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24.01.2023

11:04

Mehr Insolvenzen

Allianz-Trade-Deutschlandchef spricht von Normalisierung

Von: Christian Schnell, Susanne Schier

Der Chef des weltgrößten Kreditversicherers beobachtet eine sinkende Zahlungsmoral von Unternehmen, Insolvenzen nehmen zu. Den deutschen Mittelstand hält er aber für krisenfest.

Allianz Trade bereitet den Einzelhandel auf ein weiteres schwieriges Jahr vor. dpa

Geschäftsschließung

Allianz Trade bereitet den Einzelhandel auf ein weiteres schwieriges Jahr vor.

München, Frankfurt Es sind Zahlen, die auf den ersten Blick erschrecken: 16 Prozent mehr Insolvenzen soll es in diesem Jahr geben, nominal beträfe das 17.000 Unternehmen. 2024 soll die Zahl noch einmal um sechs Prozent nach oben gehen. Mehr als 18.000 weitere Unternehmen könnten dann in Deutschland pleitegehen. So lautet die Prognose von Allianz Trade, dem Kreditversicherer der Allianz.

„Wir sehen darin aber keine Pleitewelle, sondern eher eine Normalisierung“, sagt Milo Bogaerts, seit einem Jahr Vorstandschef von Allianz Trade für die Region Deutschland, Österreich und Schweiz, im Gespräch mit dem Handelsblatt. Schließlich lagen die Insolvenzzahlen bis zum Ausbruch der Coronapandemie auf dem tiefsten Stand seit den 1990er-Jahren und steigen erst seither. Auch das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) schrieb kürzlich, die deutschen Insolvenzzahlen seien im langfristigen Vergleich weiterhin niedrig.

Das liegt nicht zuletzt an den staatlichen Unterstützungsprogrammen seit Ausbruch der Coronapandemie. „Bis 2023 sind etwa 2600 Unternehmen in Deutschland vor der Pleite bewahrt worden“, beziffert Bogaerts. In ähnlichen Phasen in der Vergangenheit habe es deutlich mehr Insolvenzen gegeben.

Die Allianz-Tochter Allianz Trade – früher bekannt unter dem Namen Euler Hermes – ist mit einem Marktanteil von rund einem Drittel Weltmarktführer in der Absicherung von Warenkrediten. Die vergangenen Jahre mit Pandemie, dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine, einer rasant gestiegenen Inflation und hohen Energiepreisen waren dabei besonders herausfordernd.

Risiken mussten teils völlig neu oder anders bewertet werden, weil die Schäden massiv gestiegen waren. Der Branchenverband der Versicherer, GDV, verzeichnete Ende vergangenen Jahres bereits einen Anstieg der Schäden in der Waren- und Kautionsversicherung um etwa die Hälfte auf knapp 700 Millionen Euro.

Krisenfester als die europäische Konkurrenz

In diesem Jahr wachsen die Gefahren für Unternehmen weiter, wenn auch in anderen Bereichen. Kürzlich hat der ebenfalls zur Allianz gehörende Industrieversicherer AGCS sein Barometer zu den wichtigsten Geschäftsrisiken in diesem Jahr vorgestellt. Deutsche Unternehmen fürchten demnach am häufigsten eine Betriebsunterbrechung, es folgen die Sorgen vor Cybervorfällen und der Energiekrise.

Grafik

Zudem wächst die Angst vor einer anhaltend hohen Inflation und einer möglichen Rezession. Die Pandemie hingegen kommt in den Top Ten der größten Gefahren nicht mehr vor. Auch Naturkatastrophen und Klimawandel fallen in dem weltweit durchgeführten Ranking zurück.

Bogaerts sieht in der aktuellen Situation die größten Herausforderungen für Deutschland seit der Nachkriegszeit. Nun zahle sich aus, dass die deutsche Wirtschaft gut aufgestellt sei. Vor allem der solide finanzierte Mittelstand stehe robust gegen die Vielzahl an externen Störungen. Daher drohe Deutschland keine Insolvenzwelle.

„Deswegen rechnen wir in Deutschland nicht mit einer tiefen Rezession, sondern mit einem leichten Schrumpfen der Wirtschaft um 0,7 Prozent in diesem Jahr“, sagt Bogaerts. Das sei keine Hiobsbotschaft, so der Niederländer, aber auch eine milde Rezession bleibe eine Rezession. Für 2024 prognostiziert er der deutschen Wirtschaft wieder ein leichtes Wachstum um 0,6 Prozent.

Auch in den Niederlanden, in Schweden und in Norwegen bewegen sich die Insolvenzen unter dem Niveau vor Ausbruch der Coronapandemie. Schwerer haben es Allianz Trade zufolge Unternehmen im benachbarten Ausland. So sind in Frankreich und Großbritannien die Insolvenzahlen bereits deutlich höher als hierzulande. Weltweit rechnet der Kreditversicherer mit einem Anstieg der Unternehmenspleiten um rund 20 Prozent in diesem Jahr.

