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13.10.2022

17:10

IFRS 17

Neue Bilanzregeln: Versicherer hoffen auf höhere Bewertung am Aktienmarkt

Von: Susanne Schier

Ab 2023 gelten für Versicherungsunternehmen neue Bilanzierungsregeln. Laut Talanx-Finanzvorstand Jan Wicke werden die Zahlen dadurch verständlicher, führen zunächst aber zu mehr Unsicherheit.

Der neue Bilanzierungsstandard soll höhere Bewertungen am Aktienmarkt ermöglichen. IMAGO/sepp spiegl

Talanx-Finanzvorstand Jan Wicke

Der neue Bilanzierungsstandard soll höhere Bewertungen am Aktienmarkt ermöglichen.

Frankfurt Nach langer Vorbereitungszeit tritt im nächsten Jahr der neue Rechnungslegungsstandard IFRS 17 für Versicherer in Kraft. Dadurch wird es zu deutlichen Veränderungen in den Bilanzen der betroffenen Konzerne kommen. „Investoren und Analysten werden daher voraussichtlich eine Zeit lang unsicher sein, wenn sie auf unsere Zahlen schauen“, sagte Talanx-Finanzvorstand Jan Wicke bei einem Pressegespräch.

Man glaube aber, dass die Zahlenwerke für Anleger transparenter und besser verständlich werden. „Die Unterbewertung von Versicherer-Aktien wird sich dadurch aufheben“, ist Wicke überzeugt.

Welche Auswirkungen sich konkret auf die Bilanz sowie Gewinn-und-Verlust-Rechnung ergeben, will die Talanx beim Kapitalmarkttag am 6. Dezember bekannt geben. Auch andere Versicherer, die die internationalen Bilanzierungsregeln anwenden, stellen die Öffentlichkeit nun nach und nach auf die Neuerungen ein. Die Zurich Insurance Group versuchte, die Investoren vor Kurzem mit der Aussage zu beruhigen, dass sich am Geschäft und der Dividendenpolitik des Konzerns nichts ändern werde.

IFRS 17 regelt die Bilanzierung von Versicherungsverträgen, also ihre Erfassung, Bewertung und den Ausweis im Geschäftsbericht. Über die konkrete Ausgestaltung des Standards wurde jahrelang diskutiert, die Einführung schließlich nach hinten verschoben.

Aktiv- und Passivseite folgen ähnlicheren Regeln

Das Regelwerk ersetzt den bisherigen Standard IFRS 4 und soll nun zum 1. Januar 2023 in Kraft treten. Die Talanx beispielsweise wird den Geschäftsbericht 2022 noch nach den alten Regeln erstellen, zugleich aber darstellen, was sich künftig ändern wird. Im ersten Quartal 2023 kommt dann erstmals IFRS 17 zur Anwendung.

Eine Verbesserung erhofft sich Talanx-Finanzvorstand Wicke vor allem durch eine konsistentere Aufbereitung von Aktiv- und Passivseite der Bilanz. Was er damit meint, lässt sich gut am Zinsanstieg des vergangenen Jahres erklären: Versicherer mussten bei etlichen Finanzanlagen, die im aktuellen Marktumfeld an Wert verloren haben, geringere Werte ansetzen. Die Schadenrückstellungen blieb dagegen weitgehend starr. In der Folge sank das bilanzielle Eigenkapital.

Künftig müssen die Versicherer auch die Schadenrückstellungen an die Marktgegebenheiten anpassen. Es wird so berücksichtigt, wann ein Versicherer für den Schaden voraussichtlich einstehen muss. Dadurch bleibt dann das Eigenkapital im Zeitverlauf stabiler.

Erwartete Gewinne in der Lebensversicherung müssen zudem künftig stärker über die Laufzeit des Vertrags verteilt werden. Ein Teil darf dann nicht mehr im Eigenkapital, sondern muss in eine neue Position – den sogenannten Gewinnspeicher (Contractual Service Margin, CSM) – eingestellt werden. Wenn hochverzinste Altverträge Verluste bringen, wird das deutlicher sichtbar. Zum Umstellungszeitpunkt dürfte daher das Eigenkapital bei einigen Versicherern sinken.

Umstellen müssen sich Anleger auch beim Blick auf die Gewinn-und-Verlust-Rechnung. Nach IFRS 17 werden keine Bruttoprämien mehr ausgewiesen, sondern ein Versicherungsumsatz. Das bedeutet beispielsweise, dass der in Lebensversicherungsverträgen enthaltene Sparanteil herausgerechnet wird. Der Umsatz wird also niedriger ausfallen als die bisherigen Bruttoprämien.

Analysten sind geteilter Meinung

„Wichtig ist, dass sich nicht unsere Profitabilität oder unsere Finanzstärke ändert, sondern nur die Darstellung“, betonte Wicke. Ob diese neue Darstellung tatsächlich zu einer höheren Bewertung am Aktienmarkt führt, darüber sind Analysten noch geteilter Meinung, wie die Experten der Privatbank Berenberg vor Kurzem in einer Studie darstellten.

Auf der einen Seite führe das geringere bilanzielle Eigenkapital bei einem nahezu gleichbleibenden Nettoergebnis zu einer höheren Eigenkapitalrendite (RoE). „Das wird zeigen, dass die Versicherer – anders als häufig angenommen – mit relativ wenig Kapital solide Gewinne erwirtschaften.“

Auf der anderen Seite ändere sich durch die höhere Eigenkapitalrendite nicht die Ausschüttung an die Aktionäre, da die Versicherer nur die Bilanzierung ändern und keine höhere Dividende bezahlen.

Trotz der Vorteile, die sich die Versicherer erhoffen, ist die Umstellung mit einem großen Aufwand verbunden, wie auch Talanx-Finanzvorstand Wicke noch einmal betonte. Laut einer Umfrage der Beratungsfirma WTW aus diesem Sommer erwarten nur 40 Prozent von 26 multinationalen Gruppen, dass sie das neue Regelwerk detailliert und fristgerecht implementieren könnten. Von den übrigen befragten 244 Versicherern gingen sogar 80 Prozent davon aus, dass die rechtzeitige Einführung nur durch signifikante Vereinfachungen oder ohne tiefes Verständnis der Zahlen möglich sei.

In Deutschland gibt es unterdessen nur wenige IFRS-Bilanzierer unter den Versicherern. Die Umstellung betrifft vor allem die großen, börsennotierten Konzerne wie Talanx, Allianz und Munich Re sowie wenige weitere Versicherer.

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