Handelsblatt App
Jetzt 4 Wochen für 1 € Alle Inhalte in einer App
Anzeigen Öffnen
MenüZurück
Wird geladen.

06.02.2023

11:05

Geldpolitik

Geldpolitische Wende oder ein Weiter-so? Japanische Regierung muss neuen Notenbankchef nominieren

Von: Martin Kölling

Globale Hedgefonds wetten schon lange auf ein Ende der Minuszinspolitik in Japan. Nun erhoffen sie sich Aufschluss durch die Nachfolge von Haruhiko Kuroda.

Beim Weltwirtschaftsforum in Davos trat der japanische Notenbankchef das letzte Mal öffentlich auf. Bloomberg

Haruhiko Kuroda

Beim Weltwirtschaftsforum in Davos trat der japanische Notenbankchef das letzte Mal öffentlich auf.

Tokio Japans Finanzsektor steht vor der wichtigsten Personalentscheidung der vergangenen zehn Jahre. In dieser Woche wird die japanische Regierung zwei stellvertretende Direktoren und einen Nachfolger für Notenbankchef Haruhiko Kuroda nominieren, der 2013 eine beispiellos lockere Geldpolitik einleitete. Seine zweite Amtszeit endet im April, die seiner Stellvertreter sogar schon im März. 

Hedgefonds sehen in der Personalie die Chance auf einen geldpolitischen Paradigmenwechsel. Bislang ist die Bank of Japan die letzte große Zentralbank, die die Leitzinsen noch nicht erhöht hat. Stattdessen setzt sie auf die sogenannte Zinskurvenkontrolle, mit der sie die Rendite der zehnjährigen japanischen Staatsanleihen (JGB) steuert.

Die BoJ hatte lange festgelegt, dass deren Zinssatz um 0,25 Prozentpunkte nach oben und unten um den Nullpunkt schwanken darf. Die Zinsen für länger laufende Anleihen überließ sie dem Markt. Damit wollten die Währungshüter den JGB-Handel am Leben erhalten, obwohl sie den Markt immer stärker dominieren. Denn Lebensversicherer und Banken brauchen die JGBs für ihre Bilanzen.

Seitdem die US-Notenbank im Kampf gegen die Inflation die Zinsen erhöht hat, wurde es jedoch immer schwieriger, die niedrige Obergrenze des Handelskorridors zu verteidigen. Im Dezember gab Kuroda dann überraschend nach und verdoppelte die obere und untere Zinsgrenze auf 0,5 Prozent. Seitdem haben die Spekulationen über ein Ende der Zinskurvenkontrolle oder gar eine Abkehr von der Nullzinspolitik noch einmal drastisch zugenommen.

Ein Kandidat für die Nachfolge Kurodas ist sein derzeitiger Stellvertreter, Masayoshi Amamiya. Würde Premierminister Fumio Kishida ihn nominieren, dürften die Marktreaktionen wirtschaftsfreundlich ausfallen, erwartet Masamichi Adachi, Volkswirt der UBS. Der Yen könnte abwerten, die Zinssätze zurückgehen, die Aktienkurse steigen. Denn Amamiya gilt als Vertreter eines leicht veränderten Status quo.

Zinskurvenkontrolle steht auf der Kippe

Am Montag probten die Märkte diese Reaktion bereits. Nach Medienberichten darüber, dass Amamiya konkret als Kuroda-Nachfolge im Gespräch sei, fiel der Yen auf ein Dreiwochentief und notierte am Montagvormittag bei 131,95 zum Dollar.

Der Zentralbanker ist einer der Architekten von Kurodas Geldpolitik und verteidigt die Niedrigzinspolitik sowie die massiven Käufe von Staatsanleihen, offenen Immobilienfonds und börsengehandelten Aktienindexfonds (ETFs), die die Zentralbank zum größten Aktionär der Japan AG gemacht haben. Allerdings sagte er im vergangenen Jahr, dass die Bank of Japan auch immer darüber nachdenken müsse, wie sie aus der ultralockeren Geldpolitik aussteigen könne.

