Der Versicherer hat im vergangenen Jahr operativ so viel verdient wie noch nie. Das Debakel um fehlgeschlagene Hedgefonds-Strategien in den USA belastet trotzdem wesentliche Kennzahlen.
Allianz im Bilanzcheck
Beim operativen Geschäft läuft es für den Versicherer rund.
Bild: Getty Images (M)
München, Frankfurt Es könnte ein Schaulaufen mit zahlreichen Dankesworten werden, gäbe es da nicht einen großen Makel. Wenn Allianz-Chef Oliver Bäte am ersten Mittwoch im Mai vor seine Aktionäre tritt, dann überschattet das milliardenschwere Debakel in den USA den Rekordgewinn vom vergangenen Jahr und die kräftig steigende Dividende.
Zahlreiche kritische Fragen dürften Management und Aufsichtsrat dazu beantworten müssen, zumal das ganze finanzielle Ausmaß noch immer nicht abschätzbar ist.
Hedgefonds-Manager der Tochter Allianz Global Investors (AGI) in Florida hatten institutionellen Kunden mit sogenannten Structured-Alpha-Produkten über Jahre hohe Renditen mit vermeintlich sicheren Anlagen versprochen. Doch mit dem Ausbruch der Coronapandemie vor zwei Jahren türmten sich teils schwere Verluste auf. Nun drohen hohe Straf- und Entschädigungszahlungen.
Mit der Vorlage der Bilanz im Februar buchte die Allianz eine Rückstellung von 3,7 Milliarden Euro für das vierte Quartal 2021 und verglich sich mit mehreren Großinvestoren. In welcher Höhe weitere Belastungen dazukommen, hängt vor allem von den US-Behörden ab, deren Strafmaß momentan noch nicht absehbar ist.
Bei der Hauptversammlung wird Bäte dennoch versuchen, das Augenmerk vor allem auf das operative Geschäft zu lenken. Denn hier läuft es rund – trotz Ukrainekrieg, Naturkatastrophen und anhaltender Coronapandemie. Die Allianz im Handelsblatt-Bilanzcheck:
Seit diesem Jahr gilt der neue Strategieplan „Simplicity at Scale“, den das Management Anfang Dezember den Investoren vorstellte. Höhere Gewinnsteigerungen, eine stetig wachsende Dividende sowie ein Ausbau der Positionierung in den drei Kernsparten Sach- und Lebensversicherung sowie in der Vermögensverwaltung stehen in den drei Jahren bis 2024 im Vordergrund. Im abgelaufenen Jahr gab noch die Vorgängerstrategie „Simplicity wins“ die Richtung vor.
Vor allen in den Finanzzielen sind die Spuren der Belastungen in den USA zu erkennen. Das Ergebnis je Aktie sank 2021 im Vorjahresvergleich um 3,2 Prozent auf 15,96 Euro. Im ersten Coronajahr 2020 standen an dieser Stelle noch 16,48 Euro je Aktie. Das im Strategieplan gesetzte Ziel, den Gewinn je Aktie in jedem Jahr zwischen 2019 und 2021 um mindestens fünf Prozent zu steigern, wurde damit klar verfehlt.
Oliver Bäte
Der Allianz-Chef wird bei der Hauptversammlung versuchen, den Blick auf das operative Geschäft zu richten.
Bild: Reuters
Die Coronapandemie, die zum Zeitpunkt der Planung nicht absehbar war, führte zwar bei anderen Konzernen ebenfalls zu verpassten Zielen. Für die Auswirkungen des Structured-Alpha-Desasters ist der Konzern indes selbst verantwortlich.
Die Folgen zeigen sich auch in der Eigenkapitalrendite. Das Ziel von 13 Prozent wurde erneut nicht erreicht. 10,6 Prozent waren es 2021 nach 11,4 Prozent ein Jahr davor.
Besser sieht es bei weichen Zielen aus. Der Inclusive-Meritocracy-Index (IMIX), der die Führungs- und Leistungskultur misst und dessen Wert im Rahmen der jährlichen Mitarbeiterumfrage ermittelt wird, lag 2021 genauso wie im Vorjahr bei 78 Prozent und damit über dem Zielwert von mindestens 73 Prozent. Noch besser sah es beim Net Promoter Score (NPS) aus, der über die Kundenzufriedenheit Auskunft gibt. Mit 84 Prozent hat der Wert die 79 Prozent aus dem Jahr 2020 und auch das einst ausgerufene Ziel von 75 Prozent übertroffen.
