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29.07.2019

04:00

Minuszins der EZB: Was auf Banken und Anleger zukommt dpa

EZB

Die Entscheidungen der Notenbank schüren Ängste vor einem Minuszins.

Geldpolitik

Angst vor dem Minuszins – Was auf Banken und Anleger zukommt

Von: Andrea Cünnen, Felix Holtermann, Michael Maisch, Matthias Streit

Die Europäische Zentralbank wird ihre Geldpolitik weiter lockern. Noch niedrigere Zinsen bringen aber auch noch schädlichere Nebenwirkungen mit sich.

Frankfurt, Erfurt Fast genau sieben Jahre ist es her, dass Mario Draghi mit seinem Versprechen den Euro gerettet hat. Er werde tun, „was immer nötig ist“, um die Gemeinschaftswährung stabil zu halten, sagte er auf Englisch: „whatever it takes“.

Am vergangenen Donnerstag sorgte der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) für einen neuen „Whatever-it-takes-Moment“. Draghi machte wieder klar, dass die EZB all ihre Instrumente einsetzen wird – diesmal, um die Inflation endlich in Richtung der von ihr angestrebten zwei Prozent zu hieven.

Seither ist es für die meisten Experten ausgemachte Sache, dass die EZB im September ihre Geldpolitik noch weiter lockern wird. Das hat nicht nur Auswirkungen für Sparer. Betroffen sind auch Aktienanleger, Anleihe-, Immobilienkäufer – und nicht zuletzt die Banken.

Banken: Peitsche und Zuckerbrot

Für Europas Banken ist das eine ausgesprochen schlechte Nachricht, denn statt der erhofften geldpolitischen Wende dürften die Zinsen, die die EZB den Banken berechnet, wenn sie Geld bei ihr parken, noch negativer werden. Derzeit liegt der Satz bei minus 0,4 Prozent, im September könnte er auf minus 0,5 Prozent sinken.

Die Folge der zusätzlichen Last: Immer mehr Banken drohen mehr oder weniger unverhohlen damit, die Minuszinsen auf breiter Front auch an ihre Privatkunden weiterzugeben. „Das eigentliche Ziel der EZB, die Inflationsrate im Euro-Raum in die Nähe von zwei Prozent zu bringen, wird sie mit weiteren Zinssenkungen oder Anleihekäufen kaum erreichen können. Und gleichzeitig erhöht sich die Gefahr von Minuszinsen für Privatkunden“, warnt Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken.

2018 summierten sich die Lasten für die Institute in der Euro-Zone durch die Minuszinsen bereits auf 7,5 Milliarden Euro. Der Bundesverband deutscher Banken (BdB) befürchtet, dass durch die wahrscheinliche Zinssenkung der EZB die Belastung noch einmal um knapp 1,5 Milliarden Euro steigen würde. Für die deutschen Banken beläuft sie sich aktuell auf rund 2,3 Milliarden Euro im Jahr, bei einer weiteren Zinssenkung würden noch einmal 600 Millionen Euro fällig.

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„Andere Notenbanken, die ebenfalls eine Negativzinspolitik verfolgen, setzen Staffelzinsen ein, um ihre Banken nicht noch weiter zu belasten. Es ist überfällig, dass die EZB diesen Beispielen folgt“, fordert Hans-Walter Peters, Präsident des BdB. Bislang habe die EZB nicht erklärt, „warum geldpolitische Argumente der Schweizer, dänischen oder japanischen Notenbank nicht auch für den Euro-Raum gelten“.

Aber vielleicht könnte die EZB genau in diesem Punkt einlenken. Denn bei ihrer jüngsten Sitzung brachten die Notenbanker eine Staffelung der Minuszinsen ins Spiel. Staffelzinsen würden bedeuten, dass die Geldhäuser einen zusätzlichen Freibetrag erhalten, für den die europäische Notenbank keinen Minuszins verlangt. Beträgt der Freibetrag das Zehnfache des Mindestreservesolls, würde das die Banken im Euro-Raum jährlich um 4,6 Milliarden entlasten, kalkuliert der Deutsche Sparkassen- und Giroverband.