Grafik

Spitzenkandidat Nummer zwei ist der ehemalige Notenbanker Hiroshi Nakaso. Er gilt aufgrund seiner Rolle während der Weltfinanzkrise als erfahrener und weltweit bestens vernetzter Krisenmanager. Zudem hat er bereits 2006 einen Ausstieg aus der damaligen ultralockeren Geldpolitik choreografiert und seine Ideen für einen zweiten Ausstieg im Mai 2021 in einem Buch veröffentlicht.

Sein Plan sieht vor, zunächst die Renditeziele für zehnjährige JGBs aufzuheben, dann die kurzfristigen Zinsen anzuheben und schließlich die Bilanz der Bank von Japan abzubauen. Von ihm würden die Märkte daher eine größere Bereitschaft zu politischen Veränderungen erwarten – aber nicht so starke wie beim dritten Kandidaten, dem Kuroda-Kritiker Hirohide Yamaguchi.

Sollte Yamaguchi nominiert werden, werde die Reaktion eher restriktiv ausfallen, ist sich Volkswirt Adachi sicher. Der Yen und die Zinssätze könnten steigen, die Aktienkurse der Exportkonzerne sinken.

Beobachter glauben nicht an radikalen Bruch

Andere Personen werden auch gehandelt, darunter mehrere Frauen wie das ehemalige Mitglied des geldpolitischen Ausschusses der Bank von Japan, Sayuri Shirai. Sie ist heute Wirtschaftswissenschaftlerin an der Keio-Universität.

„Sie sagt, was sie denkt“, sagt Stefan Angrick, Senior Economist bei Moody’s Analytics in Tokio. Er kennt Shirai aus ihrer gemeinsamen Zeit am Wirtschaftsforschungsinstitut der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB). „Ihre Berufung würde durchaus einen Aufbruch signalisieren.“

Grafik

Dass sie eine unmittelbare Abkehr von der Nullzinspolitik befürworten würde, glaubt Angrick trotzdem nicht. „Sie ist eine sehr gute Ökonomin und weiß, dass es bestimmte Voraussetzungen gibt.“

Unabhängig von der Personalie sehen Ökonomen die Zeit für eine radikale Zinswende in Japan noch nicht gekommen. Zwar steigt auch dort die Inflationsrate auf rund vier Prozent. Doch die Preissteigerungen sind auf den Import teurer Rohstoffe und Lebensmittel zurückzuführen, von dem Japan viel stärker abhängt als Deutschland.

Die Binnennachfrage bleibe schwach, ebenso das Lohnwachstum und die Erholung von der Coronakrise, sagt Angrick. „Im Gegensatz zu den USA liegt die japanische Wirtschaft immer noch unter dem Niveau vor der Pandemie“, erklärt er. Erst, wenn die Notenbank in diesem und im nächsten Jahr deutlich höhere Löhne beobachten kann, werden die Währungshüter seiner Meinung nach anfangen, über höhere Zinsen zu diskutieren.

„Es ist klar, dass die Regierung bei steigenden Zinsen und einem bereits viel zu schwachen Yen grundlegendere Reformen angehen muss“, sagt Martin Schulz, Chefvolkswirt von Fujitsu und Mitglied des Expertenrats für Wirtschafts- und Haushaltspolitik der japanischen Regierung. Und das wolle Premier Kishida auch.

„Gleichzeitig müssen die Zinsen wegen der hohen Staatsverschuldung so niedrig wie möglich gehalten werden“, stellt Schulz fest. „Der nächste Notenbankchef wird hier einen sehr schwierigen Mittelweg gehen müssen.“

Direkt vom Startbildschirm zu Handelsblatt.com

Auf tippen, dann auf „Zum Home-Bildschirm“ hinzufügen.

Auf tippen, dann „Zum Startbildschirm“ hinzufügen.

×