Schwache Konjunktur und hohe Inflation dämpfen das Geschäft. Die steigenden Zinsen bringen für die Branche sowohl Vor- als auch Nachteile. Längerfristig dürften die positiven Effekte aber überwiegen.
Inflation
Die Entwertung des Geldes setzt das Geschäft mit Lebensversicherungen unter Druck.
Bild: IMAGO/Lobeca
Frankfurt Wegen der negativen Konjunkturaussichten und der stark gestiegenen Inflation rechnet die Ratingagentur Assekurata mit einem Nachfragerückgang nach Lebensversicherungsprodukten. „Die hohe Inflation schränkt die Sparmöglichkeiten vieler Bürger ein und zehrt an der Realverzinsung der Policen“, sagte Geschäftsführer Reiner Will bei der Vorstellung eines Marktausblicks für die Branche.
Zugleich könnten konkurrierende Bankprodukte bei weiter steigenden Zinsen wieder attraktiver werden. Allerdings stelle sich dieser Effekt typischerweise erst zeitversetzt ein, wenn die Banken die höheren Zinsen auch tatsächlich an ihre Kunden weitergeben.
Unter dem Strich rechnet Assekurata im Jahr 2022 mit einem Minus von einem Prozent beim Prämienbestand in der Lebensversicherung. Bereits 2021 verzeichnete die Branche einen Rückgang der gebuchten Bruttobeiträge von 1,7 Prozent auf 98,2 Milliarden Euro. Der Versichererverband GDV prognostizierte zuletzt für das laufende Jahr noch ein Beitragsplus in der Lebensversicherung von unter einem Prozent.
Anders als befürchtet blieben die Stornoquoten in der Lebensversicherung während der Coronakrise zwar stabil. Doch laut Lars Heermann, der den Bereich Analyse und Bewertung bei Assekurata leitet, müsse man beobachten, wie sich dieser Wert in der unsicheren Marktsituation weiterentwickele.
Zudem bedeuten die steigenden Zinsen eine Belastung für die Kapitalanlagen der Lebensversicherer. Zwar könnten die Gesellschaften Heermann zufolge bei Neuanlagen höhere Renditen erzielen. Dieser positive Effekt werde sich jedoch vor allem erst mittel- bis längerfristig auswirken. „Der Bestand verliert aber sofort an Wert.“
Laut Assekurata-Daten haben die Lebensversicherer etwa 77 Prozent ihrer Kapitalanlagen, die insgesamt etwa eine Billion Euro ausmachen, in festverzinsliche Wertpapiere investiert. Während die Gesellschaften Ende 2021 insgesamt noch über Bewertungsreserven von etwa 150 Milliarden Euro verfügten, geht die Agentur aktuell davon aus, dass branchenweit bereits stille Lasten in Höhe von 40 Milliarden Euro entstanden sind.
Stille Lasten ergeben sich, wenn die aktuellen Marktwerte der Kapitalanlagen geringer sind als die Buchwerte in der Bilanz. Bei weiteren Zinsanstiegen könnten diese schnell weitersteigen.
Ein unmittelbares Problem entsteht daraus nicht, wie auch Bafin-Exekutivdirektor Frank Grund bei einer Veranstaltung in der vergangenen Woche betonte: Da die Lebensversicherer die betroffenen Anleihen oft bis zur Endfälligkeit halten, müssen sie keine Abschreibungen vornehmen.
Das könnte sich laut Assekurata-Geschäftsführer Will jedoch ändern, wenn sich mit dem unsicheren konjunkturellen Umfeld auch die Kreditwürdigkeit der Unternehmen, die die Anleihen begeben haben, verschlechtere oder wenn Versicherte in größerem Umfang Policen kündigten, weil sie Geld brauchen. Dann könnten die Lebensversicherer in die Lage geraten, einen Teil der Anleihen abzuschreiben.
Entlastung für die Lebensversicherer gibt es durch die steigenden Zinsen hingegen bei den Anforderungen an die Zinszusatzreserve (ZZR): Wegen der jahrelangen Niedrigzinsen mussten die Anbieter seit 2011 einen Kapitalpuffer zur bilanziellen Absicherung der hohen Zinsgarantien aus Altverträgen aufbauen.
In den 1990er-Jahren waren zeitweise Lebenspolicen mit Garantiezinsen von bis zu vier Prozent verkauft worden – im Niedrigzinsumfeld waren diese Zinsen für die Versicherer nur schwer zu erwirtschaften. Im vergangenen Jahr führte die Branche der ZZR daher weitere zehn Milliarden Euro zu. Die Reserve beträgt nun insgesamt 97 Milliarden Euro.
Der zuletzt abrupte Zinsanstieg führt dazu, dass viele Lebensversicherer die Zinszusatzreserve nicht weiter aufbauen müssen. Vielmehr dürfte die Branche Assekurata zufolge in diesem Jahr sogar schon erste Rückflüsse aus dem Kapitalpuffer erhalten. Heermann erwartet eine Größenordnung von vier bis fünf Milliarden Euro. Selbst wenn das Zinsniveau in den kommenden Jahren auf dem jetzigen verharrt, könnten die Lebensversicherer bis 2035 etwa die Hälfte der Zinszusatzreserve wieder abbauen.
Dass die Versicherten in Form einer höheren Überschussbeteiligung davon profitieren werden, glauben die Assekurata-Experten allerdings nicht. Sie gehen vielmehr davon aus, dass die Versicherer die frei werdenden Mittel zumindest in Teilen dazu nutzen werden, stille Lasten in den Kapitalanlagen zu realisieren und damit zu verrechnen.
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Die steigenden Zinsen wirken sich auch positiv auf die Solvenzquoten der Lebensversicherer aus. Diese Kennzahl gibt das Verhältnis von vorhandenen zu geforderten Eigenmitteln an. „Die Solvenzquoten sind bereits 2021 deutlich angestiegen und werden ihren Positivtrend auch 2022 fortsetzen“, prognostizierte Heermann.
Versicherer müssen die Solvenzquote über der Marke von 100 Prozent halten. Dann können sie auch in einem extremen Krisenszenario alle Verpflichtungen erfüllen. In der Vergangenheit hielten zahlreiche Anbieter diese Anforderungen nur mithilfe von Sonderregeln ein, die bis zum Jahr 2032 auslaufen werden.
Doch laut Versicherungsaufseher Grund hat sich die Lage vieler Lebensversicherer entspannt. Insgesamt habe seine Behörde mit Blick auf die Solvenzquote nur noch 15 Versicherer unter intensivierter Aufsicht, sagte er. Zum Jahreswechsel waren es noch 20 Anbieter.
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