Nach dem Schock über die Pleite der Silicon Valley Bank berät die EZB über eine weitere Zinserhöhung. Christine Lagarde und ihre Ratskollegen stehen dabei vor schwierigen Entscheidungen.
Christine Lagarde
Die EZB-Präsidentin tritt am Nachmittag um 14.45 Uhr vor die Presse.
Bild: AP
Frankfurt Selten hat sich das Umfeld für die Europäische Zentralbank (EZB) so schnell verändert wie in den vergangenen sieben Tagen. Noch vor einer Woche gingen Investoren von einer Serie weiterer Zinserhöhungen im Euro-Raum aus.
Diese Erwartung hat sich praktisch in Luft aufgelöst seit der Pleite der Silicon Valley Bank und den Turbulenzen im Bankensektor. Notenbankchefin Christine Lagarde ist nun die erste hochrangige Notenbankerin, die sich ausführlich öffentlich äußert. Die meisten Experten gehen nach wie vor davon aus, dass sie eine Zinserhöhung um einen halben Prozentpunkt verkünden wird, so, wie sie es zuvor signalisiert hatte.
Doch angesichts der Dynamik der vergangenen Tage sind Experten bei Prognosen derzeit sehr vorsichtig. „Die EZB-Entscheidung soll in 24 Stunden bekannt gegeben werden. Das scheint im Moment eine lange Zeit zu sein“, schrieb der Ökonom der dänischen Danske Bank, Piet Christiansen, einen Tag vor der Ratssitzung.
Interessant wird nicht nur, ob die EZB die Erhöhung durchzieht, sondern auch, ob sie wie zuletzt auch für die danach folgenden Sitzungen ähnliche Schritte signalisiert. Besondere Aufmerksamkeit dürften Investoren auf Fragen zu den Risiken im Bankensektor legen. Zudem legt die EZB neue Prognosen zur Inflations- und Wachstumsentwicklung vor.
Das Handelsblatt fasst zusammen, auf welche vier Punkte es am Donnerstag ankommt:
Eigentlich galt die Zinserhöhung am Donnerstag als ausgemachte Sache. EZB-Präsidentin Lagarde hatte dies mehrfach deutlich signalisiert. „Angesichts des zugrunde liegenden Inflationsdrucks haben wir vor, die Zinssätze auf unserer nächsten Sitzung im März um weitere 50 Basispunkte zu erhöhen“, sagte sie zum Beispiel Mitte Februar vor dem Europaparlament.
Angesichts der jüngsten Turbulenzen nach der Pleite der SVB gibt es aber Stimmen, die die Notenbank zur Vorsicht mahnen. Das frühere EZB-Direktoriumsmitglied Lorenzo Bini Smaghi plädierte in der „Börsen-Zeitung“ für eine Änderung der Zinserhöhungspläne der Notenbank.
Die meisten Ökonomen gehen jedoch davon aus, dass die Notenbank an ihren Plänen festhält. Unter anderem deshalb, weil ein Abweichen von den Märkten als Alarmzeichen aufgefasst werden könnte. „Das Risiko, dass die EZB die Zinsen um 25 Basispunkte anhebt, ist zwar nicht gleich null, aber doch gering“, sagt Frederik Ducrozet, Ökonom beim Schweizer Vermögensverwalter Pictet.
Der Ökonom der französischen Investmentbank Natixis, Dirk Schumacher, sieht dies ähnlich. „Der Ansteckungseffekt scheint im Moment moderat zu sein und noch keine Abweichung vom avisierten Plan zu rechtfertigen“, sagt er.
Der Spielraum der Notenbank gilt als begrenzt, weil vor allem die Kerninflation im Euro-Raum zuletzt auf ein neues Rekordhoch von 5,6 Prozent gestiegen ist. Dies ist der höchste Wert seit Beginn der Währungsunion. Damit ist die um Energie und Lebensmittel bereinigte Preiserhöhung gemeint. Notenbanker achten stark auf die Kerninflation, weil sie als guter Indikator für den mittelfristigen Inflationstrend gilt.
Interessant wird auch, wie sich Lagarde zur weiteren Zinsentwicklung über März hinaus äußert. Im Dezember und Februar hatte die EZB nicht nur jeweils die Zinsen erhöht, sondern auch weitere Anhebungen auf der nächsten Sitzung signalisiert.
Diese Praxis war im Rat durchaus umstritten, denn sie steht in einem gewissen Widerspruch zu der Ansage, dass man stets abhängig von den Daten handeln will. EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta hatte sich bereits im Februar im Handelsblatt-Interview gegen Vorfestlegungen ausgesprochen.
>> Lesen Sie hier: EZB-Direktor Fabio Panetta gegen Festlegung auf Zinserhöhungen über Februar hinaus
Wahrscheinlich werde es künftig keine weiteren Festlegungen geben, heißt es in Notenbankkreisen. Auffällig ist, dass Investoren in den vergangenen sieben Tagen ihre Zinserwartungen dramatisch angepasst haben.
Am Dienstag vergangener Woche wurde an den Terminmärkten noch ein Höchstsatz von rund vier Prozent in diesem Jahr für den Einlagenzins im Euro-Raum eingepreist. Aktuell liegt dieser für die Finanzmärkte maßgebliche Satz bei 2,5 Prozent. Inzwischen hingegen wird nur noch ein Höchstsatz von drei Prozent eingepreist.
Zudem dürften Lagarde Fragen zur Stabilität des Bankensektors gestellt werden. Hier ist inzwischen auch denkbar, dass die Notenbank Stützungsmöglichkeiten aufzeigt.
Ein Ansatzpunkt könnte es sein, den Banken den Zugang zu Liquidität zu erleichtern. Hiermit rechnet der Ökonom der niederländischen Großbank ING, Carsten Brzeski: „Ich denke, dass die EZB Entlastungen in Aussicht stellen wird oder sogar ankündigt.“
Eine Option wäre zum Beispiel, dass die EZB die Sicherheitsanforderungen für Refinanzierungsgeschäfte lockern könnte. Ähnliches hat die US-Notenbank Fed bereits beschlossen. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass die EZB die günstigen Langfristkredite für Banken unter dem Akronym TLTRO fortsetzt.
Zudem wird Lagarde auch die neuen Prognosen der EZB für die Wachstums- und Inflationsentwicklung im Euro-Raum vorlegen. Jari Stehn, Ökonom der US-Bank Goldman Sachs, geht davon aus, dass die EZB-Ökonomen ihre Prognosen zur Kerninflation für dieses Jahr anheben, aber die für die Gesamtinflation etwas senken werden.
Ungewiss ist vor allem, wie es mit der Kerninflation weitergeht. Der österreichische Notenbankchef Robert Holzmann, der als Verfechter einer besonders straffen Geldpolitik gilt, hatte im Handelsblatt-Interview gesagt, dass er hier im ersten Halbjahr keine wesentliche Abschwächung erwarte. In diesem Fall rechne er damit, dass die EZB die Zinsen in diesem Jahr noch viermal um einen halben Prozentpunkt erhöhen werde.
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