Das zweite Coronajahr hat die Einbrüche aus den Anfängen der Pandemie wettgemacht. Der Umsatz wuchs 2021 um 5,7 Prozent auf 148,5 Milliarden Euro. Sowohl im Versicherungsgeschäft als auch in der Vermögensverwaltung gab es trotz Lockdown und fehlenden Direktkontakts zu den Kunden erhebliche Zuwächse. Das operative Ergebnis erreichte mit 13,4 Milliarden Euro sogar einen Rekordwert. Im Vorjahr standen noch 10,8 Milliarden Euro zu Buche.
Das operative Kapitalanlageergebnis wuchs im vergangenen Jahr deutlich auf 25,1 Milliarden Euro, nachdem es noch 2020 um 220 Millionen Euro auf 23,6 Milliarden Euro abgesackt war. Der Zuwachs war laut Geschäftsbericht vor allem auf erheblich geringere Wertminderungen zurückzuführen.
Während sich die milliardenschwere Rückstellung für US-Risiken in den operativen Zahlen der Allianz nicht zeigt, reduzierte sie den Jahresüberschuss um 2,8 Milliarden Euro. Der sank auf 6,6 Milliarden Euro nach 6,8 Milliarden im Jahr 2020. Ohne die Structured Alpha-Probleme hätten an dieser Stelle somit 9,4 Milliarden Euro gestanden.
Die Allianz profitiert von ihrer globalen Aufstellung und starken Diversifizierung – alle drei Hauptsparten entwickelten sich zuletzt positiv. Eine Ausnahme bildet das Geschäft in Lateinamerika, das 2021 hinter den Erwartungen zurückblieb.
Hauptgewinntreiber ist das Schaden- und Unfallgeschäft. Hier legte das operative Ergebnis 2021 um über 30 Prozent auf 5,7 Milliarden Euro zu. Das Geschäft mit Reiseversicherungen, das über die Tochter Allianz Partners läuft, zeigte sich stark erholt. Auch die Industrieversicherungstochter AGCS, die über viele Jahre ein Verlustbringer war, schrieb nach einer Sanierungsphase wieder Gewinne. Geografisch trugen Australien sowie speziell zum Jahresende der Heimatmarkt Deutschland zum Gewinnplus bei.
Als Gradmesser für den Erfolg dient die Schaden-Kosten-Quote. Die Maßzahl, die möglichst unter 100 Prozent liegen sollte, fiel im vergangenen Jahr um 2,5 Prozentpunkte auf 93,8 Prozent. Hier wollte sie Finanzvorstand Giulio Terzariol vor einem Jahr auch haben. Nun dürften die Ansprüche weiter steigen.
Auch die Lebens- und Krankenversicherung kann sich sehen lassen. Fünf Milliarden Euro verdiente die Allianz in dem Bereich. Im Neugeschäft war der Konzern mit indexgebundenen Rentenprodukten besonders in den USA erfolgreich. Wie viele Lebensversicherer hat auch die Allianz zahlreiche Altverträge mit hohen Zinsgarantien im Bestand. Für diese Altbestände sucht der Konzern aber vermehrt Lösungen – in den USA und in der Schweiz etwa durch die Absicherung über Rückversicherer. Weitere Portfolios in anderen Ländern könnten folgen, deutete Konzernchef Bäte an.
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Die Vermögensverwaltung ist die kleinste Einheit, die sich zu knapp 80 Prozent in Pimco und zu 20 Prozent in Allianz Global Investors (AGI) aufteilt. Die Negativschlagzeilen, die das Image des Konzerns belasten, wirkten sich operativ nicht aus. Das Segment verzeichnete im vergangenen Jahr einen Gewinn von fast 3,5 Milliarden Euro, ein Plus von mehr als 22 Prozent. Niemals zuvor wurde bei der Allianz so viel Geld verwaltet. Die mehr als 2,6 Billionen Euro sind knapp zehn Prozent mehr als im Jahr davor. Der wesentliche Teil entfällt auf Kundengelder, gut 700 Milliarden Euro sind Eigenanlagen der Allianz.
Die Auswirkungen des Hedgefonds-Debakels in den USA zeigen sich aber auch im freien Cashflow. Diese Maßzahl umfasst die Mittel, die ein Unternehmen nach Abzug aller Ausgaben frei zur Verfügung hat – um beispielsweise Dividenden zahlen oder Fremdkapital zurückzahlen zu können. Laut Berechnungen der Privatbank Berenberg sank der freie Cashflow 2021 von 7,3 Milliarden auf 7,2 Milliarden Euro. 2019 hatte er sogar 7,8 Milliarden Euro betragen.
