Die Brexit-Beauftragte der Londoner Finanzaufsicht FCA sieht mehrere Probleme im Fall eines ungeordneten Austritts der Briten. Trotz intensiver Vorbereitungen blieben Risiken.
Frankfurt, London Die entscheidenden Akteure im europäischen Finanzsektor fühlen sich auch für einen ungeordneten Brexit gewappnet. Seit dem Austrittsreferendum von 2016 arbeiten Banken, Versicherer und Vermögensverwalter an ihren Notfallplänen. Viele haben neue Töchter in der EU gegründet und Kapital sowie Mitarbeiter verlagert.
Und doch droht Chaos in der Schlüsselbranche, sollte Großbritannien am kommenden Freitag ohne Anschlussabkommen und Übergangsperiode aus der EU ausscheiden. Am Donnerstag schlug die Financial Conduct Authority (FCA) in London Alarm. „Wir können nicht ausschließen, dass es zu Störungen und Turbulenzen kommt“, sagte Nausicaa Delfas, die Brexit-Beauftragte der britischen Finanzaufsicht, dem Handelsblatt.
Zwar hätten sich die Aufseher auf beiden Seiten auf alle Szenarien vorbereitet. Doch es blieben Risiken.
Erstens hätten viele Firmen ihre Restrukturierung, sprich den Umzug auf den Kontinent, noch nicht abgeschlossen, sagte Delfas. Daher gebe es „operative Risiken“. Zum Beispiel seien noch nicht alle neuen Systeme ausreichend getestet.
Zweitens könne es zu rechtlichen Problemen mit Verträgen kommen. Denn selbst wenn die meisten großen Londoner Akteure ihre Tochtergesellschaften in der EU inzwischen etabliert haben, haben sie bislang nur einen Bruchteil der Kundenverträge auf die neuen Einheiten umgeschrieben.
Zwar haben einzelne EU-Mitgliedstaaten nationale Übergangsregelungen beschlossen, die die Vertragssicherheit gewährleisten sollen. Dazu zählen die wichtigsten Partner wie Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Niederlande, Irland und Luxemburg.
Nausicaa Delfas. FCA-Brexitbeauftragte
„Wir können nicht ausschließen, dass es zu Turbulenzen kommt.“
Bild: FCA
Doch es gibt keine europäische Regelung der EU-Kommission. „Wir sind ermutigt, dass einzelne Mitgliedstaaten Schritte unternommen haben“, sagte Delfas. Deutschland habe eine weitreichende Garantie abgegeben. Das sei „großartig“. Aber im Rest der EU gebe es Lücken, die letztlich Unsicherheit für europäische Verbraucher schafften.
Im Fall eines ungeordneten Brexits verlieren alle in Großbritannien ansässigen Finanzdienstleister über Nacht ihre europäischen „Passporting Rights“. Das heißt, sie können mit ihrer britischen Zulassung nicht mehr europaweit ihre Dienstleistungen anbieten. Das Gleiche gilt umgekehrt für EU-Firmen, die ihre Dienste in Großbritannien anbieten.
Auf britischer Seite gibt es zwei Programme, die einen reibungslosen Handel auch bei einem wilden Brexit sicherstellen sollen. Wer sich beim Temporary Permissions Regime (TPR) anmeldet, darf bis zu drei Jahre lang seine Geschäfte auf der Insel fortführen. Die Anmeldung ist kostenlos, eine Antragsprüfung findet nicht statt. Bislang haben sich tausend EU-Firmen registriert – von insgesamt 8000, die bisher „Passporting Rights“ für Großbritannien haben.
Wer auch nach einem ungeordneten Brexit im Königreich tätig sein wolle, müsse sich bis spätestens zum 28. März auf der FCA-Webseite registrieren, sagte Delfas.
Firmen, die sich nicht beim TPR anmelden, landen automatisch im Financial Services Contract Regime (FSCR). Sie haben die Erlaubnis, ihre existierenden Verträge in Großbritannien zu erfüllen und ihre Kunden weiter zu bedienen. Nur neue Geschäfte können sie nicht abschließen.
Ein neues potenzielles Problem hat sich diese Woche aufgetan. Die europäische Wertpapieraufsicht ESMA hatte am Dienstag erklärt, dass bei einem ungeordneten Brexit alle Aktien und Derivate von EU-Firmen auf Handelsplätzen innerhalb der EU gehandelt werden müssen. Britische Handelsplätze werden nicht als äquivalent anerkannt.
Eine neue Studie bilanziert die bisher bekannten Brexit-Kosten für den Londoner Finanzsektor. Fast alle abwandernden Banken zieht es nach Frankfurt.
Da Großbritannien sämtliche EU-Vorschriften in nationales Recht übertragen und somit auch eine eigene Handelspflicht eingeführt habe, hätten viele Firmen dann zwei Handelspflichten zu erfüllen, die miteinander im Konflikt stehen, sagte Delfas. Sie hofft, dass die ESMA in der Frage noch mit sich reden lasse. Es sei im beiderseitigen Interesse, die Störungen an den Märkten zu minimieren.
Auch der oberste Bankenaufseher der deutschen Finanzaufsicht Bafin, Raimund Röseler, sieht einen möglichen ungeordneten Brexit mit Sorge. „Ich hätte nicht erwartet, dass sich die Situation so zuspitzt und dass es kurz vor dem geplanten EU-Austritt Großbritanniens immer noch keine Lösung gibt“, sagte er dem Handelsblatt. „Die Risiken sind unkalkulierbar, denn niemand hat Erfahrungen mit einem Ereignis wie dem Brexit.“
Durch das Brexit-Steuerbegleitgesetz sei Deutschland in der Lage, viele Probleme für den Finanzsektor abzufedern, sagte Röseler. „Wichtig bleibt es jedoch, dass die Banken ihre Anstrengungen unvermindert fortsetzen und beispielsweise Verträge schnellstmöglich umstellen.“
Der Aufseher sagte, die Bafin werde sich in einer Übergangszeit großzügig zeigen, was bestimmte Auflagen für Banken angeht. „Es ist nicht realistisch, dass alle Mitarbeiter bis zum 29. März in London arbeiten und dann ab dem 1. April in Frankfurt.“
Aber es gebe genaue Vorgaben, bis zu welchem Monat welche Positionen besetzt sein müssen. „Grundsätzlich gilt: Alle Geschäfte in der EU sowie mit europäischen Kunden müssen, soweit das europäische Recht es nicht anders vorsieht, nach dem Brexit aus einem Mitgliedstaat heraus betrieben werden.“
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