Der oberste Notenbanker der Republik will nach zehn Jahren aus dem Amt scheiden. Offenbar hat Weidmann den Rückzug schon lange vor der Bundestagswahl erwogen.
Frankfurt, Berlin Bundesbank-Präsident Jens Weidmann tritt nach zehn Jahren im Amt zurück. Weidmann habe Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Mittwoch um die Entlassung aus dem Amt zum Jahresende gebeten, teilte die Bundesbank mit.
„Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass mehr als zehn Jahre ein gutes Zeitmaß sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen – für die Bundesbank, aber auch für mich persönlich“, schrieb Weidmann in einem Brief an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesbank. Seine Amtszeit wurde erst 2019 um acht Jahre verlängert.
Der Bundesbank-Präsident hat am Mittwoch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundespräsident Steinmeier (SPD), Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und EZB-Präsidentin Christine Lagarde in einem Telefonat über den Rücktritt informiert. Gegenüber Scholz versicherte er, dass sein Schritt nicht mit der Bundestagswahl zusammenhänge.
Lagarde schrieb in einer Stellungnahme, sie habe „Respekt“ vor seiner Entscheidung. Weidmann und Lagarde hätten sich am Telefon ihrer gegenseitigen Wertschätzung versichert: „Jens ist ein persönlicher Freund, auf dessen Loyalität ich jederzeit zählen konnte.“ Er habe eine „klare Haltung zur Geldpolitik“, aber sie sei „beeindruckt von seinem Willen, Kompromisse zu finden“.
Wie aus informierten Kreisen zu hören ist, hat er die Option, sich zurückzuziehen, schon erwogen, seit die Entscheidung für die EZB-Präsidentschaft gegen ihn gefallen ist. Aus Respekt vor Lagarde und dann auch wegen der Coronapandemie habe er die Entscheidung aber hinausgezögert. Ihm geht es offensichtlich darum, nicht zu viel Aufsehen zu erregen.
Weidmann fühlte sich mit seinem ordnungspolitischen Ansatz im EZB-Rat in einer strukturellen Minderheit. Sorgen bereitet dem scheidenden Bundesbank-Präsidenten, der stets auf eine saubere Trennung von Geld- und Finanzpolitik gepocht hat, vor allem die für Dezember anstehende Entscheidung über das Pandemie-Notfall-Programm PEPP. Es läuft nach bisherigem Plan bis Ende März und bietet der EZB besonders flexible Möglichkeiten, Staatsanleihen zu kaufen und damit einzelne Staaten wie etwa Italien zu unterstützen.
Sollte diese Flexibilität nach dem Auslaufen des PEPP beibehalten werden, wäre das aus Weidmanns Sicht ein ordnungspolitisches Problem. Er hatte im Interview mit dem Handelsblatt betont, eine Notfalloption müsse beendet werden, wenn die Notlage vorüber sei.
Christine Lagarde mit Jens Weidmann
„Jens ist ein persönlicher Freund.“
Bild: imago/Max Stein
In dem Brief an die Mitarbeiter fordert er, „nicht einseitig auf Deflationsrisiken zu schauen, sondern auch perspektivische Inflationsgefahren nicht aus dem Blick zu verlieren“. Eine „stabilitätsorientierte Geldpolitik“ werde dauerhaft nur möglich sein, wenn der Ordnungsrahmen der Währungsunion weiterhin die Einheit von Handeln und Haften sichere, die Geldpolitik ihr enges Mandat achte und nicht ins Schlepptau der Fiskalpolitik oder der Finanzmärkte gerate.
Weidmann habe stets versucht, konstruktiv an Entscheidungen der EZB mitzuwirken, etwa bei der Überarbeitung des Inflationsziels oder dabei, wie die Geldpolitik die Klimapolitik stärker berücksichtigen kann, heißt es aus seinem Umfeld.
Allerdings seien erzielte Kompromisse immer wieder verschoben oder neu aufgemacht worden. Außerdem fühlte sich der Bundesbank-Präsident zuletzt zunehmend isoliert im EZB-Rat. Mit seinen Mahnungen sei er stets allein gewesen.
So habe es sich seine deutsche Kollegin Isabel Schnabel im EZB-Direktorium „gemütlich eingerichtet“ und verteidige die EZB-Politik. Der finnische Notenbank-Gouverneur Olli Rehn habe immer weniger stabilitätsorientierte finnische Positionen und stärker die Auffassungen seiner Kollegen vertreten. Und der niederländische Zentralbankchef Klaas Knot sage zwar hin und wieder was, knicke aber meist ein.
All das habe Weidmann zunehmend frustriert. Er wollte sich auch nicht mit EZB-Chefin Lagarde ähnliche Gefechte liefern wie mit ihrem Vorgänger Mario Draghi, mit Lagarde habe Weidmann ein „sehr gutes persönliches Verhältnis“, heißt es.
Unter Draghi war das anders. Besonders deutlich wurde der Konflikt zwischen beiden Notenbankern im September 2012, als die EZB beschloss, im Notfall unbegrenzt Anleihen einzelner Euro-Länder zu kaufen. Als Draghi nach der Ratssitzung gefragt wurde, ob die Entscheidung einstimmig gefallen sei, lächelte er süffisant und sagte, es habe eine Gegenstimme gegeben: „Ich überlasse es Ihnen, darüber zu spekulieren, wer das war.“ Jeder wusste, wer gemeint war. In dieser Zeit sagte Draghi häufig: „Nein zu allem“ sei keine Lösung, wobei er diese Wörter stets auf Deutsch aussprach.