Von einer solchen Regelung würden die Deutschen Banken am stärksten profitieren, zumindest wenn man den Nutzen in absoluten Zahlen misst. Die Analysten der Landesbank Baden-Württemberg haben ausgerechnet, was passieren würde, wenn die EZB ein ähnliches Modell wie die Schweiz einführen würde.

Dort liegt der Leitzins bei minus 0,75 Prozent, die Banken profitieren aber gleichzeitig von einem Freibetrag in Höhe des Zwanzigfachen der Mindestreserve. Würde die EZB diese Regelung übernehmen, würden die deutschen Geldhäuser etwa 900 Millionen Euro sparen. Prozentual wären die Institute in Spanien und Italien die größten Nutznießer. Sie müssten gar keine Strafzinsen mehr an die EZB überweisen.

Aber auch die Aussichten auf eine Staffelung der Minuszinsen scheint die erbosten Banker nicht wirklich zu beruhigen. Für die Verbraucher gibt es keine Entwarnung: „Die Möglichkeiten, die zusätzlichen Belastungen über Entgelte und Zinsen weiterzugeben, sind zwar begrenzt.

Aber der Druck steigt, sie auszuschöpfen“, warnt BdB-Präsident Peters. „Ich persönlich könnte mir etwa vorstellen, dass viele Banken auf Dauer nicht mehr umhinkönnen, die zusätzlichen Belastungen auch in der Breite an Privatkunden weiterzugeben.“

Aktien: Geldflut als riskanter Treiber

Die Aktienmärkte sind der wirtschaftlichen Entwicklung weit vorausgelaufen – und werden wohl noch weiter davoneilen. „Der geldpolitische Trumpf sticht die konjunkturelle Fehlfarbe“, bringt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank, die Lage auf den Punkt.

Tatsächlich werden die Märkte vor allem von der Aussicht auf billigeres Geld getrieben, das nicht nur von der Europäischen Zentralbank (EZB), sondern auch von der US-Notenbank (Fed) kommt. Die Fed wird voraussichtlich an diesem Mittwoch den Leitzins senken. Der Dax hat seit Januar mehr als 17 Prozent zugelegt, an der Wall Street ist der S&P 500 noch stärker gestiegen.

Zur konjunkturellen Entwicklung passt das nicht, vor allem nicht zur deutschen. Die hiesige exportstarke Wirtschaft leidet besonders unter der sich abkühlenden Weltkonjunktur und dem Handelsstreit. Der Ifo-Geschäftsklimaindex fällt und fällt und ist zuletzt auf das Niveau vom Frühjahr 2013 abgesackt. Gleichzeitig schrauben viele Unternehmen ihre Gewinnerwartungen zurück.

Robert Halver, Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank, spricht von einer „Liquiditätshausse“, die die „Fundamentalbaisse“ überstrahlt. Angesichts der niedrigen bis negativen Renditen von Anleihen bleibt Investoren nicht viel anderes übrig, als in Aktien zu investieren. Aktien bieten zumindest die Chance, das Vermögen zu mehren. Auch wer regelmäßige Einnahmen haben will, braucht Aktien: Die Dividenden, die Unternehmen ausschütten, sind wesentlich höher als die Zinsen.

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Doch die Anlage in Aktien wird riskanter. Viele Experten meinen, dass die EZB mit ihrer Geldpolitik nicht mehr viel ausrichten kann, um die Wirtschaft anzukurbeln. „Realwirtschaftlich bringt eine Lockerung der Geldpolitik wenig bis nichts, weil es in der Euro-Zone kein Problem mit der Kreditversorgung gibt“, betont zum Beispiel Felix Herrmann, Kapitalmarktstratege beim Asset-Manager Blackrock in Frankfurt.

Trotzdem kann die Liquiditätshausse weitergehen, eben weil Anlegern die Anlagealternativen fehlen. Die Märkte werden aber nervöser, und zwischenzeitliche Rückschläge wahrscheinlicher. Wenn sich die Wirtschaft nicht von selbst wieder fängt, weil Verbraucher auf der einen Seite mehr konsumieren und auf der anderen Seite Unternehmen mehr verkaufen und mehr investieren, wird die Geldflut zum immer riskanteren Treiber für die Märkte.

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