Die Aktionäre bekommen den Rückgang zumindest nicht direkt zu spüren. Sie sollen eine Dividende von 10,80 Euro je Aktie erhalten und damit 12,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Im Dezember hat der Konzern zudem seine Ausschüttungspolitik angepasst.
Maßzahlen sind demnach eine Ausschüttungsquote von 50 Prozent und ein Dividendenwachstum von fünf Prozent pro Jahr – der höhere Wert soll dann an die Anteilseigner fließen. Die Ausschüttungsquote soll zwar weiterhin auf dem Jahresüberschuss basieren. Sie wird allerdings bereinigt „um signifikante außerordentliche sowie volatile Positionen“.
Das soll heißen: Wenn ein Ereignis wie die Hedgefonds-Probleme in den USA den Jahresüberschuss belasten, dann sollen die Aktionäre nicht darunter leiden müssen. Konsequenzen ergeben sich daraus für den Konzern. Der hat nun weniger Geld aus dem freien Cashflow zur Verfügung, unter anderem für mögliche Zukäufe.
Die Finanzlage der Allianz muss Aktionäre gewöhnlich nicht sorgen. Der Versicherer kann auch große Krisen wie die Pandemie oder die Probleme bei AGI verkraften.
Bis Ende des vergangenen Jahres stieg die Solvenzquote auf 209 Prozent von 207 Prozent im Jahr 2020. Die Kennzahl gibt an, inwiefern Versicherer auch in Extremsituationen ihre Verpflichtungen erfüllen können.
Auch im Jahresverlauf hielt die Allianz die Quote auf ähnlichem Niveau. Vorbei sind damit die Zeiten aus dem Jahr 2020, als die Solvenzquote zu Beginn der Pandemie auf 187 Prozent gefallen war. Doch auch dieser Wert lag über dem Ziel der Allianz, die Quote über 180 Prozent zu halten.
Weitere Lösungen für Altbestände im Lebensversicherungsbereich könnten das Solvenzkapital in der Zukunft stärken.
Größter Wettbewerber der Allianz ist die französische Axa, die nach einem coronabedingten Einbruch stark zurückgekehrt ist. Das operative Ergebnis wuchs auf 6,76 Milliarden Euro, ein Plus von fast 60 Prozent gegenüber 2020. Im Vergleich zur Allianz ist das trotzdem gerade einmal die Hälfte.
Dafür liegen die Franzosen vorne, wenn es um die Ausschüttung geht. 1,54 Euro je Aktie wollen sie für das abgelaufene Jahr ausschütten, das sind acht Prozent mehr als im Vorjahr und entspricht einer Dividendenrendite von rund sechs Prozent. Die Axa-Aktie hat sich mit einem Plus von über einem Drittel im vergangenen Jahr zudem stark entwickelt.
Das Papier der Allianz lag hier weit hinter dem Wettbewerber zurück – auch wegen Structured Alpha. Sobald das Problem gelöst ist, rechnen Analysten mit Aufholpotenzial. Die Dividendenrendite liegt bei gut fünf Prozent. Sowohl Allianz als auch Axa haben neue Aktienrückkäufe angekündigt.
Der Gewinn je Aktie soll nun pro Jahr um fünf bis sieben Prozent wachsen. Im operativen Geschäft scheint es zwar weiter rundzulaufen. Dennoch ist das neue Gewinnziel ambitioniert – angesichts der Herausforderungen in diesem Jahr. Dazu zählen Verluste durch Aktivitäten in Russland, die Berenberg auf 150 Millionen Euro schätzt, vergleichsweise hohe Schäden aus Naturkatastrophen im ersten Quartal sowie kurzfristig Belastungen durch steigende Zinsen bei der Tochter Pimco.
Der Vermögensverwalter setzt stark auf Anleihen, deren Marktwert nun sinkt. Es bieten sich aber auch bessere Chancen bei der Wiederanlage. Im Allianz-Geschäftsbericht heißt es daher, dass ein Zinsanstieg um 100 Basispunkte auf das erwartete operative Ergebnis im ersten Jahr nach der Zinsänderung keinen wesentlichen Effekt habe. Unter dem Strich könnten aber auch 2022 Belastungen aus den US-Problemen das Jahresergebnis drücken.
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