Nun soll ein anderer deutscher Notenbanker sein Glück im EZB-Rat versuchen.
In Berlin wurde die Nachricht mit Überraschung zur Kenntnis genommen. Auch das Bundesfinanzministerium wurde erst am Mittwochmorgen von Weidmann von dessen Schritt informiert, hieß es aus Regierungskreisen.
Finanzminister Scholz dankte Weidmann für sein außerordentliches Engagement in den vergangenen zehn Jahren. „Er hat nicht nur die Geldpolitik in Deutschland und Europa in dieser Zeit maßgeblich geprägt, sondern auch die Weiterentwicklung der internationalen Finanzmärkte vorangebracht.“
Dank für außerordentliches Engagement
Jens Weidmann im Gespräch mit Olaf Scholz.
Bild: AFP
FDP-Chef Christian Lindner twitterte, Weidmann habe für „eine stabilitätsorientierte Geldpolitik“ gestanden, deren Bedeutung angesichts von Inflationsrisiken wachse. „Mit ihm war die Deutsche Bundesbank eine wichtige Stimme in Europa. Die FDP empfiehlt Deutschland Kontinuität.“ Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbands Die Familienunternehmer, beklagte: „Mit Jens Weidmann verlieren wir einen wichtigen Mitstreiter für stabilitätsorientierte Geldpolitik.“ ING-Ökonom Carsten Brzeski erinnerte aber auch daran, dass mit Axel Weber, Ernst Welteke, Jürgen Stark, Jörg Asmussen und Sabine Lautenschläger schon zahlreiche deutsche Geldpolitiker vorzeitig ihren Posten verlassen hätten.
Der Chef des Handelsblatt Research Institute, Bert Rürup, erwartet, dass die Neubesetzung der nunmehr vakanten Stelle des Bundesbank-Präsidenten einen Rückschluss auf die Stabilitätsorientierung der Bundesbank erlaubt.
„Im EZB-Rat, dem obersten Beschlussgremium dieser Zentralbank, war Jens Weidmann sicher der profilierteste ,Falke‘, sprich der Vertreter einer klar geldwertorientierten Politik“, sagt er. Sowohl Claudia Buch, die Vizepräsidentin der Bundesbank, als auch Isabell Schnabel, Mitglied des Direktoriums der EZB, seien zweifellos potenzielle Kandidatinnen für dieses Amt. „Beide stehen aber für eher neutrale geldpolitische Positionen und sind weder klar dem Lager der Falken oder dem der Tauben zuzurechnen.“
Die Nachfolge Weidmanns soll jetzt in den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP besprochen werden. Als mögliche Nachfolger kursieren mehrere Namen.
In Berlin sähen viele gern eine Frau an der Spitze, denn bislang standen der Bundesbank ausschließlich Männer vor. Und auch viele andere Spitzenpositionen im Land werden von Männern bekleidet.
Eine naheliegende Wahl wäre dann Bundesbank-Vizepräsidentin Claudia Buch. Allerdings hat so mancher in Notenbankkreisen und in Berlin Zweifel, ob sie der Aufgabe gewachsen wäre. Sie hat einen hervorragenden Ruf als Wissenschaftlerin und legt Wert darauf, in dieser Rolle gesehen zu werden. Nach außen hin galt gilt sie als eher unscheinbar. Eine Alternative wäre Isabel Schnabel, die derzeit im EZB-Direktorium sitzt und die mit Reden, in denen sie die Geldpolitik mit Verve verteidigt, für Aufmerksamkeit sorgt. Sie können sich viele an der Spitze der Bundesbank vorstellen. Schnabel spielt auch bei Diskussionen im EZB Rat meist eine wichtige Rolle, gerade weil sie nicht eindeutig einem Lager zuzuordnen ist.
Allerdings: Mit ihr würde nach Jürgen Stark und Jörg Asmussen bereits das dritte deutsche Direktoriumsmitglied hintereinander vorzeitig aus dem Führungsgremium der Europäischen Notenbank ausscheiden. Das sähe etwas unglücklich aus.
Wenn die Wahl nicht auf eine Frau fallen sollte, gilt Jörg Kukies (SPD) als eine Option. Der Staatssekretär von Bundesfinanzminister Scholz und frühere Deutschlandchef von Goldman Sachs gilt als versierter Finanzfachmann, der fraktionsübergreifend geschätzt wird. Er ist allerdings kein ausgewiesener Notenbanker, und anders als Schnabel schon vor ihrer EZB-Zeit hatte er sich nicht als Wissenschaftler auf diesem Gebiet profiliert.
Sein Nachteil: Als Scholz-Getreuer wäre er möglicherweise für die FDP zu nah am künftigen Bundeskanzler. Allerdings hat eine ähnliche Konstellation auch schon Weidmann nicht davon abgehalten, Bundesbank-Chef zu werden. Weidmann wechselte vor zehn Jahren aus dem Job des Wirtschaftsberaters im Bundeskanzleramt an die Spitze der deutschen Notenbank.
Ebenfalls gehandelt wird DIW-Chef Marcel Fratzscher, dessen Name schon bei den vergangenen Besetzungen wie dem EZB-Direktorium genannt wurde, der bislang aber stets leer ausging. Der Ökonom hat einst als Leiter der Abteilung für wirtschaftspolitische Analysen in der EZB gearbeitet, kennt sich in der Geldpolitik aus und pflegt gute Drähte in die SPD.
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