Der Allianz-Trade-Manager beobachtet, dass Unternehmen weltweit immer später ihre Rechnungen zahlen.

Milo Bogaerts

Der Allianz-Trade-Manager beobachtet, dass Unternehmen weltweit immer später ihre Rechnungen zahlen.

Für die besonders exportabhängige deutsche Wirtschaft sind das Alarmzeichen. Denn in wirtschaftliche Schieflage geratene Partnerunternehmen belasten auch deutsche Firmen.

„Insgesamt ist die Zahlungsmoral schlechter geworden“, beobachtet Bogaerts. Während in Deutschland Rechnungen nach 54 Tagen und damit nur zwei Tage später als im Referenzjahr 2008 bezahlt werden, müssen Unternehmen in anderen Ländern länger auf ihr Geld warten.

Weltweit wurden Rechnungen zwischen 2008 bis 2021 im Schnitt nach 57 Tagen bezahlt. Im Krisenjahr 2022 hat die Zahlungsmoral noch einmal abgenommen. Bis zum dritten Quartal wurden Rechnungen laut Allianz Trade sieben Tage später bezahlt als im Vorjahr.

Einen solchen Anstieg hat es in den vergangenen 13 Jahren nicht gegeben. „Generell beobachten wir, dass Unternehmen, die Zahlungsziele immer ausreizen, auch die ersten sind, bei denen Zahlungen ganz ausfallen“, sagt Bogaerts. Besonders in Süd- und Osteuropa würden Zahlungsziele ohnehin flexibler gehandhabt als in Deutschland.

Baugewerbe besonders oft im Zahlungsrückstand

Große Unterschiede gibt es auch zwischen den einzelnen Branchen. So hat vor allem die Zahlungsmoral im Baugewerbe vergangenes Jahr weltweit stark abgenommen (zehn Tage länger bis Rechnungszahlung), im Bereich Elektronik (plus neun Tage), bei Hotels und Gastronomie sowie bei Haushaltswaren (jeweils plus sieben Tage). Im Gegenteil dazu zahlen Finanzdienstleister ihre Rechnungen inzwischen gar zwei Wochen früher, bei Computer- und IT-Unternehmen sind es drei Tage, bei Energiefirmen zwei Tage.

Grund dafür, dass Unternehmen die Begleichung ihrer Rechnungen aufschieben, sind vor allem die massiv gestiegenen Öl-, Gas- und Strompreise, die sie stark belasten. Gerade die energieintensiven Branchen wie die Metall- oder Papierindustrie spüren dies besonders.

Vielen Firmen helfe nun der finanzielle Puffer, den sie in den Jahren davor aufgebaut hätten, so die Einschätzung von Allianz Trade. Das löse aber nicht das grundsätzliche Problem. „Die Energiekrise ist der größte Schock für die Profitabilität der Unternehmen, besonders in Europa“, warnt Ludovic Subran, Chefvolkswirt der Allianz.

Für den Abschluss einer Kreditversicherung seien all dies jedoch nur allgemeine Indikatoren. Grundsätzlich schaue sich Allianz Trade jedes Unternehmen individuell an, bevor man ein Geschäft abschließe, erklärt Deutschlandchef Bogaerts. Dafür sei egal, aus welchem Land der Kunde oder die Kunden des Kunden kämen.

Gestiegene Risiken würden für Allianz Trade generell mehr Neugeschäft bedeuten. Denn deutsche Exporteure suchten verstärkt nach Absicherung. „Wenn Zahlungen später kommen, wollen sich Kunden häufig dagegen absichern“, so der Allianz-Trade-Manager.

Für Unternehmen im Privatkundengeschäft bringt die Inflation eine weitere Herausforderung, da Menschen weniger Geld ausgeben können. „Bei den meisten Waren mit Ausnahme der Lebensmittel wird man weiterhin eine große Kaufzurückhaltung sehen“, prognostiziert Bogaerts dem Einzelhandel. Wie bisher schon dürften auch in diesem Jahr viele Kleinstunternehmen darunter leiden.

Aber auch große Handelsketten, die es verpasst hätten, sich zukunftsfähig aufzustellen, könne es wieder treffen. Im vergangenen Jahr mussten unter anderem die Kaufhauskette Galeria und der Schuhhändler Görtz Insolvenz anmelden.

Für das gerade angelaufene Jahr prognostiziert man bei Allianz Trade einen leichten Rückgang der Inflation in Deutschland auf 6,8 Prozent, ehe es 2024 mit 2,4 Prozent beinahe wieder auf Normalniveau gehe. Immerhin zeichneten sich bei den Lieferketten durch die allmähliche Öffnung des chinesischen Marktes leichte Fortschritte ab. „Auch wenn der Neustart holprig verläuft, ist das mittelfristig gut für den Welthandel und wird zu einer Entspannung bei den Lieferketten führen“, erwartet Bogaerts.

Erstpublikation: 22.01.2023, 12:30 Uhr.

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