich erhobenen Vorwürfe der Bilanzmanipulation gefunden – und auch sonst nichts, was eine Korrektur der Jahresabschlüsse nötig mache. Die Staatsanwaltschaft ist der Auffassung, diese vermeintlich positive Nachricht könnte Anleger in die Irre geführt haben.

„Mein Kenntnisstand war, die Ad-hoc ist innerhalb des Spielfelds“

Braun hingegen bestreitet, die Kapitalmärkte getäuscht zu haben. „Mein Kenntnisstand war, die Ad-hoc ist innerhalb des Spielfelds“, sagte Braun. Er betonte, dass er die von ihm veranlasste Mitteilung „natürlich rechtlich abgestimmt“ habe. KPMG-Prüfer Sven-Olaf Leitz habe die Ad-hoc-Mitteilung seiner Darstellung nach ebenfalls „im Ermessensspielraum des Vorstands“ gesehen.

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Er verwies auf Nachfrage des Gerichts auch auf eine Abstimmung mit dem damaligen Aufsichtsratschef Thomas Eichelmann, der nicht interveniert habe. Tatsächlich hatte dieser Braun jedoch vorgeworfen, nicht einmal die vom Aufsichtsrat „als Mindestinhalt bezeichneten Informationen“ abgebildet zu haben. Eichelmann ermahnte Braun, „dringend und mit rechtlichem Beistand zu prüfen“, ob die Mitteilung einer „sofortigen Korrektur“ bedürfe. Das zeigen Mails, die dem Handelsblatt vorliegen. Brauns Antwort an Eichelmann: „Wir hören hier gerne Euren Rat, bitten Euch aber die Kompetenzverteilung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat zu berücksichtigen.“

Braun wiederholte am Donnerstag auch seine Meinung zum umstrittenen Drittpartnergeschäft. „Ich bin weiter überzeugt, dass es das Geschäft gegeben hat, und es muss geklärt werden, wo das hingeflossen ist“, sagte er. Das sollte mit einer forensischen Untersuchung geschehen. Man müsste nun „einmal sauber ermitteln, wieviel ist davon wieder holbar“. Braun jedenfalls sei der Überzeugung, dass „es die Gelder gegeben hat“ – sie seien lediglich nicht angekommen.

Der ehemalige Konzernchef betonte, dass er wenige Wochen vor dem Wirecard-Kollaps sogar noch Personalberater beauftragt hatte, Vorstände für den Vertriebsbereich und die Organisation zu suchen. Er präsentierte anhand von Mails auch die Namen externer und interner Kandidaten, die damals in der engeren Auswahl gewesen seien.

„Ich hatte das Gefühl, dass Marsalek bemüht ist, die Prüfung voranzubringen“

Ihm sei es dabei auch um die Zukunft des flüchtigen Ex-Vorstands Jan Marsalek gegangen, so Braun. Marsalek habe sich seinem Eindruck nach angestrengt, die Prüfungsanforderungen von KPMG zu erfüllen: „Ich hatte das ernsthafte Gefühl, dass Marsalek extrem bemüht ist, die Prüfung voranzubringen.“

Gleichzeitig führte Braun aber auch an, dass Marsaleks Tage im Vorstand von Wirecard zu dieser Zeit bereits gezählt gewesen seien. Marsalek sollte eine Platzhalterrolle als Vorstand Business Development bekommen, sobald die Personalberater einen Ersatz gefunden hätten, so Braun. „Mir hat Marsalek auch leidgetan, weil ich wusste, dass er keine Zukunft hat. Es war klar, dass sein Vertrag nicht verlängert wird.“

Marsalek habe Platz machen müssen, weil er keine Strukturanpassung im Konzern veranlasst habe. „Und er hat zu lange auf Partner gesetzt, die dem Niveau eines Dax-Konzerns nicht angemessen waren“, sagte Braun.

Auch für sich persönlich habe er eine Halbwertszeit gesehen: „Ich hatte nicht vor, noch zehn Jahre in der Position als CEO zu bleiben.“

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